Leitsatz
[1] a) Hat der Schuldner vor der Pfändung eine ungünstigere Lohnsteuerklasse in Gläubigerbenachteiligungsabsicht gewählt, so kann er bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags schon im Jahre der Pfändung so behandelt werden, als sei sein Arbeitseinkommen gemäß der günstigeren Lohnsteuerklasse zu versteuern.
b) Wählt der Schuldner nach der Pfändung eine ungünstigere Lohnsteuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so gilt dies auch ohne Gläubigerbenachteiligungsabsicht schon dann, wenn für diese Wahl objektiv kein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist.
Gesetze: ZPO § 850 h
Instanzenzug: LG Frankfurt am Main 2/13 T 152/04 vom AG Bad Homburg 11 M 1019/04 vom
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Vollstreckung wegen einer Geldforderung. Am erwirkte sie einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich des Arbeitseinkommens des Schuldners. Dieser hat am die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Danach verdient er ca. 1.800 € brutto, seine Ehefrau ca. 1.400 € netto. Das Einkommen der Ehefrau des Schuldners wird nach Steuerklasse III, das des Schuldners nach Steuerklasse V versteuert. Der Schuldner erzielt auf diese Weise ein pfändungsfreies Nettoeinkommen, während sich bei einer Einkommensversteuerung nach Steuerklasse IV ein pfändbarer Betrag ergäbe.
Die Gläubigerin beantragte deshalb am die Änderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses dahingehend, dass die Drittschuldnerin den Schuldner bei der Berechnung des pfändbaren Betrags so zu behandeln habe, als würde das Einkommen nach Steuerklasse IV versteuert.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter.
II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Landgericht ist der Auffassung, eine Anordnung, bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens so zu verfahren, als ob Steuerklasse IV gelten würde, könne entsprechend § 850 h ZPO nur getroffen werden, wenn der Schuldner nach erfolgter Pfändung ohne sachlichen Grund die Steuerklasse V wähle. Erst dann liege ein Verstoß gegen § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO vor.
Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber die Meinung, die dahingehende Anordnung sei auch dann zu treffen, wenn der Schuldner vor der Pfändung ohne sachlichen Grund in der Absicht, Einkommensbeträge der Pfändung zu entziehen und damit den Gläubiger zu benachteiligen, die für ihn ungünstigere Steuerklasse gewählt habe, da es sich bei diesem Vorgehen um das rechtsmissbräuchliche Ausnutzen einer steuerlichen Gestaltungsmöglichkeit handele.
2. Die bisherigen Feststellungen tragen die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht.
a) Grundsätzlich kann in der Zwangsvollstreckung nur auf Arbeitseinkommen des Schuldners Zugriff genommen werden, das dieser tatsächlich bezieht. § 850 h Abs. 1 ZPO ermöglicht davon abweichend unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen auch auf Einkommen Zugriff zu nehmen, das tatsächlich einem Dritten zufließt. Darüber hinaus gilt gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift für Leistungen, die der Schuldner tatsächlich unentgeltlich oder gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung erbringt, im Verhältnis zum Gläubiger eine angemessene Vergütung als geschuldet. § 850 h ZPO dient damit dem Gläubigerschutz; es soll verhindert werden, dass durch unlautere Manipulationen Schuldnereinkommen dem Gläubigerzugriff entzogen wird.
b) Eine solche Manipulation kann auch gegeben sein, wenn der Schuldner durch Wahl einer für ihn ungünstigen Steuerklasse ohne sachlichen Grund sein zur Auszahlung kommendes und der Pfändung unterliegendes Nettoarbeitseinkommen verkürzt. In entsprechender Anwendung des § 850 h ZPO kommt in einem solchen Fall eine Anordnung dahingehend in Betracht, dass der Arbeitgeber bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts das sich unter Berücksichtigung der günstigeren Steuerklasse ergebende Nettoeinkommen zugrunde zu legen hat (Schuschke/Walker, ZPO, 3. Aufl., § 850 h Rdn. 11).
c) Umstritten ist, ob erst die nach der Pfändung erfolgte Wahl der ungünstigen Steuerklasse eine solche Anordnung rechtfertigt, oder ob dies auch gilt, wenn diese Wahl bereits vorab erfolgte.
Zum einen wird vertreten, der Gläubiger müsse die vor der Pfändung getroffene Wahl der Steuerklasse im laufenden Jahr in gleicher Weise gegen sich gelten lassen, wie er eine vor der Pfändung wirksam gewordene Abtretung des pfändbaren Teils der Lohnansprüche des Schuldners hinzunehmen hätte (, JurBüro 2000, 217; , Rpfleger 2003, 254). Erst für das Folgejahr könne eine entsprechende Anordnung erfolgen.
Nach anderer Ansicht ist die entsprechende Anordnung auch möglich, wenn die Wahl der ungünstigen Steuerklasse bereits vor erfolgter Pfändung vorgenommen wurde (, JurBüro 2001, 111; LG Krefeld, Beschluss vom - 6 T 160/02, JurBüro 2002, 547).
d) Der Senat schließt sich für einen Fall, in dem der Schuldner vor der Pfändung nachweislich die Wahl der ungünstigeren Steuerklasse in Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorgenommen hat, der letzteren Auffassung an. Der Schuldner ist dann bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags auch schon im Jahre der Pfändung so zu behandeln, als sei sein Arbeitseinkommen gemäß der günstigeren Steuerklasse, hier also Steuerklasse IV, zu versteuern.
Für die Beurteilung der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners sind alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, also insbesondere die Höhe der Einkommen beider Ehegatten, Kenntnis des Schuldners von der Höhe seiner Verschuldung und einer drohenden Zwangsvollstreckung, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung etc.. Wesentlich ist vor allem auch, wann erstmals die ungünstige Steuerklasse gewählt worden ist und ob dies im Zusammenhang mit der Verschuldung und Zwangsvollstreckung geschehen ist. Gibt ein Schuldner keine Auskunft über diesen Zeitpunkt, kann auch dies ein Indiz zu seinen Lasten sein.
Fehlt es an einem Nachweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht, so hat der Gläubiger bezüglich des laufenden Kalenderjahrs die vor der Pfändung getroffene Wahl der Steuerklasse hinzunehmen.
Wählt der Schuldner hingegen nachträglich eine ungünstigere Steuerklasse oder behält er diese für das folgende Kalenderjahr bei, so kann dies schon dann nicht zu Lasten des Gläubigers gehen, wenn für diese Wahl (oder Beibehaltung) der Steuerklasse objektiv kein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist. Für den Folgezeitraum kann dann eine Anordnung entsprechend § 850 h ZPO auch ohne Nachweis einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht ergehen.
e) Da das Beschwerdegericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, zu den maßgeblichen Umständen keine Feststellungen getroffen hat, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht wird hierzu eine weitere Klärung herbeizuführen haben, soweit nicht bezüglich des abgelaufenen Kalenderjahrs 2004, in dem die Pfändung erfolgt ist, eine übereinstimmende Erledigungserklärung seitens der Parteien abgegeben wird. Des weiteren wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob der Schuldner auch für das Kalenderjahr 2005 die Steuerklasse V beibehalten hat und ob hierfür ein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2602 Nr. 48
BFH/NV-Beilage 2006 S. 94 Nr. 1
DStR 2005 S. 2096 Nr. 49
DStZ 2006 S. 95 Nr. 3
HFR 2006 S. 313 Nr. 3
NJW-RR 2006 S. 569 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 51/2005 S. 4336
WM 2005 S. 2324 Nr. 49
OAAAC-03164
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein