Leitsatz
Der Notar, der von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die Nebenakte gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber nicht verpflichtet.
Gesetze: § 51 Abs 3 BeurkG, § 18 Abs 1 BNotO, § 18 Abs 2 BNotO, § 40 NotAktVV
Instanzenzug: LG Essen Az: 7 T 351/21
Gründe
I.
1Die Beteiligten sind Geschwister und die befreiten Vorerben ihrer am verstorbenen Mutter (nachfolgend: Erblasserin). Am beurkundete der Notar einen Grundstücksübertragungsvertrag, mit dem die Erblasserin der Beteiligten zu 2 eine Eigentumswohnung schenkte (UR-Nr. 721/2016 MV). Mit notarieller Urkunde vom selben Tag erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 2 eine Generalvollmacht (UR-Nr. 722/2016 MV). Die Beteiligten streiten vor dem Landgericht darüber, ob der Grundstücksübertragungsvertrag wegen Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin unwirksam ist. Das Landgericht ordnete die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens an. Beide Beteiligten erklärten, den Notar von seiner Verschwiegenheit auch im Hinblick auf die Einsicht in die Nebenakten zu befreien. Die Präsidentin des Landgerichts als Aufsichtsbehörde erteilte anstelle der Erblasserin dem Notar am die Befreiung von der Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BNotO zu der Urkundenrolle Nr. 721/2016 MV (Grundstücksübertragungsvertrag), soweit dies erforderlich ist, um den Beweisbeschluss des Landgerichts zum Zustand und zur Medikation der Erblasserin im Mai/Juni 2016 auszuführen.
2Der Beteiligte zu 1 hat bei dem Notar beantragt, ihm die Einsichtnahme in die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag insoweit zu gewähren, als daraus Umstände und Wahrnehmungen zur Geschäftsfähigkeit der Erblasserin hervorgingen. Ferner hat er den Notar aufgefordert, Auskunft darüber erteilen, ob sich in den Nebenakten schriftliche Aufzeichnungen bzw. Vermerke über den Gesundheitszustand der Erblasserin und über die Art und Weise der Feststellung der Geschäftsfähigkeit befinden, sowie die vorbezeichneten Aufzeichnungen zur Einsicht zu geben. Schließlich hat er die umfassende Einsicht in die auf den Grundstücksübertragungsvertrag bezogene Nebenakte sowie die Erteilung einer beglaubigten Ablichtung verlangt. Der Notar hat mit Entscheidung vom die Anträge abgelehnt. Der dagegen gerichteten Beschwerde, mit der der Beteiligte zu 1 seine Anträge auf Einsicht und Auskunft auf die Nebenakte zu der Urkundenrolle Nr. 722/2016 MV (Generalvollmacht) erstreckt hat, hat der Notar nicht abgeholfen und ergänzend erklärt, dass er in die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag einen Vermerk über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht aufgenommen habe; es finde sich dort lediglich seine handschriftliche Notiz „voll geschäftsfähig“. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 sämtliche Anträge weiter.
II.
3Das Beschwerdegericht verneint einen Anspruch des Beteiligten zu 1 gegen den Notar auf Einsicht in dessen Nebenakten aus § 51 Abs. 3 BeurkG. Der Beteiligte zu 1 sei als Rechtsnachfolger der Erblasserin zwar anspruchsberechtigte Person im Sinne dieser Vorschrift. Soweit er die Einsicht in die kompletten Nebenakten verlange, liege aber schon die dafür erforderliche Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Erblasserin nicht vor. Soweit der Notar hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin von der Verschwiegenheitspflicht entbunden worden sei, bestehe keine Pflicht zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte. § 51 Abs. 3 BeurkG regele ein Recht auf Einsicht in die notarielle Nebenakte nicht. Der Notar sei bei Vorliegen des Einverständnisses aller Beteiligten nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Einsichtnahme in die Nebenakte zu gestatten. Etwas anderes folge nicht aus der Entscheidung des Bayerischen (BayObLGZ 1992, 220) zu dem Einsichtsrecht eines Urkundsbeteiligten bei Niederlegung von Feststellungen des Notars zu der Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten in einem Aktenvermerk statt in der Niederschrift. Der Beteiligte zu 1 sei nicht Urkundsbeteiligter. Der Notar habe zudem erklärt, in der Nebenakte nur handschriftlich notiert zu haben, dass die Erblasserin voll geschäftsfähig sei. Daraus ergebe sich kein Recht auf Einsichtnahme in weitere Bestandteile der Nebenakte.
4Das Auskunftsverlangen des Beteiligten zu 1 habe der Notar mit der Erklärung, in der Nebenakte fände sich lediglich seine handschriftliche Notiz „voll geschäftsfähig“, erfüllt. Ein Anspruch auf Erteilung einer Ablichtung der Nebenakte stehe dem Beteiligten zu 1 ebenfalls nicht zu. Da den Notar keine Pflicht zur Gewährung von Einsicht in die Nebenakte treffe, sei er erst recht nicht zur Erteilung von Ablichtungen verpflichtet.
III.
5Die infolge der Zulassung statthafte (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 FamFG i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO und § 54 Abs. 2 Satz 2 BeurkG) Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Ein im Rahmen der Notarbeschwerde allein zu prüfendes pflichtwidriges Handeln des Notars (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 25/21, DNotZ 2022, 271 Rn. 5) liegt nicht vor.
61. Das Beschwerdegericht lehnt es zu Recht ab, den Notar zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakten zu verpflichten.
7a) Das Recht auf Einsicht beschränkt sich nach § 51 Abs. 3 BeurkG auf die Urschrift derjenigen Urkunden, von denen die in § 51 Abs. 1 BeurkG bezeichneten Personen Ausfertigungen oder Abschriften verlangen können. Ob daneben ein Recht auf Einsicht in die Nebenakten des Notars besteht, ist gesetzlich nicht geregelt; § 13 FamFG, in dem - wie früher in § 34 FGG - die Einsichtnahme in Gerichtsakten geregelt ist, ist nicht anwendbar (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 17 zu § 22 Abs. 1 DONot; , BGHZ 109, 260, 273 zu § 34 FGG).
8b) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, der Notar sei deshalb verpflichtet, dem Beteiligten zu 1 Einsicht in die Nebenakten zu gewähren, weil er umfassend, jedenfalls aber im Hinblick auf die Frage nach der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin, von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden worden sei.
9aa) Richtig ist im Ausgangspunkt, dass die Nebenakte des Notars (§ 40 NotAktVV) von der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 18 BNotO erfasst ist (näher Senat, Beschluss vom - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 20 mwN). Deshalb besteht Einigkeit darüber, dass der Notar den in § 51 Abs. 1 BeurkG bezeichneten Personen Einsicht in Dokumente der Notarakte gewähren darf, wenn alle Beteiligten, denen gegenüber er gemäß § 18 Abs. 1 BNotO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, ihr Einverständnis erklären. Fehlt die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht aber, darf die Einsicht nicht gewährt werden (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 18; , BGHZ 109, 260, 273; Eickelberg in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51 Rn. 6; BeckOGK/Regler, BeurkG [], § 51 Rn. 63; BeckOK BeurkG/Kleba [], § 51 Rn. 26; Eschwey/Sander, BNotO, 11. Aufl., § 18 Rn. 50; Grziwotz/Heinemann, BeurkG, 3. Aufl., § 51 Rn. 45; Staudinger/Hertel, BeurkG [2023], Rn. 649; Weingärtner/Ulrich, DNotO/NotAktVV, 14. Aufl., § 22 DONot Rn. 13), und der Notar darf und muss diese verweigern.
10bb) Wie weit die Entbindung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht durch die Präsidentin des Landgerichts als Aufsichtsbehörde für die Erblasserin gemäß § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BNotO (vgl. dazu , DNotZ 2009, 876 Rn. 6) reicht, kann dahinstehen. Denn jedenfalls hat der Notar die Einsicht in die Nebenakten insgesamt verweigert. Ein pflichtwidriges Verhalten, das der Notarbeschwerde zum Erfolg verhelfen könnte, liegt darin nicht.
11(1) Ob der Notar bei Einverständnis aller Beteiligten lediglich berechtigt oder auch verpflichtet ist, Einsicht in die Nebenakte zu gewähren, hat der Bundesgerichtshof bislang offengelassen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 168/12, DNotZ 2013, 711 Rn. 17; , BGHZ 109, 260, 273). Das wird unterschiedlich beurteilt. Die ganz überwiegende Ansicht verneint grundsätzlich eine Pflicht des Notars, einem Beteiligten bzw. dessen Rechtsnachfolgern die Einsicht in die notarielle Nebenakte zu gestatten. Die Gewährung der Einsicht, auch hinsichtlich ihres Umfangs, stehe im Ermessen des Notars (BeckOGK/Regler, BeurkG [], § 51 Rn. 62 f.; Eickelberg in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51 Rn. 6; Frenz/Miermeister/Bremkamp, BNotO, 5. Aufl., § 18 Rn. 28; Frenz/Miermeister/Ellefret, aaO § 22 DONot Rn. 16; Mack in Schöneberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO [2023], § 18 Rn. 24; Winkler, BeurkG, 21. Aufl., § 51 Rn. 37; Klingler, RNotZ 2013, 57, 68 f.; Naumann, MittBayNot 2002, 524 f.; Regler, MittBayNot 2022, 205, 207 f.). Insbesondere bestehe kein Einsichtsrecht in die komplette Akte und auch nicht hinsichtlich der von dem Notar selbst gefertigten Aufzeichnungen, Anmerkungen und Vermerke (vgl. BeckOGK/Regler, aaO Rn. 63; Mack, aaO Rn. 26). Nur vereinzelt wird ein Anspruch eines Beteiligten auf Einsicht in die notarielle Nebenakte in analoger Anwendung von § 51 Abs. 1 BeurkG (vgl. Lerch, BeurkG, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 7; anders allerdings ders., BeurkG, 5. Aufl., § 51 Rn. 15) oder aus § 18 BNotO (vgl. HK-NotarR/Strauß [2022], § 40 NotAktVV Rn. 15) hergeleitet.
12(2) Die zuerst genannte Ansicht trifft zu. Der Notar, der von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die Nebenakte gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber nicht verpflichtet.
13(a) Im Ausgangspunkt gilt für die Nebenakte des Notars seit dem die Vorschrift des § 40 NotAktVV (vgl. Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung über die Führung notarieller Akten und Verzeichnisse sowie zur Änderung der Verordnung über die notarielle Fachprüfung vom , BGBl. I 2246), die die frühere Vorschrift des § 22 DONot ersetzt. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 NotAktVV kann der Notar Nebenakten führen; soweit dies zur Vornahme eines Amtsgeschäfts geboten ist, muss eine Nebenakte geführt werden (§ 40 Abs. 1 Satz 2 NotAktVV). Nebenakten enthalten diejenigen Unterlagen, die im sachlichen Zusammenhang mit einem Amtsgeschäft anfallen, aber nicht Bestandteil der Urkundensammlung werden (vgl. BeckOK BNotO/Sauer [], § 40 NotAktVV Rn. 2; HK-NotarR/Strauß [2022], § 44 NotAktVV Rn. 1). Die Grundsätze der Aktenführung ergeben sich aus § 35 BNotO. Der Notar muss die Verfügbarkeit, die Integrität und die Transparenz der Akten gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 18/10607 S. 53). Damit die Nebenakten zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss des Amtsgeschäfts zur Verfügung stehen, sind sie zu archivieren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NotAktVV). Der Notar führt die Nebenakte im Rahmen dieser Vorgaben in eigener Verantwortung und in pflichtgemäßem Ermessen. Welche Unterlagen er in die Nebenakte aufnimmt, entscheidet er danach, welche Informationen für das jeweilige Amtsgeschäft von Bedeutung sind (vgl. BeckOGK/Regler, BeurkG [], § 51 Rn. 61, 62; Eschwey/Sauer, BNotO, 11. Aufl., § 40 NotAktVV Rn. 7; Klingler in Armbrüster/Preuß, Beurk, 9. Aufl., § 40 NotAktVV Rn. 48; Frenz/Miermeister/Ellefret, BNotO, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 3; HK-NotarR/Strauß [2022], § 40 NotAktVV Rn 1; Regler, MittBayNot 2022, 205, 207). § 40 Abs. 2 NotAktVV enthält lediglich eine unverbindliche und nicht abschließende Aufzählung möglicher Inhalte. Neben den in dem Katalog des § 40 Abs. 2 NotAktVV genannten personenbezogenen Daten sowie dem Schriftverkehr mit Beteiligten und Dritten zählen dazu insbesondere auch Entwürfe oder Anmerkungen, die dem Notar als Gedächtnisstütze und zur Selbstkontrolle dienen. Alle diese Unterlagen sind in erster Linie für interne Zwecke und nicht zur Einsicht eines Beteiligten bestimmt (vgl. BeckOK BeurkG/Kleba [], § 40 NotAktVV Rn. 1; Frenz/Miermeister/Ellefret, BNotO, 5. Aufl., § 22 DONot Rn. 3).
14(b) Das Gesetz sieht ein Einsichtsrecht eines Urkundsbeteiligten in die notarielle Nebenakte nicht vor. Aus der eigenverantwortlichen Führung der Nebenakte folgt im Gegenteil, dass der Notar auch über die Gewährung von Einsicht eines Beteiligten in die Nebenakte eigenverantwortlich entscheidet; eine Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht trifft ihn nicht.
15(aa) § 51 Abs. 3 BeurkG ist auf die Nebenakte des Notars nicht entsprechend anwendbar. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Eine der Vorschrift des § 51 Abs. 3 BeurkG entsprechende Regelung hat der Gesetzgeber für die Nebenakte bewusst nicht geschaffen. Er hat vielmehr mit Inkrafttreten des Beurkundungsgesetzes die das Einsichtsrecht eines Beteiligten in die Akten des Notars regelnde Vorschrift des Art. 22 Abs. 1 des bayerischen Notariatsgesetzes vom 9. Juni 1899 (Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts, Bd. III S. 41) aufgehoben (vgl. Drucks. V/3282 S. 15 unter § 60 Ziff. 7) und zuletzt auch bei der Neuregelung von § 40 NotAktVV davon abgesehen, ein solches Einsichtsrecht (wieder) einzuführen.
16(bb) Das Einverständnis aller Beteiligten, denen gegenüber der Notar gemäß § 18 BNotO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, zur Einsichtnahme in die Nebenakte alleine genügt nicht, um einen Anspruch auf Einsicht zu begründen. Ein solcher Anspruch kann entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht damit begründet werden, der Notar werde im Auftrag der Urkundsbeteiligten tätig und die notarielle Verschwiegenheitspflicht gemäß § 18 BNotO diene nur deren Schutz. Der Notar steht, obwohl § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BNotO von dem „Auftraggeber“ des Notars spricht, zu den Beteiligten nicht in einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis. Anders als der Rechtsanwalt nimmt der Notar seine Amtsgeschäfte aufgrund seiner Eigenschaft als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wahr (§ 1 BNotO; vgl. dazu , BGHZ 109, 260, 273 mwN). Das gilt nicht nur für die Urkundstätigkeit, sondern auch für die sonstige Amtstätigkeit des Notars.
17(cc) Aus dem Umstand, dass die Nebenakte des Notars nach dem Willen des Gesetzgebers auch dem öffentlichen Interesse dient, ergibt sich ebenfalls nicht, dass ein Recht eines Beteiligten auf Einsicht besteht. Hierzu heißt es in den Gesetzesmaterialien lediglich (BR-Drucks. 420/20 S. 60): „Die Führung von Nebenakten liegt im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege, weil sie den Nachweis von Tatsachen erlaubt, die sich nicht unmittelbar aus der Urkunde oder anderweitig zu verwahrenden Dokumenten ergeben. Die Nebenakten können dadurch wertvolle Auslegungshinweise liefern und bei Bedarf Hintergründe beleuchten, die nachträglich von Interesse sind.“ Dass der Gesetzgeber den Beteiligten einen Anspruch gegen den Notar auf Einsicht in die Nebenakte gewähren wollte, ergibt sich daraus nicht. Dem öffentlichen Interesse wird vielmehr dadurch Genüge getan, dass der Notar verpflichtet ist, eine Nebenakte zu führen, wenn dies geboten ist. Die Aufsichtsbehörde (§ 93 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 BNotO) und die Notarkammer (§ 67 Abs. 1 BNotO) haben ein unbeschränktes Recht auf Einsicht in die Notarakte. Insoweit liegt die Führung von Nebenakten zugleich im Interesse des Notars, um ggf. nachweisen zu können, dass er seine Amtspflichten ordnungsgemäß erfüllt hat (BR-Drucks. 420/20 S. 60; BeckOK BNotO/Hushahn [], § 35 Rn. 1; BeckOK BeurkG/Kleba [], § 40 NotAktVV Rn. 1; Frenz/Miermeister/Frohn, BNotO 5. Aufl., § 35 Rn. 2; HK-NotR/Strauß [2022], § 40 NotAktVV Rn. 1). Soweit es in einem Rechtsstreit auf die von dem Notar getroffenen Feststellungen ankommt, kann der von der Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar als Zeuge vernommen werden. Die Nebenakte steht dem Notar zur Vorbereitung seiner Aussage zur Verfügung.
18c) Der Beteiligte zu 1 kann nicht mit der Begründung Einsicht in die Notarakten verlangen, diese enthielten Feststellungen des Notars zur Geschäftsfähigkeit der Erblasserin, die, wegen deren schwerer Erkrankung nach § 11 Abs. 2 BeurkG in die Niederschriften hätten aufgenommen werden müssen.
19aa) Nach § 11 BeurkG soll die Beurkundung abgelehnt werden, falls einem Beteiligten nach Überzeugung des Notars die Geschäftsfähigkeit fehlt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 BeurkG). Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten soll der Notar in der Niederschrift feststellen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BeurkG). Ist ein Beteiligter schwer krank, so soll dies in der Niederschrift vermerkt und angegeben werden, welche Feststellungen der Notar über die Geschäftsfähigkeit getroffen hat (§ 11 Abs. 2 BeurkG). Zweck des Vermerks ist in erster Linie die Beweissicherung. Bei einem späteren Rechtstreit, der die Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten zum Gegenstand hat, soll den Beteiligten die Beweisführung über das Bestehen bzw. das Fehlen der erforderlichen Geschäftsfähigkeit ermöglicht werden (vgl. Piegsa in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 11 Rn. 35).
20bb) Das Bayerische Oberlandesgericht hat ein Einsichtsrecht eines Beteiligten in den Aktenvermerk des Notars bejaht, wenn dieser entgegen § 11 BeurkG Feststellungen über die Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten anlässlich einer Beurkundung nicht in der Niederschrift, sondern in einem von der Urkunde getrennten Aktenvermerk niedergelegt hat. In diesem Fall beurteile sich das Recht auf Einsichtnahme in den Aktenvermerk ausschließlich danach, ob dem Gesuchsteller ein Recht auf Einsicht in die Urkunde selbst zustehe. Habe dieser das Recht auf Erteilung einer Ausfertigung der Urkunde nach § 51 Abs. 1 BeurkG, sei er auch berechtigt, eine beglaubigte Abschrift des Aktenvermerks zu verlangen. Deren Erteilung sei insbesondere nicht davon abhängig, dass in einem solchen Fall sämtliche Beteiligte den Notar von einer dann nicht bestehenden Verschwiegenheitspflicht entbänden (BayObLGZ 1992, 220 ff.).
21cc) Es kann dahinstehen, ob diese Ansicht zutrifft (ablehnend Eickelberg in Armbrüster/Preuß, BeurkG, 9. Aufl., § 51 Rn. 7; Piegsa in Armbrüster/Preuß, aaO § 11 Rn. 44; Staudinger/Hertel, BeurkG [2023], Rn. 339, 649; Mack in Schöneberg-Wessel/Plottek/Sikora, BNotO [2023], § 18 Rn. 25; Winkler, BeurkG, 21. Aufl., § 51 Rn. 41; Kanzleiter, DNotZ 1993, 434, 436; zustimmend Weingärtner/Ulrich, DONot/NotAktVV, 14. Aufl., § 22 DONot Rn.14). Um die Einsicht in den Vermerk, dessen Inhalt er kennt, geht es dem Beteiligten zu 1 nicht.
22(1) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts wäre der Beteiligte zu 1 zwar Berechtigter im Sinne des § 51 Abs. 3 BeurkG. Er ist Rechtsnachfolger der Erblasserin, die ihrerseits Berechtigte im Sinne des § 51 Abs. 1 BeurkG war. Bei mehreren Gesamtrechtsnachfolgern stehen jedem einzelnen die Befugnisse des § 51 BeurkG zu (OLG Karlsruhe, DNotZ 2008, 139 Rn. 14; BeckOGK/Regler, BeurkG [], § 51 Rn. 35).
23(2) Der Beteiligte zu 1 verlangt aber keine Einsicht in den nach Auskunft des Notars in der Nebenakte zu dem Grundstückskaufvertrag enthaltenen handschriftlichen Vermerk über die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin. Er meint vielmehr, der Vermerk „voll geschäftsfähig“ begründe - über ein Recht auf bloße Einsicht in diesen Vermerk hinaus - ein Recht auf vollständige Einsichtnahme in die Nebenakte mit allen die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin betreffenden Indizien, weil der Eintrag „voll geschäftsfähig“ nur den Schluss zulasse, dass die dahingehende Erkenntnis des Notars, auch bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Beurkundung, auf anderen Einträgen in der Nebenakte beruhe. Diese Ansicht trifft nicht zu. Selbst wenn der Notar einen Vermerk über die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin gemäß § 11 Abs. 2 BeurkG in die Niederschrift hätte aufnehmen müssen, berechtigt § 51 Abs. 3 BeurkG den Beteiligten zu 1 jedenfalls nicht dazu, die komplette notarielle Nebenakte einzusehen und nach weiteren Inhalten zu durchsuchen, die er für die Klärung der Frage der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Beurkundung benötigt und von denen er nicht weiß, ob es sie gibt.
242. Das Beschwerdegericht lehnt es auch zu Recht ab, den Notar anzuweisen, dem Beteiligten zu 1 Auskunft darüber zu erteilen, ob und in welcher Form sich in den Nebenakten Vermerke über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin befinden. Ob ein dahingehender Auskunftsanspruch besteht, kann offenbleiben. Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht nämlich an, dass der Notar die verlangte Auskunft jedenfalls erteilt hat. Die Erklärung des Notars, dass ein Vermerk über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht in die Nebenakte aufgenommen worden sei, dort fände sich lediglich seine handschriftliche Notiz „voll geschäftsfähig“, ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht widersprüchlich. Hält der Notar Feststellungen nach § 11 Abs. 1 oder Abs. 2 BeurkG nicht für geboten, kann er gleichwohl für rein interne Zwecke als Erinnerungsstütze einen Vermerk über die Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten in die Nebenakte aufnehmen. Über den Inhalt des internen Vermerks hat der Notar dem Beteiligten zu 1 Auskunft erteilt. Dass die Auskunft unvollständig ist, weil die Nebenakte weitere Vermerke über Feststellungen zu Geschäftsfähigkeit der Erblasserin enthält, vermutet der Beteiligte zu 1 nur. Anhaltspunkte dafür bestehen nicht.
253. Weil der Notar aus den unter 1. genannten Gründen (vgl. Rn. 14 ff.) nicht verpflichtet ist, dem Beteiligten zu 1 Einsicht in die Nebenakten zu gewähren, nimmt das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei an, dass er auch die Erteilung von Ablichtungen verweigern durfte.
IV.
26Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO, § 54 Abs. 2 BeurkG i.V.m. § 84 FamFG.
Brückner Göbel Haberkamp
Laube Grau
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110124BVZB63.22.0
Fundstelle(n):
DNotZ 2024 S. 669 Nr. 9
DNotZ 2024 S. 675 Nr. 9
NJW 2024 S. 10 Nr. 12
NJW 2024 S. 1040 Nr. 15
WM 2024 S. 1923 Nr. 41
TAAAJ-60625