BVerwG Beschluss v. - 8 B 71/19

Erlass von Ordnungsgeldforderungen nach § 325 HGB

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 325 HGB, § 335 HGB, § 9 StGBEG, § 59 Abs 1 S 1 Nr 3 S 1 BHO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 4 A 69/16 Urteilvorgehend Az: 8 K 2353/14 Urteil

Gründe

1Die Beklagte setzte gegenüber der Klägerin Ordnungsgelder wegen der Verletzung von Offenlegungspflichten nach § 325 HGB fest. Den Antrag der Klägerin, die festgesetzten Ordnungsgelder teilweise zu erlassen, lehnte sie ab. Den Widerspruch wies sie zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

2Die auf alle Zulassungsgründe gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

31. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

4Die Frage,

ob sich die Klägerin auf § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 BHO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG als Anspruchsgrundlage für den Erlass der Ordnungsgelder, die die Beklagte ihr gegenüber verhängt hat, stützen kann,

wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie reicht nicht über den vom Berufungsgericht entschiedenen Fall hinaus und könnte daher in einem Revisionsverfahren nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden.

5Die sinngemäße Frage,

ob bei der Beklagten eine einheitliche Verwaltungspraxis besteht, Ordnungsgelder zu erlassen, die gegen Kleinst- oder kleine Kapitalgesellschaften festgesetzt wurden und die in ihrer Gesamtsumme zu verhältnismäßig hohen Forderungen führen,

rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Es handelt sich nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatsachenfrage (vgl. 1 B 68.85 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 109).

6Die sinngemäße Frage,

ob § 59 BHO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG in Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Bundesamt für Justiz und einer privaten Partei, gegen die seitens des Bundesamts ein Ordnungsgeld verhängt worden ist, generell als Anspruchsgrundlage für einen Erlass dieses Ordnungsgeldes gilt,

ist bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, soweit sie die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs betrifft. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgt ein Anspruch auf Gleichbehandlung entsprechend einer im maßgeblichen Zeitpunkt geübten Verwaltungspraxis. Diese kann durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften oder andere Binnenrechtsnormen geprägt sein; maßgeblich ist jedoch stets die tatsächliche Übung (vgl. 10 C 15.14 - BVerwGE 152, 211 Rn. 24).

7Ob hier eine ständige Verwaltungspraxis vorlag, ob sie sich an § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 BHO ausrichtete und ob aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dieser Praxis ein Anspruch auf die begehrte begünstigende Maßnahme folgte, ist keine rechtsgrundsätzliche Frage, sondern eine Frage der Tatsachenfeststellung und der Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter die dargestellten Anspruchsvoraussetzungen. Sie kann nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein.

8Die Frage,

ob nicht gerade in einem derartigen Fall die von der Beklagten gegenüber der Klägerin verhängten Bußgelder auf eine angemessene Höhe pro Fall von 500 € reduziert werden müssen,

kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Auch insoweit formuliert die Klägerin eine einzelfallbezogene Rechtsfrage, deren Bedeutung nicht über ihren Fall hinausreicht.

9Die Frage,

ob eine Rückwirkung des § 335 Abs. 4 HGB in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs vom (BGBl. I S. 3746) auf Altfälle möglich ist,

bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie ohne Weiteres anhand der anerkannten Auslegungsregeln aus dem Gesetz - verneinend - zu beantworten ist. Wie sich aus Art. 70 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 EGHGB ergibt, hat der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Neuregelung ausdrücklich auf Jahres- und Konzernabschlüsse beschränkt, die sich auf einen Abschlussstichtag nach dem beziehen. Die Stichtagsregelung soll gewährleisten, dass die Neuregelung für Kleinst- und kleine Kapitalgesellschaften im Ordnungsgeldverfahren zeitgleich mit den Änderungen der Vorschriften zur Rechnungslegung anwendbar wurde. Außerdem verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, alle vom Bundesamt der Justiz nach § 335 HGB einzuleitenden Ordnungsgeldverfahren einheitlich und zum gleichen Zeitpunkt auf die Neuregelung umzustellen (BT-Drs. 17/13221 S. 11). Die eindeutige Stichtagsanknüpfung und ihr entstehungsgeschichtlich belegter Zweck lassen für eine Rückwirkung auf Abschlüsse vor dem Stichtag keinen Raum.

10Für eine hypothetische Absicht des Gesetzgebers, zur Abwehr von Existenzgefährdungen eine Rückwirkung zugunsten von Gesellschaften wie der Klägerin anzuordnen, fehlt nach den insoweit ungerügten, revisionsrechtlich bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2 VwGO) jeder Anhaltspunkt. Nach diesen Feststellungen spricht nichts für eine Bereitschaft des Gesetzgebers, die Neuregelung rückwirkend Gesellschaften zugutekommen zu lassen, deren Notlage auf die Sanktionierung verschuldeter, hartnäckiger und dauerhafter Verletzungen von Offenlegungspflichten zurückzuführen war.

11Die Frage, ob

in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht auch die Frage der Verjährung der Ordnungsgelder geprüft werden sollte,

wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie über den Streitgegenstand hinausgeht. Das Berufungsgericht hat das Begehren der Klägerin ausgehend von ihrem diesbezüglichen verfahrenseinleitenden Antrag vom dahingehend verstanden, dass sie einen teilweisen Erlass der ihr gegenüber festgesetzten Ordnungsgeldforderungen begehrt. Ob die Klägerin einen Anspruch auf Niederschlagung der ihr gegenüber festgesetzten Ordnungsgelder hätte, weil deren Einziehung wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung (vgl. § 9 EGStGB) keinen Erfolg haben würde, war nach dieser revisionsrechtlich fehlerfreien Auslegung des Klagebegehrens nicht Verfahrensgegenstand.

122. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Der geltend gemachte Rechtssatzwiderspruch zum 3 B 47.85 u.a. - (Buchholz 451.533 AFoG Nr. 7 S. 16 f.) liegt nicht vor. Zu einem Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. § 59 BHO verhält die zitierte Entscheidung sich nicht. Sie erläutert nur den Binnenrechtscharakter der zuletzt genannten Norm und zieht daraus Folgerungen für Fragen der Abgabenordnung. Entscheidungen des Bundessozialgerichts sind nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht divergenzfähig.

133. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht ausreichend substantiiert.

14a) Die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Klägerin hat ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keinen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen R. gestellt. Sie legt auch nicht substantiiert dar, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht dessen Vernehmung oder die Sichtung der von ihm mitgeführten Unterlagen hätte aufdrängen müssen. Überdies wird nicht dargetan, welches Beweisergebnis seine Vernehmung oder die Sichtung dieser Unterlagen erbracht hätte und inwieweit sich daraus eine für die Klägerin günstigere Entscheidung hätte ergeben können (vgl. zu den entsprechenden Darlegungsanforderungen 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 <182> und vom - 1 C 13.03 - Buchholz 420.240 § 87 AuslG Nr. 2).

15b) Der sinngemäß gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß dargelegt. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommen nur Mängel in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Dazu gehören aktenwidrige Feststellungen, die selektive Verwertung des Prozessstoffs oder denkfehlerhafte, aus Gründen der Logik schlechterdings unmögliche oder sonst willkürliche Schlussfolgerungen (BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17, vom - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 und vom - 8 B 106.09 - [insoweit in Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 77 nicht abgedruckt], juris Rn. 31). Solche Mängel werden nicht dargetan. Der unsubstantiierte Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe die seiner Entscheidung zugrunde gelegte Verwaltungspraxis der Beklagten beim Erlass von Ordnungsgeldforderungen willkürlich angenommen, reicht dazu nicht aus. Auch der Hinweis der Klägerin, das Verwaltungsgericht Köln sei in einem anderen Verfahren von einer anderen Verwaltungspraxis ausgegangen, bezeichnet keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung im vorliegenden Fall.

16Schließlich können auch die weiteren, im Stile einer Berufungsbegründung formulierten Angriffe der Klägerin gegen das Berufungsurteil nicht zur Zulassung der Revision führen. Mit ihnen wird weder ausdrücklich noch sinngemäß einer der Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO dargelegt.

17Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:240620B8B71.19.0

Fundstelle(n):
DStR 2020 S. 14 Nr. 43
GmbHR 2020 S. 1075 Nr. 19
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2020 S. 3026
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2020 S. 844
ZIP 2020 S. 2122 Nr. 43
TAAAH-54446