Regelmäßige Arbeitsstätte für Leiharbeitnehmer
Leitsatz
Ein Leiharbeitnehmer verfügt typischerweise nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte.
Gesetze: EStG § 9 Abs. 5EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1, 2, 3, 5
Instanzenzug: (EFG 2009, 242) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
1I. Streitig ist, ob der als Leiharbeitnehmer im Hafengebiet von X tätige Kläger und Revisionskläger (Kläger) eine Auswärtstätigkeit ausübte und daher Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann.
2Der Kläger ist bei A angestellt. Der A verleiht seine Bediensteten an verschiedene andere Firmen im Hafengebiet jeweils kurzfristig entsprechend dem jeweiligen Bedarf. Auf dieser Grundlage ist der Kläger als Hafenarbeiter für andere Firmen im Hafengebiet von X tätig.
3Der Kläger und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin, begehrten im Rahmen ihrer gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.236 € (206 Tage á 6 €) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit. Dazu brachte der Kläger vor, dass sein Arbeitsgebiet alle Häfen in X mit dazugehörigen Hallen und Lagerräumen umfasse und die verschiedenen Einsatzorte im nördlichen Hafengebiet bis zu 5 km auseinander lägen.
4Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte im streitigen Einkommensteuerbescheid sowie im Einspruchsbescheid die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen ab. Der Kläger sei keiner Einsatzwechseltätigkeit nachgegangen, sondern nur an verschiedenen Stellen eines einheitlichen weiträumigen Arbeitsgebiets tätig geworden. Dementsprechend habe der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom VI R 52/05 (BFH/NV 2006, 2237) die Tätigkeit eines Festmachers in einem überschaubaren Teil eines Hafengebiets auch als Arbeit an derselben Tätigkeitsstätte bewertet.
5Das Finanzgericht (FG) wies die Klage auf Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 242 veröffentlichten Gründen ab.
6Der Kläger macht mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend.
7Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den streitigen Einkommensteuerbescheid des Veranlagungszeitraums 2006 vom dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.236 € berücksichtigt werden.
8Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
101. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im streitigen Veranlagungszeitraum 2006 geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG kann ein Arbeitnehmer Mehraufwendungen für seine Verpflegung dann als Werbungskosten abziehen, wenn er vorübergehend von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt entfernt beruflich tätig ist. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG gilt dies entsprechend, wenn er bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird. Auf dieser Grundlage ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwand einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen, wenn sich der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat (geänderte Rechtsprechung seit den Senatsurteilen vom VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, unter II.2.a und II.2.b der Gründe).
11a) Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist jeweils jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig im Betrieb des Arbeitgebers oder im Zweigbetrieb der Fall (vgl. zuletzt , BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475; vom VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564; vom VI R 51/08, BFHE 228, 85), nicht aber bei der Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822).
12b) Tätigkeitsmittelpunkt und regelmäßige Arbeitsstätte im vorgenannten Sinne sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann. Für diesen Fall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (vgl. , BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791; in BFHE 222, 391, BStBl II 2010, 564; in BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475).
13c) Auf Grundlage der gesetzlich angelegten und in der vorgenannten Weise gerechtfertigten Zweiteilung der Berücksichtigung von Erwerbsaufwendungen unterscheiden sich regelmäßige Arbeitsstätte/Tätigkeitsmittelpunkt von Auswärtstätigkeit nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht danach, ob der Arbeitnehmer aus einer ex post-Betrachtung tatsächlich an einem bestimmten Ort für längere Zeit tätig gewesen war, sondern danach, ob sich der Arbeitnehmer zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit („ex ante”) darauf hatte einrichten können, dort dauerhaft tätig zu sein. Deshalb hatte der Senat auch die Frage, ob eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte sein kann, verneint. Denn selbst dann, wenn der Arbeitnehmer jahrelang bei einem bestimmten Kunden seines Arbeitgebers tätig gewesen sein sollte, hatte sich der Arbeitnehmer darauf typischerweise nicht einstellen können.
142. Gemessen daran lag beim Kläger eine Auswärtstätigkeit vor, die grundsätzlich zum Abzug erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwendungen berechtigt.
15a) Denn der Kläger kam weder an einer regelmäßigen Arbeitsstätte noch an einem Tätigkeitsmittelpunkt im vorgenannten Sinne zum Einsatz. Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit an jeweils verschiedenen Orten des Hafens von X bei jeweils unterschiedlichen Auftraggebern seines Arbeitgebers tätig. Der Kläger ging seiner beruflichen Tätigkeit in keinen betrieblichen Einrichtungen seines Arbeitgebers, sondern jeweils in solchen der diversen Kunden seines Arbeitgebers nach. Und der Kläger konnte sich als Leiharbeitnehmer insbesondere nicht darauf einrichten, an einem bestimmten Tätigkeitsmittelpunkt/regelmäßigen Arbeitsstätte dauerhaft tätig zu sein. Denn als Leiharbeitnehmer war er typischerweise stets bei Kunden seines Arbeitgebers tätig. Damit war es zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auch längerfristig an einer bestimmten Tätigkeitsstätte zum Einsatz hätte kommen können, dies war aber letztlich von der konkreten Ausgestaltung und Dauer der jeweiligen vertraglichen Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dessen Kunden abhängig.
16b) Das FA kann sich schließlich auch nicht auf das Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2237 berufen, das davon ausgegangen war, dass ein Festmacher im Hafen von X keine Einsatzwechseltätigkeit ausübte. Denn nach dem in jenem Verfahren festgestellten und mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Sachverhalt hatte dort kein Leiharbeitnehmerverhältnis vorgelegen. Andererseits liegen im Streitfall nach dem festgestellten Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei den jeweiligen Auftraggebern seines Arbeitgebers jeweils länger als drei Monate ununterbrochen tätig war (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG).
17c) Für den Streitfall kann schließlich auch dahinstehen, ob dann, wenn ein Leiharbeitnehmer vom Verleiher für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses dem Entleiher überlassen wird, etwas anderes gilt (in diesem Sinne offensichtlich , BStBl I 2010, S. 21, Beispiel 3). Denn im Streitfall war der Kläger jeweils nur kurzfristig für diverse Kunden seines Arbeitgebers tätig, so dass jedenfalls kein solcher Sonderfall vorgelegen hat.
183. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat —auf Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht— noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger tatsächlich, wie mit der Einkommensteuererklärung geltend gemacht, an 206 Tagen des Streitjahrs 2006 jeweils zwischen 8 und 14 Stunden an den verschiedenen Einsatzorten im Hafen als an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten beschäftigt gewesen war. Die diesbezüglichen Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 852
BB 2010 S. 2141 Nr. 36
BB 2010 S. 2352 Nr. 39
BBK-KN Nr. 157/2010 (Regelmäßige Arbeitsstätte von Leiharbeitnehmern)
BFH/NV 2010 S. 1912 Nr. 10
BFH/PR 2010 S. 420 Nr. 11
BStBl II 2010 S. 852 Nr. 16
DB 2010 S. 11 Nr. 34
DB 2010 S. 1862 Nr. 34
DStR 2010 S. 1715 Nr. 34
DStRE 2010 S. 1085 Nr. 17
EStB 2010 S. 328 Nr. 9
HFR 2010 S. 1031 Nr. 10
KÖSDI 2010 S. 17109 Nr. 9
NJW 2010 S. 3743 Nr. 51
NWB-Eilnachricht Nr. 35/2010 S. 2765
StB 2010 S. 337 Nr. 10
StBW 2010 S. 769 Nr. 17
StC 2010 S. 10 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2010 S. 679
RAAAD-49036