Oberste Finanzbehörden der Länder - S 3700 BStBl 2022 I S. 38

Anwendung von Vorschriften des ErbStG nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union

Mit Ablauf des durch das Austrittsabkommen [1] festgelegten Übergangszeitraums ist das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes Königreich) seit dem nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) und ab dem auch nicht mehr wie ein solcher zu behandeln. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) ist gemäß § 37 Absatz 17 ErbStG in Fällen mit Zeitpunkt der Steuerentstehung vor dem mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Vereinigte Königreich weiterhin als Mitgliedstaat der EU gilt.

1. Behandlung von Erwerben mit einer Steuerentstehung vor dem

Das Vereinigte Königreich ist insbesondere bei den nachfolgend aufgeführten Vorschriften wie ein Mitgliedstaat der EU zu behandeln, obwohl es nach dem Austritt mit Ablauf des Übergangszeitraums ab dem ein Drittstaat ist:

1.1 Zu § 13 Absatz 1 Nummer 2 und 3 ErbStG

Nach R E 13.2 Absatz 1 Satz 1 ErbStR sind die Steuerbefreiungen für Gegenstände, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, auch zu gewähren, wenn sie sich in Mitgliedstaaten der EU befinden. Die Steuerbefreiung fällt weg, wenn bewegliche Gegenstände innerhalb von zehn Jahren dauerhaft in einen Drittstaat verbracht werden. Der Austritt des Vereinigten Königreichs führt nicht zum Wegfall der Steuerbefreiung, wenn bewegliche Gegenstände bis zum Ablauf der Behaltensfrist im Vereinigten Königreich verbleiben. Werden Gegenstände, die sich zum Zeitpunkt des Erwerbs im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums befunden haben, während der Behaltensfrist in das Vereinigte Königreich verbracht, führt dies ebenfalls nicht zum Wegfall der Steuerbefreiung.

1.2 Zu § 13 Absatz 1 Nummer 4b und 4c ErbStG

Der Austritt des Vereinigten Königreichs führt nicht zu einem Wegfall der Steuerbefreiung.

1.3 Zu § 13 Absatz 1 Nummer 16 Buchstabe c ErbStG

Der Austritt des Vereinigten Königreichs führt nicht zu einem Wegfall der Steuerbefreiung.

1.4 Steuerbefreiung für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften (§§ 13a, 13b, 13c ErbStG), Tarifbegrenzung (§ 19a ErbStG), Stundung (§ 28 Absatz 1 ErbStG), Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG)

Die Steuerbefreiungen und weiteren Begünstigungen für Unternehmensvermögen sind an die Einhaltung der Lohnsummenregelung und an Behaltensregelungen geknüpft. Der Austritt des Vereinigten Königreichs allein führt nicht zum Wegfall dieser Steuerbefreiungen und weiteren Begünstigungen.

a) Zu § 13a Absatz 3 ErbStG (Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen)

Die an Beschäftigte im Vereinigten Königreich gezahlten Löhne und Gehälter sind bei der Ermittlung der Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen so zu berücksichtigen, als wäre das Vereinigte Königreich weiterhin ein Mitgliedstaat der EU.

Nach R E 13a.7 Absatz 8 ErbStR sind zur Ermittlung der Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen auch Löhne und Gehälter von nachgeordneten Kapitalgesellschaften einzubeziehen, die zwar noch nicht im Besteuerungszeitpunkt, jedoch innerhalb der Lohnsummenfrist zum Betrieb gehören. Handelt es sich bei der Kapitalgesellschaft um eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Vereinigten Königreich, gilt dies auch, wenn der Hinzuerwerb nach dem Austritt aus der EU erfolgt. Entsprechendes gilt, wenn die maßgebende Beteiligungsquote von 25 Prozent an der Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Vereinigten Königreich innerhalb der Lohnsummenfrist überschritten wird.

Bei nachgeordneten Personengesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Vereinigten Königreich sind Löhne und Gehälter unabhängig von einer Mindestbeteiligungsquote einzubeziehen.

b) Zu § 13a Absatz 6 ErbStG (Behaltensregelungen)

Der Austritt des Vereinigten Königreichs bedeutet grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Behaltensregelungen.

In Einbringungs- und Umwandlungsfällen ist eine Übertragung an ein Unternehmen mit Sitz oder Geschäftsleitung im Vereinigten Königreich innerhalb der Behaltensfrist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen unschädlich.

c) Zu § 13a Absatz 6 ErbStG (Reinvestitionsklausel)

Bei der Prüfung der Reinvestitionsklausel nach § 13a Absatz 6 Sätze 3 und 4 ErbStG ist eine Reinvestition in Unternehmensvermögen im Vereinigten Königreich so zu berücksichtigen, als wäre das Vereinigte Königreich weiterhin ein Mitgliedstaat der EU.

d) Zu § 13b Absatz 5 ErbStG (Investitionsklausel)

Bei der Prüfung der Investitionsklausel nach § 13b Absatz 5 ErbStG ist eine Investition in Unternehmensvermögen im Vereinigten Königreich so zu berücksichtigen, als wäre das Vereinigte Königreich weiterhin ein Mitgliedstaat der EU.

e) Zu §§ 13c, 19a, 28 Absatz 1, 28a ErbStG (Verschonungsabschlag bei Großerwerben, Tarifbegrenzung, Stundung, Verschonungsbedarfsprüfung)

Die Ausführungen unter den Buchstaben a) bis d) gelten bei der Anwendung der §§ 13c, 28 Absatz 1 und 28a ErbStG wegen der jeweiligen Verweise auf die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen und auf die Behaltensregelungen entsprechend; bei der Anwendung des § 19a ErbStG die Buchstaben b) bis d).

1.5 Zu § 13d Absatz 3 ErbStG

Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs ergibt sich keine schädliche Auswirkung.

1.6 Zu § 28 Absatz 3 ErbStG

Bei einer Stundung der Steuer nach § 28 Absatz 3 ErbStG für Erwerbe mit Steuerentstehung vor dem führt der Austritt des Vereinigten Königreichs nicht zu einem Wegfall der Stundung.

2. Behandlung von Erwerben mit einer Steuerentstehung nach dem

Für Erwerbe mit einer Steuerentstehung nach dem sind die für Drittstaaten geltenden Regelungen anzuwenden.

Für die Bewertung der übertragenen Anteile nach § 12 ErbStG und die Zuordnung zum begünstigungsfähigen Vermögen nach § 13b Absatz 1 ErbStG ist Folgendes zu beachten:

Nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründete Kapitalgesellschaften, insbesondere in der Rechtsform einer „private company limited by shares“ (Limited), mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland werden — mangels Einhaltung deutscher Gründungsvorschriften und Eintragung im deutschen Handelsregister — für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ab dem in Deutschland nicht als Kapitalgesellschaft behandelt. Die ertragsteuerrechtliche Behandlung bleibt hiervon unberührt.

Sind an der britischen Kapitalgesellschaft mehrere Gesellschafter beteiligt, ist sie zivilrechtlich und damit erbschaft- und schenkungsteuerrechtlich eine Personengesellschaft. Es ist daher zu ermitteln, ob die Gesellschaft unter § 97 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Satz 1 BewG i. d. F. vom (BGBl 2021 I S. 2056) [2] fällt. Dies setzt voraus, dass es sich bei der Gesellschaft ihrer Tätigkeit nach um eine Gesellschaft im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, des § 15 Absatz 3 oder des § 18 Absatz 4 Satz 2 EStG handelt. In diesem Fall ist der Wert der Beteiligung nach § 12 Absatz 5 ErbStG i. V. m. § 151 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BewG festzustellen. Die Bewertung erfolgt nach § 109 Absatz 2 BewG i. V. m. § 11 Absatz 2 BewG. Es handelt sich um eine nach § 13b Absatz 1 Nummer 2 ErbStG begünstigungsfähige Beteiligung.

Sind die Voraussetzungen des § 97 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Satz 1 BewG nicht erfüllt, erfolgt eine Feststellung nach § 151 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 BewG und, wenn Grundbesitz vorhanden ist, eine Feststellung nach § 151 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BewG. Es liegt kein begünstigungsfähiges Vermögen nach § 13b Absatz 1 Nummer 2 ErbStG vor.

Ist an der Gesellschaft eine natürliche Person als Alleingesellschafter beteiligt (Ein-Personen-Limited), wird das Vermögen der Gesellschaft zivilrechtlich der natürlichen Person zugerechnet. Daher ist zu ermitteln, ob die natürliche Person insoweit einen Gewerbebetrieb unterhält. Dies ist gemäß § 95 Absatz 1 Satz 2 BewG i. d. F. vom (BGBl 2021 I S. 2056) der Fall, wenn dem Grunde nach eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Absatz 1 und Absatz 2 EStG vorliegt. Der Wert des Betriebsvermögens ist dann gemäß § 12 Absatz 5 ErbStG i. V. m. § 151 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BewG festzustellen. Die Bewertung erfolgt nach § 109 Absatz 1 BewG i. V. m. § 11 Absatz 2 BewG. Es handelt sich um nach § 13b Absatz 1 Nummer 2 ErbStG begünstigungsfähiges Vermögen.

Britische Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Vereinigten Königreich sind bei Erwerben mit einer Steuerentstehung nach dem als Drittstaatsgesellschaften zu behandeln. Bei den Anteilen handelt es sich nicht um begünstigungsfähiges Vermögen nach § 13b Absatz 1 ErbStG, da sich das Unternehmen in einem Drittstaat befindet.

Inhaltlich gleichlautend
Oberste Finanzbehörden der Länder v. - S 3700
Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg - FM3 - S 3730 - 1/16/9
Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat - 34 - S 3812a - 4/10
Senatsverwaltung für Finanzen Berlin - S 3812 a - 1/2016 - 5
Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg - 36 - S 3730/20#01#01
Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen - S 3715 - 1/2015 - 3/2020
Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg - S 3700 - 2021/005 - 53
Hessisches Ministerium der Finanzen - S 3800 A - 048 - II 6a
Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern - S 3800 - 00000 - 2020/001
Niedersächsisches Finanzministerium - S 3812a - 49 - 351
Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen - S 3900 - 67 - V A 6
Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz - S 3800#2020/0004 - 0401 448
Saarland Ministerium für Finanzen und Europa - S 3700 - 1#003
Sächsisches Staatsministerium der Finanzen - 35 - S 3700/66/3 - 2021/76581
Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt - 43 - S 3800 - 34
Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein - VI 35 - S 3730 - 012
Thüringer Finanzministerium - 1040 - 22 - S 3700/5


Fundstelle(n):
BStBl 2022 I Seite 38
EStB 2022 S. 309 Nr. 8
NAAAI-03275

1Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom (2019/C 384 I/01)

2BStBl 2021 I S. 895