Doppelzahlung oder Überzahlung eines Kunden als Entgelt für eine Leistung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG; Minderung der Bemessungsgrundlage
Leitsatz
1. Entgelt für eine Leistung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG ist alles, was der Leistende für seine Leistung vom Leistungsempfänger erhalten hat, außer der Umsatzsteuer. Zahlt der Kunde die Leistung irrtümlich doppelt oder zahlt er versehentlich zu viel, ist der Gesamtbetrag Entgelt i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG (Anschluss an , BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208).
2. Werden Über- oder Doppelzahlungen zurückgezahlt, liegt eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG vor.
Gesetze: UStG 1993 § 17UStG 1993 § 10 Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. aMwStSystRL 2006/112 Art. 73
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 3 K 2263/03 (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) —eine GmbH— handelt mit Nahrungs- und Genussmitteln und versteuert ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten. In den Jahren 1990 und 1991 kam es nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zu Über- und Doppelzahlungen von Kunden, die sich bis Ende des Jahres 1991 auf insgesamt 84 884,87 DM beliefen.
Hiervon wurde 1993 der Betrag von 26 623,58 DM zurückgezahlt. Nachdem die Klägerin nicht mehr mit einer Rückforderung der verbleibenden 58 260,89 DM rechnete, die sie bis dahin gewinnneutral als Verbindlichkeit gebucht hatte, buchte sie diese im Jahre 1994 (Streitjahr) erfolgswirksam aus.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung, bei der lt. Bericht „von der Stpfl. nicht aufgeklärt werden konnte, worum es sich bei diesen Zahlungen handelte”, sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) in dem Wegfall der Rückforderungserwartung unter Berufung auf § 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) zunächst die Berechtigung zu einer Vorsteuerkürzung und schließlich für eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Das FA erließ einen Änderungsbescheid für 1994, in dem die verbliebenen Über- oder Doppelzahlungen mit dem Nettobetrag als Bemessungsgrundlage erfasst wurden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das FG sah in den Überzahlungen eine nachträgliche Erhöhung des Entgelts, das nicht im Zeitpunkt der Zahlung (1990, 1991), sondern erst in demjenigen Veranlagungszeitraum zu besteuern sei, in dem bei objektiver Betrachtung nicht mehr mit einer Rückforderung nach § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu rechnen sei. Das Urteil des FG ist in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2005, 570 veröffentlicht.
Die Klägerin begründete die (vom Senat zugelassene) Revision wie folgt: § 17 UStG sei nicht auf Fälle anwendbar, in denen die Bemessungsgrundlage von vornherein in einem früheren Veranlagungszeitraum falsch angesetzt worden sei. Die Über- oder Doppelzahlungen hätten in den Jahren 1990/1991 bei Eingang der Zahlungen versteuert werden müssen, denn auch eine Überzahlung gehöre zum Entgelt gemäß § 10 UStG. Eine Änderung für diesen Zeitraum sei jedoch wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich. Das FG habe unzutreffend die umsatzsteuerrechtliche Wirkung einer Überzahlung in einen späteren Veranlagungszeitraum verlegt. Dieser Korrekturzeitpunkt sei vom FG zudem —losgelöst von den zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften— willkürlich bestimmt worden für den Zeitpunkt, in dem nach der subjektiven Auffassung des Entgeltsempfängers nicht mehr mit einer Rückforderung des Zahlenden gerechnet werden könne. Dies führe zu erheblicher Rechtsunsicherheit.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG des Landes Sachsen Anhalt vom 3 K 2263/03 sowie die Einspruchsentscheidung des FA vom aufzuheben und den Umsatzsteueränderungsbescheid 1994 vom dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 92 918,20 DM (= 47 508,33 €) herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es meint, das FG sei zu Recht von einer Änderung der Bemessungsgrundlage im Jahre 1994 ausgegangen. Die tatsächlich erhaltenen Überzahlungen seien zu Recht in den Jahren 1990/1991 nicht als Entgelt behandelt worden, weil die Klägerin in diesen Zeiträumen noch mit einer Rückforderung der Kunden rechnen musste. Erst in dem Wegfall der Rückforderungserwartung im Jahre 1994 sei eine Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten, die zu einer Entgeltserhöhung berechtige.
II.
1. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FA hat im Streitjahr 1994 zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Änderung der Bemessungsgrundlage gemäß § 17 UStG angenommen.
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage geändert hat. Die Höhe der Bemessungsgrundlage bestimmt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG nach dem für eine Lieferung oder sonstige Leistung erhaltenen Entgelt. Entgelt ist „alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer” (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Summe der Empfängeraufwendungen (Bemessungsgrundlage) hat sich im Streitjahr 1994 jedoch nicht (mehr) geändert.
b) Ursprünglich waren als Bemessungsgrundlage in den Jahren 1990 und 1991 die vereinbarten Entgelte einschließlich der Über- und Doppelzahlungen zu erfassen, denn die Kunden haben über die vereinbarten Entgelte hinaus die Gesamtentgelte gezahlt, „um die Leistung zu erhalten”. Dass sie sich hinsichtlich des Umfangs bzw. des Fortbestands der Zahlungsverbindlichkeit im Irrtum befanden, ändert nichts am Zweck der Zahlung, sondern berührt lediglich das Zahlungsmotiv. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits entschieden hat, stellt der Gesamtbetrag der tatsächlich erhaltenen Zahlungen das Entgelt für eine Leistung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG auch bei Überzahlungen dar, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem der Leistung zugrundeliegenden erbracht wurden (, BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208).
c) In der Rückzahlung eines Teils der Überzahlungen im Jahre 1993 ist eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG zu sehen. Soweit der restliche Teil der Überzahlungen endgültig bei der Klägerin verblieb, weil sie (im Streitjahr 1994) davon ausgehen konnte, dass die Kunden ihre verbleibenden Rückzahlungsansprüche auch vor Eintritt der Verjährung nicht mehr weiterverfolgten, lag mangels weiterer Rückzahlung an die Kunden weder eine weitere Minderung der Bemessungsgrundlage vor noch ist im „Wegfall einer Verbindlichkeit” eine nachträgliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage zu sehen. Hierfür besteht auch kein steuerrechtliches Bedürfnis, weil die Umsatzbesteuerung der Gesamtentgelte bereits im Jahr der tatsächlichen Zahlung erfolgt ist.
2. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung (BFH in BFHE 179, 465, BStBl II 1996, 208), die überwiegend Zustimmung erfahren hat, fest (zustimmend FG des Landes Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1 K 1489/00, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst —DStRE— 2002, 242; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., § 10 Rz 4; Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 10 UStG Rz 85; Tehler in Reiß/Kraeusel, UStG § 10 Rz 76; Heuermann, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1995, 294, Umsatzsteuer-Richtlinien —UStR— Abschn. 149 Abs. 3; zweifelnd Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 117 Rz 41, und Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 10 Rz 88). Dafür sind folgende Gründe maßgebend:
a) Für die Anknüpfung des Entgeltes an die tatsächlich erhaltene Gegenleistung spricht bereits der Wortlaut von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach gehört zur Bemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten „erhält oder erhalten soll” (unverändert Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem —MwStSystRL 2006/112—).
b) Auch die historische Auslegung spricht hierfür. Nachdem noch in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 bestimmt war, dass zum Entgelt nur dasjenige gehört, was der Empfänger der Leistung „vereinbarungsgemäß” aufzuwenden hatte, um die Leistung zu erhalten, wurde durch Art. 6 § 1 Nr. 4 des Steueränderungsgesetzes 1973 (vom , BGBl I 1973, 676, 684) diese Fassung durch den heute geltenden Wortlaut mit der Anknüpfung an die tatsächliche Leistung ersetzt (vgl. Birkenfeld, a.a.O., § 116 Rz 13).
c) Die Anknüpfung an das tatsächlich enthaltene Entgelt entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, die Umsatzsteuer letztlich nach dem Entgelt zu bemessen, „das sich aufgrund der von ihm wirklich vereinnahmten Gegenleistung ergibt” (, BFHE 201, 335, BStBl II 2003, 620). Wird ein Entgelt vereinbart, das später ganz oder teilweise uneinbringlich wird, so ist die (höhere) Bemessungsgrundlage nach der ausdrücklichen Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG letztlich nach dem (niedrigeren) verbleibenden Entgelt auszurichten. Nichts anderes kann aber dann auch im umgekehrten Fall gelten, wenn die tatsächliche Zahlung bewusst oder irrtümlich über das vereinbarte Entgelt hinausgeht und erst nachträglich auf die Höhe des vereinbarten Entgelts korrigiert wird.
d) Dem Charakter einer tatsächlich erhaltenen Zahlung als Entgelt steht auch nicht entgegen, dass bei einer Über- oder Doppelzahlung ein Rückzahlungsanspruch des Zahlenden aus ungerechtfertigter Bereicherung besteht. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) führt die Erteilung einer Gutschrift erst dann zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage, wenn der Kunde tatsächlich über die Gutschrift durch Auszahlung oder anderweitig verfügt hat (, Freemans, Slg. 2001, I-4167, BFH/NV Beilage 2001, 185, UR 2001, 349). Dann kann aber vorliegend nichts anderes gelten, wenn der Steuerpflichtige ein erhöhtes Entgelt für seine Leistung erhalten hat und eine —aber nicht realisierte— Rückzahlungsverpflichtung besteht.
e) Schließlich führt die Rechtsauffassung des Senats auch zu praktikablen Ergebnissen, denn gerade in Fällen, in denen —wie im Streitfall— auch im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht genau geklärt werden kann, ob die auf dem Betriebskonto eingegangenen Zahlungen tatsächlich Über- oder Doppelzahlungen sind oder aus sonstigen Gründen erfolgt sind, braucht hier für die Festlegung des Entgelts nicht näher differenziert zu werden, solange feststeht, dass die Zahlungen im Zusammenhang mit den Leistungen des Steuerpflichtigen stehen und kein anderer Rechts- oder Leistungsgrund in Betracht kommt. Auch entfällt —anders als nach der Rechtsauffassung des FG und des FA— die mit Rechtsunsicherheit verbundene Festlegung eines Zeitpunktes, in dem (vor Ablauf der Verjährungsfrist) nicht mehr mit einer Rückzahlungsforderung gerechnet werden muss.
f) Zwar wendet Birkenfeld (a.a.O., § 117 Rz 42) mit Recht ein, dass bei einer Fehlüberweisung ohne vorangegangene Leistung kein steuerbarer Vorgang gegeben ist, weil das Entgelt dann nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Leistung steht. Anders als bei einer Fehlzahlung ist jedoch nach Auffassung des Senats bei einer Über- oder Doppelzahlung der unmittelbare Zusammenhang zwischen Entgeltzahlung und Leistung noch gegeben, weil der Kunde seine vermeintliche Kaufpreisschuld tilgen will und die Über- oder Doppelzahlung im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Leistungsaustausch steht; sie beruht lediglich auf einem Motivirrtum (vgl. Heuermann, Irrtümliche Doppelzahlungen und nicht in Anspruch genommene Gutschriften seitens der Versandhandelskunden, UR 1995, 294, 295).
Im Übrigen wäre auch nach dieser Auffassung die Revision begründet und der Klage stattzugeben. Denn wenn es sich bei einer Doppel- oder Überzahlung nicht um einen steuerbaren Vorgang handeln würde, kann es sich bei dem umgekehrten Fall —der Rückzahlung der Doppel- oder Überzahlung— nicht um eine Entgeltsminderung nach § 17 UStG handeln.
Da somit das FG im Streitjahr 1994 in der Ausbuchung der Verbindlichkeit zu Unrecht eine Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG angenommen hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer antragsgemäß herabzusetzen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 966
BB 2007 S. 2553 Nr. 47
BBK-Kurznachricht Nr. 23/2007 S. 1229
BFH/NV 2007 S. 2431 Nr. 12
BStBl II 2007 S. 966 Nr. 20
DB 2007 S. 2521 Nr. 46
DStRE 2008 S. 30 Nr. 1
GStB 2008 S. 3 Nr. 1
HFR 2008 S. 60 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 46/2007 S. 4047
SJ 2007 S. 11 Nr. 25
StB 2007 S. 444 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2007 S. 872
UR 2007 S. 901 Nr. 23
UStB 2008 S. 3 Nr. 1
UVR 2008 S. 34 Nr. 2
WPg 2008 S. 87 Nr. 2
RAAAC-62540