EuGH Urteil v. - C-533/13

Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit – Rechtfertigungsgründe – Gründe des Allgemeininteresses – Verpflichtung zur Überprüfung – Bedeutung

Leitsatz

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit ist dahin auszulegen,

  • dass er nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet ist, indem ihnen eine Überprüfungsverpflichtung auferlegt wird, damit sie sicherstellen, dass etwaige Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit gerechtfertigt sind, und

  • dass er daher die nationalen Gerichte nicht verpflichtet, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit (ABl L 327, S. 9).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Auto- ja Kuljetusalan Työntekijäliitto AKT ry (im Folgenden: AKT), einer Gewerkschaft, auf der einen Seite und der Öljytuote ry, einem Arbeitgeberverband, und der Shell Aviation Finland Oy (im Folgenden: SAF), einem Unternehmen, das Mitglied dieses Verbands ist, auf der anderen Seite wegen Leiharbeitnehmern, die von SAF beschäftigt wurden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 In Kapitel I („Allgemeine Bestimmungen“) der Richtlinie 2008/104 bestimmt Art. 4 („Überprüfung der Einschränkungen und Verbote“):

„(1) Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.

(2) Nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und Gepflogenheiten überprüfen die Mitgliedstaaten bis zum die Einschränkungen oder Verbote des Einsatzes von Leiharbeit, um festzustellen, ob sie aus den in Absatz 1 genannten Gründen gerechtfertigt sind.

(3) Sind solche Einschränkungen oder Verbote durch Tarifverträge festgelegt, so kann die Überprüfung gemäß Absatz 2 von denjenigen Sozialpartnern durchgeführt werden, die die einschlägige Vereinbarung ausgehandelt haben.

(4) Die Absätze 1, 2 und 3 gelten unbeschadet der nationalen Anforderungen hinsichtlich der Eintragung, Zulassung, Zertifizierung, finanziellen Garantie und Überwachung der Leiharbeitsunternehmen.

(5) Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission über die Ergebnisse der Überprüfung gemäß den Absätzen 2 und 3 bis zum .“

4 Nach Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen und sie veröffentlichen, um dieser Richtlinie bis spätestens zum nachzukommen, oder sich vergewissern, dass die Sozialpartner die erforderlichen Vorschriften im Wege von Vereinbarungen festlegen.

Finnisches Recht

5 Die Umsetzung der Richtlinie 2008/104 in innerstaatliches Recht erfolgte durch ein Gesetz zur Änderung des Arbeitsvertragsgesetzes (Työsopimuslaki [55/2001]) und des Gesetzes über entsandte Arbeitnehmer (Lähetyistä työntekijöistä annettu laki [1146/1999]).

6 Aus den dem Gerichtshof übermittelten Angaben geht hervor, dass es im nationalen Recht keine Bestimmung über Verbote oder Einschränkungen im Bereich der Leiharbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie gibt. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Regierung an das Parlament zur Änderung der genannten Gesetze wird dazu ausgeführt, dass „die Richtlinie [2008/104] vorsieht, dass die Mitgliedstaaten eine Überprüfung der Verbote und Einschränkungen von Leiharbeit vornehmen. Es handelt sich um eine punktuelle, für die Mitgliedstaaten bindende administrative Pflicht, alle Einschränkungen und Verbote von Leiharbeit zu überprüfen und die Kommission über die Ergebnisse vor Ablauf der Frist zur Umsetzung [dieser Richtlinie] zu unterrichten. … Die in Art. 4 dieser Richtlinie angeführte Verpflichtung zur Überprüfung erlegt den Mitgliedstaaten nicht auf, ihre Gesetze zu ändern, auch wenn sich nicht alle Einschränkungen oder Verbote von Leiharbeit durch die in Art. 4 Abs. 1 genannten Gründe rechtfertigen lassen.“

7 Die finnische Regierung nahm die nach dieser Bestimmung vorgeschriebene Überprüfung vor und teilte ihre Ergebnisse der Kommission am mit.

8 Der am zwischen dem Teollisuuden ja Työnantajain Keskusliitto (TT, Zentralverband der Industrie und der Arbeitgeber), jetzt Elinkeinoelämän keskusliitto (EK, Zentralverband für das Wirtschaftsleben), und der Suomen Ammattiliittojen Keskusjärjestö (SAK, Dachorganisation der finnischen Gewerkschaften) geschlossene Rahmentarifvertrag definiert u. a. die Bedingungen für den Einsatz nicht unternehmensangehöriger Arbeitskräfte.

9 Ziff. 8.3 dieses Vertrags lautet:

„Unternehmen haben den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben zu beschränken, die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können.

Die Entleihung von Arbeitnehmern ist unlauter, wenn die von einem Leiharbeit in Anspruch nehmenden Unternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmer während eines längeren Zeitraums normale Arbeiten des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern und unter derselben Leitung ausführen.

…“

10 § 29 Abs. 1 des von Öljytuote ry und AKT unterzeichneten Tarifvertrags für die Tankwagen- und Ölproduktebranche (im Folgenden: geltender Tarifvertrag) enthält eine Bestimmung, deren Inhalt Ziff. 8.3 des Rahmentarifvertrags entspricht.

11 Nach § 7 des Tarifvertragsgesetzes (Työehtosopimuslaki [436/1946]) kann ein Leiharbeit in Anspruch nehmendes Unternehmen bei einem Verstoß gegen einen Tarifvertrag zu einer Strafzahlung bis zu einem Höchstbetrag von 29 500 Euro verurteilt werden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12 SAF ist ein Unternehmen, das auf mehreren Flughäfen in Finnland Treibstoff liefert. Seine Arbeitnehmer betanken die Flugzeuge und führen Qualitätskontrollen und andere Assistenztätigkeiten an den Flugzeugen auf diesen Flughäfen durch.

13 Nach einem im Jahr 2010 mit dem Leiharbeitsunternehmen Ametro Oy geschlossenen Vertrag war SAF verpflichtet, bei diesem Unternehmen beschäftigte Leiharbeitnehmer als Krankheitsvertretung oder bei Engpässen einzusetzen. Vor 2010 setzte SAF für diese Aufgaben das Personal eines anderen Leiharbeitsunternehmens ein.

14 Mit ihrer beim Työtuomioistuin (Arbeitsgericht) erhobenen Klage beantragt AKT, Öljytuote ry und SAF wegen eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 des geltenden Tarifvertrags zu einer Strafzahlung nach § 7 des Tarifvertragsgesetzes zu verurteilen. AKT macht geltend, SAF setze seit dem Jahr 2008 dauerhaft und ohne Unterbrechung Leiharbeitnehmer zur Erledigung von Aufgaben ein, die mit denen der eigenen Arbeitnehmer des Unternehmens völlig identisch seien, was einen unlauteren Einsatz von Leiharbeitnehmern im Sinne der fraglichen Tarifvertragsbestimmung darstelle. Die Leiharbeitnehmer würden nämlich im Rahmen der normalen Tätigkeit des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern unter derselben Leistung beschäftigt, obwohl sie nicht über besondere berufliche Kenntnisse verfügten. Außerdem seien – in Mannjahren gerechnet – in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmer eingesetzt worden.

15 Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind hingegen der Ansicht, für den Einsatz von Leiharbeitnehmern hätten berechtigte Gründe vorgelegen, da es sich hauptsächlich um Urlaubsvertretungen und den Ausgleich krankheitsbedingter Abwesenheiten gehandelt habe. Auch verstoße § 29 Abs. 1 des geltenden Tarifvertrags gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104. Diese Tarifvertragsbestimmung betreffe nämlich weder den Schutz der Leiharbeitnehmer noch Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Sie gewährleiste auch nicht das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts und verhindere keine missbräuchlichen Verhaltensweisen. Außerdem enthalte diese Bestimmung Verbote und Einschränkungen, die den Arbeitgebern die Möglichkeit nähmen, die besten Beschäftigungsformen für ihre Tätigkeiten zu wählen, und schränke die Möglichkeit der Leiharbeitsgesellschaften ein, ihre Dienste den Unternehmen anzubieten. Auch wenn es in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sei, müssten die nationalen Gerichte die Verbote und Einschränkungen im Bereich der Leiharbeit, die gegen die Ziele dieser Richtlinie verstießen, unangewendet lassen.

16 Der Työtuomioistuin möchte vor seiner Entscheidung in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit, dass die Bedeutung der Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 vom Gerichtshof klargestellt wird.

17 Dazu führt das vorlegende Gericht aus, es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Bestimmung in Verbindung mit der in den übrigen Absätzen von Art. 4 der Richtlinie vorgesehenen Überprüfungsverpflichtung darauf beschränke, eine einfache verfahrensrechtliche Verpflichtung zur einmaligen Überprüfung aufzuerlegen. Der Wortlaut dieser Bestimmung spreche aber eher dafür, dass sie Verboten und Einschränkungen im Bereich der Leiharbeit entgegenstehe, es sei denn, sie wären aus den dort angeführten Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Als eigenständige Vorschrift verpflichte Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 die Mitgliedstaaten daher, sicherzustellen, dass ihre Rechtsordnungen keine solchen Verbote oder Einschränkungen enthielten.

18 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte die Erreichung des in Art. 2 der Richtlinie angeführten Ziels, Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anzuerkennen und zugleich einen angemessenen Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festzulegen, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen, auf halbem Weg stecken bleiben, wenn Art. 4 Abs. 1 nicht diese Bedeutung erhalte. Zudem müsse die Richtlinie 2008/104 gemäß ihrem 22. Erwägungsgrund in Verbindung mit den Art. 49 AEUV und 56 AEUV über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gelesen werden. Es scheine, dass die in § 29 Abs. 1 des geltenden Tarifvertrags vorgesehenen Einschränkungen, die die Überlassung von Leiharbeitnehmern durch ein in Finnland ebenso wie durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen beträfen, diese Bestimmungen verletzten.

19 Sollte diese Auslegung bestätigt werden, müsste überprüft werden, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dieser Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, und – wenn das der Fall ist – geprüft werden, inwieweit sich ein Einzelner mangels innerstaatlicher Maßnahmen zur Umsetzung dieser Bestimmung der Richtlinie einem anderen Einzelnen gegenüber auf die Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit dieser Bestimmung berufen könnte.

20 Unter diesen Umständen hat das Työtuomioistuin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass den nationalen Behörden einschließlich der Gerichte die dauerhaft geltende Verpflichtung auferlegt wird, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sicherzustellen, dass keine innerstaatlichen Vorschriften oder Tarifvertragsbestimmungen in Kraft sind oder angewandt werden, die einer Vorschrift der Richtlinie zuwiderlaufen?

  2. Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Einsatz von Leiharbeitnehmern nur in den eigens aufgeführten Fällen wie dem Ausgleich von Arbeitsspitzen oder bei Arbeiten, die nicht durch eigene Arbeitnehmer eines Unternehmens erledigt werden können, zulässig ist? Kann der längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben des Unternehmens als verbotener Einsatz von Leiharbeitskräften eingestuft werden?

  3. Welche Mittel stehen, wenn die nationale Regelung als richtlinienwidrig angesehen wird, dem Gericht zur Verfügung, um die Ziele der Richtlinie zu erreichen, wenn es sich um einen von Privaten einzuhaltenden Tarifvertrag handelt?

Zu den Vorlagefragen

21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass den Behörden der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte die Verpflichtung auferlegt wird, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.

22 Nach Ansicht der Beklagten des Ausgangsverfahrens und der ungarischen Regierung ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104, insbesondere aus dem Ausdruck „sind nur … gerechtfertigt“, dass diese Bestimmung Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit verbiete, es sei denn, sie seien aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, und dass sie somit zugunsten dieser Arbeitnehmer, der Leiharbeitsunternehmen und der entleihenden Unternehmen eindeutig Rechte erzeuge, die unmittelbar vor den nationalen Behörden und Gerichten geltend gemacht werden könnten.

23 Es ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Wortlaut dieser Bestimmung zwar hervorgeht, dass nationale Regelungen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, zu denen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, zählen.

24 Zur Bestimmung der genauen Bedeutung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ist jedoch eine Gesamtbetrachtung dieses Artikels und seines Kontextes vorzunehmen.

25 Dazu ist festzustellen, dass sich dieser Artikel mit dem Titel „Überprüfung der Einschränkungen und Verbote“ in dem Kapitel über allgemeine Bestimmungen der Richtlinie 2008/104 befindet.

26 So sieht zum einen Art. 4 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/104 vor, dass die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner oder die Sozialpartner, wenn die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit durch Tarifverträge festgelegt sind, die sie ausgehandelt haben, diese Verbote oder Einschränkungen bis zum überprüfen mussten, „um festzustellen, ob sie aus den in Absatz 1 genannten Gründen gerechtfertigt sind“.

27 Zum anderen waren die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie verpflichtet, die Kommission spätestens bis zu demselben Zeitpunkt über die Ergebnisse der Überprüfung zu informieren.

28 Daraus folgt also, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 in Verbindung mit den anderen Absätzen dieses Artikels nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet ist, indem ihnen auferlegt wird, ihre nationalen Regelungen zu überprüfen, damit sie sicherstellen, dass die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, und die Kommission über die Ergebnisse dieser Überprüfung zu informieren. Solche Verpflichtungen können von den nationalen Gerichten nicht erfüllt werden.

29 Entsprechend dem Ergebnis dieser Überprüfung, die zu einem Zeitpunkt abgeschlossen sein musste, die dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2008/104 gemäß ihrem Art. 11 Abs. 1 entsprach, waren die Mitgliedstaaten, die ihren Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vollständig nachkommen müssen, möglicherweise veranlasst, ihre nationalen Regelungen über Leiharbeit zu ändern.

30 Jedoch steht es den Mitgliedstaaten nichtsdestoweniger frei, zu diesem Zweck entweder die Verbote oder die Einschränkungen, die nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht gerechtfertigt werden können, aufzuheben oder sie anzupassen, damit sie nach dieser Bestimmung gegebenenfalls gerechtfertigt werden können.

31 Folglich ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 in seinem Kontext betrachtet dahin zu verstehen, dass er den Rahmen festlegt, in dem sich die Regelungstätigkeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit abspielen darf, und nicht den Erlass einer bestimmten Regelung in diesem Bereich vorschreibt.

32 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist,

  • dass er nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet ist, indem ihnen eine Überprüfungsverpflichtung auferlegt wird, damit sie sicherstellen, dass etwaige Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit gerechtfertigt sind, und

  • dass er daher die nationalen Gerichte nicht verpflichtet, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.

33 Unter diesen Umständen brauchen die zweite und die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

34 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit ist dahin auszulegen,

  • dass er nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet ist, indem ihnen eine Überprüfungsverpflichtung auferlegt wird, damit sie sicherstellen, dass etwaige Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit gerechtfertigt sind, und

  • dass er daher die nationalen Gerichte nicht verpflichtet, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NAAAE-98068