BMF - IV C 3 - S 2196/22/10006: 005 BStBl 2023 I S. 332

Absetzung für Abnutzung (AfA) von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer (§ 7 Absatz 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz)

Bezug:

Bezug: BStBl 2000 I S. 1532

Bezug: BStBl 2003 I S. 386

Mit Urteil vom – IX R 25/19, BFH/NV 2022 S. 108, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Steuerpflichtige, die sich nach § 7 Absatz 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes berufen, sich jeder Darlegungsmethode bedienen können, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint, soweit daraus Rückschlüsse auf die maßgeblichen Determinanten (z. B. technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen) möglich sind.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten für die Inanspruchnahme der AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer folgende Grundsätze:

Anwendungsregelung

Dieses Schreiben ist ab dem Zeitpunkt seiner Bekanntgabe im Bundessteuerblatt (BStBl) auf alle offenen Fälle anzuwenden.

1. AfA von Gebäuden nach typisierten festen AfA-Sätzen

1Gemäß § 7 Absatz 4 Satz 1 EStG und § 52 Absatz 15 EStG gelten für die lineare AfA von zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäuden typisierte feste Prozentsätze (AfA-Sätze), die in Abhängigkeit von der Nutzungsart (Betriebsgebäude, soweit nicht zu Wohnzwecken genutzt, oder andere) und dem Zeitpunkt der Fertigstellung oder der Stellung des Bauantrages oder des rechtswirksamen Abschlusses des obligatorischen Vertrags 2 oder 2,5 oder 3 oder 4 Prozent betragen. Der jeweils für ein Gebäude anzusetzende AfA-Satz ist unabhängig von der tatsächlichen Nutzungsdauer des Gebäudes und auch unabhängig vom tatsächlichen Alter des Gebäudes anzuwenden. Er gilt daher auch für die Abschreibung einer erworbenen Bestandsimmobilie. Die AfA-Zeiträume für die einzelnen AfA-Sätze sind nicht gleichbedeutend mit der Gesamtnutzungsdauer im Sinne des Bewertungsgesetzes bzw. der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). In der Regel wird die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes länger als der AfA-Zeitraum sein.

2. AfA von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer

2Ist die tatsächliche Nutzungsdauer bei einem Gebäude kürzer als die sich aus der Anwendung des AfA-Satzes ergebende Nutzungsdauer, kann – in begründeten Ausnahmefällen – anstelle der AfA nach § 7 Absatz 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechende AfA vorgenommen werden (§ 7 Absatz 4 Satz 2 EStG). Den Steuerpflichtigen steht insoweit die Option zu, die Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer statt nach typisierten festen AfA-Sätzen vorzunehmen.

3Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann.

4Die AfA nach § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG setzt voraus, dass die tatsächliche Nutzungsdauer

  • bei einem Gebäude, das zu einem Betriebsvermögen gehört und nicht Wohnzwecken dient und

    • für das der Bauantrag/obligatorische Vertrag nach dem und vor dem gestellt/rechtswirksam abgeschlossen wurde, weniger als 25 Jahre (§ 52 Absatz 15 EStG) oder

    • für das der Bauantrag/obligatorische Vertrag nach dem 31. Dezember 2000 gestellt/rechtswirksam abgeschlossen wurde, weniger als 33 1/3 Jahre (§ 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1; § 52 Absatz 15 EStG),

  • bei einem Gebäude, das die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllt und

beträgt.

5Ob der AfA eine die gesetzlich vorgesehenen, typisierten Zeiträume (§ 7 Absatz 4 Satz 1 EStG) unterschreitende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls.

3. Rechtfertigungsgründe für eine AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer

6Für die Bemessung der linearen Gebäude-AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer bedarf es einer konkreten Rechtfertigung auf Grund der objektiven Gegebenheiten. Entscheidend ist, ob das Gebäude vor Ablauf des sich aus § 7 Absatz 4 Satz 1 EStG oder § 52 Absatz 15 EStG ergebenden AfA-Zeitraums objektiv betrachtet technisch oder wirtschaftlich verbraucht ist.

7Bei Anwendung des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG ist die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer – prognostisch – zu bestimmen; dabei sind auch ungewisse künftige Ereignisse zu berücksichtigen. Der Bestimmung der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer ist eine an der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit orientierte Schätzung zu Grunde zu legen. Hierbei finden alle – von den Steuerpflichtigen darzulegenden (, BStBl 1972 II S. 176; , BFH/NV S. 1267) – technischen und wirtschaftlichen Umstände des betreffenden Gebäudes Berücksichtigung.

8Bei der Glaubhaftmachung der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer sind die Steuerpflichtigen in erhöhtem Maße zur Mitwirkung verpflichtet, weil die bei der Schätzung zu berücksichtigenden Faktoren im Einfluss- und Wissensbereich der Steuerpflichtigen liegen.

Abbruchabsicht

9Die Absicht, ein zunächst noch genutztes Gebäude abzubrechen oder zu veräußern, rechtfertigt es nicht, eine kürzere Nutzungsdauer des Gebäudes zugrunde zu legen (, BStBl 1982 II S. 385). Eine Verkürzung der Nutzungsdauer kann erst angenommen werden, wenn die Gebäudeabbruchvorbereitungen soweit gediehen sind, dass die weitere Nutzung in der bisherigen oder einer anderen Weise so gut wie ausgeschlossen ist (, BStBl 1980 II S. 743). Die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechende AfA kann erst vorgenommen werden, wenn der Zeitpunkt der Nutzungsbeendigung des Gebäudes fest steht, z. B. weil sich die Steuerpflichtigen verpflichtet haben, das Gebäude zu einem bestimmten Zeitpunkt abzubrechen (, BStBl 1985 II S. 126).

3.1 Besondere Betriebsgebäude und bestimmte Gebäudeteile, die selbständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind

10Als Gebäude unterliegen auch die in den Randnummern 11 bis 14 angeführten besonderen Betriebsgebäude und Gebäudeteile grundsätzlich der AfA nach typisierten festen AfA-Sätzen. Allerdings kann für diese auch eine kürzere Nutzungsdauer angenommen werden, ohne dass hierfür eine gesonderte Nachweispflicht besteht.

11Für bestimmte betrieblich genutzte Gebäude (z. B. Hallen in Leichtbauweise oder bei Ställen und Schuppen) kann sich jeweils in Abhängigkeit von der Bauart, der Bauweise und der Nutzung aus den amtlichen AfA-Tabellen eine kürzere Nutzungsdauer ergeben.

12Die Abschreibung kann auch bei bestimmten Gebäudeteilen, die selbständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind (z. B. Ladeneinbauten, Schaufensteranlagen und Gaststätteneinbauten, soweit sie keine Betriebsvorrichtungen oder Scheinbestandteile sind, und sonstige selbständige unbewegliche Gebäudeteile (R 4.2 Absatz 3 Satz 3 EStR)), nach den in den amtlichen AfA-Tabellen ( BStBl 2000 I S. 1532) enthaltenen Richtwerten bemessen werden (§ 7 Absatz 5a in Verbindung mit § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG).

13Berufen sich die Steuerpflichtigen auf die in den AfA-Tabellen enthaltenen Richtwerte, sind diese anzusetzen. Wer eine von den amtlichen AfA-Tabellen abweichende Nutzungsdauer geltend macht, hat entsprechende Gründe substantiiert vorzutragen (, BStBl 2011 II S. 696).

14Bei Mietereinbauten und -umbauten (R 4.2 Absatz 3 Satz 3 Nummer 4 EStR), kann sich abweichend zu den für das Gebäude geltenden typisierten AfA-Sätzen eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer aufgrund einer ggf. kürzeren Mietdauer ergeben.

3.2 Gebäude, bei denen die objektiven Umstände im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vermuten lassen

15Bei Gebäuden, bei denen die objektiven Umstände im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vermuten lassen als die sich aus der Anwendung des typisierten festen AfA-Satzes ergebende Nutzungsdauer, kann – in begründeten Ausnahmefällen – anstelle der AfA nach § 7 Absatz 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechende AfA vorgenommen werden (§ 7 Absatz 4 Satz 2 EStG). Den Steuerpflichtigen steht insoweit unter Erbringung eines Einzelnachweises die Option zu, die Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer statt nach typisierten festen AfA-Sätzen vorzunehmen (Randnummern 17 ff.).

16Die AfA von Musterhäusern erfolgt in der Regel nach § 7 Absatz 4 Satz 1 EStG. Für die AfA nach § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG ist zu beachten, dass auch der Zeitraum einer nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb sich voraussichtlich anschließenden Nutzung des Hauses als Wohngebäude einzubeziehen ist. Das gilt auch für auf fremdem Grund und Boden errichtete Fertighäuser, die zum Zwecke der Veräußerung demontiert und andernorts wiederaufgebaut werden müssen (, BStBl 2009 II S. 986).

4. Maßgebliche Kriterien für die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer

17Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird die zu schätzende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer durch bestimmte Einflussfaktoren bestimmt (sog. maßgebliche Determinanten). Zu diesen Einflussfaktoren gehören:

  • der technische Verschleiß,

  • die wirtschaftliche Entwertung sowie

  • rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können.

18Auszugehen ist regelmäßig von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt. Technische und wirtschaftliche Nutzungsdauer fallen in der Regel zusammen. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer ausnahmsweise kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, können sich die Steuerpflichtigen hierauf berufen ( a. a. O.; vom , X R 78/94, BStBl 1998 II S. 59; und vom , X R 54/01, BFH/NV 2004 S. 474, m. w. N.).

19Ausgangspunkt für die Beurteilung des technischen Verschleißes ist die Nutzungsdauer der Tragstruktur des Bauwerks (Dachkonstruktion, tragende Innen- und Außenwände, Geschossdecken und Fundament) als Hauptbestandteil des Gebäudes. Für die Annahme einer kürzeren technischen Nutzungsdauer genügt es nicht, dass lediglich einzelne unselbständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstehen. Dies gilt auch dann nicht, wenn der Aufwand zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes führt und steuerlich den Herstellungskosten zuzurechnen ist ( BStBl 2003 I S. 386).

20Erforderlich ist vielmehr, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile, d. h. insbesondere der Tragstruktur des Bauwerks, das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt ist (, BFH/NV S. 1429).

21Eine mit wirtschaftlicher Entwertung begründete kürzere tatsächliche Nutzungsdauer kann der AfA nur zugrunde gelegt werden, wenn das Gebäude vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist, d.h. wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (anderweitigen) Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist (, BFH/NV S. 1310).

5. Nachweismethoden

22Der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG ist durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, zu erbringen.

23Im Rahmen des Nachweises ist der Zustand des Gebäudes in seinen die Nutzungsdauer bestimmenden Elementen (Tragstruktur des Bauwerks) darzustellen und begründet darzulegen, weshalb am Ende der geltend gemachten (kürzeren) Nutzungsdauer voraussichtlich keine wirtschaftlich sinnvolle (anderweitige) Nachfolgenutzung mehr möglich ist und kein Restwert mehr vorhanden ist. Ein Bausubstanzgutachten im Sinne des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen) ist nicht zwingend erforderlich, kann aber hilfreiche Anhaltspunkte zur Beurteilung des Einzelfalls enthalten ( a. a. O.).

24Die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten ist nicht als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG geeignet. Auch der alleinige Verweis auf die Modellansätze für die Gesamtnutzungsdauer in Verbindung mit dem Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer bei Modernisierungen nach der Anlage 1 und 2 der Immobilienwertermittlungsverordnung [1] ist nicht ausreichend. Der Gutachtenzweck muss sich ausdrücklich auf den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer richten und zwingend die maßgeblichen Determinanten (Randnummer 17) berücksichtigen. Hierbei ist auch eine mögliche Nachfolgenutzung des Gebäudes und deren Auswirkung auf die Nutzungsdauer einzubeziehen. Die Restnutzungsdauer und die Gesamtnutzungsdauer nach der ImmoWertV entsprechen nicht der tatsächlichen Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer eines einzelnen Gebäudes, sondern sind Modellansätze, die nur im Gesamtkontext einer Verkehrswertermittlung zu sachgerechten Ergebnissen führen. Eine isolierte Verwendung der Modelle bzw. Modellansätze der ImmoWertV bzw. der Anlagen zur ImmoWertV für Zwecke des Nachweises einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG ist nicht sachgerecht.

6. Schlussbestimmungen

Dieses Schreiben steht ab sofort für eine Übergangszeit auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen (www.bundesfinanzministerium.de) zur Verfügung.

BMF v. - IV C 3 - S 2196/22/10006: 005

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:




Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BStBl 2023 I Seite 332
DStR 2023 S. 406 Nr. 8
EStB 2023 S. 146 Nr. 4
FR 2023 S. 283 Nr. 6
OAAAJ-34293

1vormals Anlage 3 und 4 der Sachwertrichtlinie vom , BAnz AT B1