Zuständigkeit des Urkundsbeamten des FG für die Kostenfestsetzung im erstmaligen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vor dem BFH
Leitsatz
Der Urkundsbeamte des FG ist auch dann für die Kostenfestsetzung nach § 149 Abs. 1 FGO zuständig, wenn der BFH als Gericht der Hauptsache in einem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung entschieden hat, das nicht zuvor beim FG anhängig war.
Gesetze: FGO § 69 Abs. 3 Satz 1FGO § 114 Abs. 2FGO § 149 Abs. 1ZPO § 104 Abs. 1 Satz 1RPflG § 21 Abs. 1 Nr. 1VwGO § 164SGG § 197 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
I.
Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) legte am beim Bundesfinanzhof (BFH) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster (FG) vom 10 K 656/05 E, Ki ein. Mit Schriftsatz vom beantragte er beim BFH die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einkommensteuerbescheides des Streitjahres im angefochtenen Umfang. Mit wurde dem Kläger die beantragte AdV gewährt. Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom beim BFH die Festsetzung der Kosten für das AdV-Verfahren.
Der Kostenfestsetzungsantrag wurde am unter Hinweis auf die Zuständigkeitsregelung des § 149 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG mit der Bitte um Vornahme der Kostenfestsetzung übersandt. Der Urkundsbeamte des FG hat die Kostenfestsetzung abgelehnt, da der BFH für die Kostenfestsetzung zuständig sei.
II.
Der Antrag des Klägers auf Festsetzung der Kosten des AdV-Verfahrens ist unzulässig und daher abzulehnen. Der Urkundsbeamte des BFH ist für die Kostenfestsetzung nicht zuständig. Die Kostenfestsetzung ist gemäß § 149 Abs. 1 FGO vom Urkundsbeamten des FG als dem Gericht des ersten Rechtszugs vorzunehmen.
1. Gemäß § 149 Abs. 1 FGO werden die den Beteiligten zu erstattenden Aufwendungen auf Antrag von dem Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszugs festgesetzt. Gericht des ersten Rechtszugs ist für das Hauptsacheverfahren stets das FG. Das FG ist jedoch auch dann als Gericht des ersten Rechtszugs i.S. des § 149 Abs. 1 FGO anzusehen, wenn —wie im vorliegenden Fall— der BFH als Gericht der Hauptsache mit einem nicht zuvor beim FG anhängigen (erstmaligen) AdV-Verfahren befasst wird (Entscheidung des Urkundsbeamten des , BFHE 88, 368, BStBl III 1967, 422; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 149 Rz 32; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 149 Rz 6; Schwarz in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 149 FGO Rz 3; anderer Ansicht Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 149 FGO Rz 6; Bartone in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., FGO, § 149 Rz 2).
a) Der Wortlaut des § 149 Abs. 1 FGO ist nicht eindeutig. Er lässt zum einen eine Auslegung dahin gehend zu, dass es allein auf die abstrakte sachliche Zuständigkeit ankommt, nach der das FG stets das Gericht des ersten Rechtszugs bildet. Zum anderen erscheint es nach dem Wortlaut auch möglich, auf die den Einzelfall betreffende konkrete Zuständigkeit abzustellen. Danach wäre bei einem AdV-Verfahren, das erstmalig beim BFH anhängig wird, der BFH als Gericht des ersten Rechtszugs anzusehen (vgl. Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 149 Rz 34; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 149 FGO Rz 3).
b) Sinn und Zweck des § 149 Abs. 1 FGO ist die Schaffung einer generellen Zuständigkeit des Urkundsbeamten des FG für alle Kostenfestsetzungen, um eine schnellere und ortsnähere Kostenfestsetzung zu gewährleisten (Entscheidung des Urkundsbeamten des BFH in BFHE 88, 368, BStBl III 1967, 422; vgl. Kummer in Peters/Sautter/Wolff, 4. Aufl., SGG, § 197 Tz. 2.). Die Zuständigkeitskonzentration gilt damit auch für erstmalige AdV-Verfahren beim BFH. Das AdV-Verfahren ist zwar als selbständiges Verfahren vom Verfahren in der Hauptsache losgelöst, so dass der BFH bei einem erstmaligen AdV-Verfahren erstinstanzlich tätig wird (Bartone in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., FGO, § 149 Rz 2). Ein erstmaliges AdV-Verfahren vor dem BFH ist jedoch nur dann möglich, wenn beim BFH zugleich ein Revisions- oder Beschwerdeverfahren anhängig ist (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 132, m.w.N.). Ein solches Hauptverfahren setzt aber voraus, dass beim FG bereits ein erstinstanzliches Hauptverfahren durchgeführt worden ist. Das AdV-Verfahren stellt damit trotz seiner formellen Selbständigkeit lediglich ein Nebenverfahren zum Verfahren in der Hauptsache dar (Entscheidung des Urkundsbeamten des BFH in BFHE 88, 368, BStBl III 1967, 422; vgl. auch Oberverwaltungsgericht —OVG— Lüneburg, Beschluss vom 3 OVG D 2/85, OVGE 39, 386, m.w.N.).
Die Zuständigkeit des BFH für einen nach Abschluss des Klageverfahrens vor dem FG gestellten AdV-Antrag ergibt sich allein daraus, dass der BFH aufgrund des bei ihm anhängigen Revisions- oder Beschwerdeverfahrens zum Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO geworden ist. Der Begriff des „Gerichts der Hauptsache” deckt sich indessen nicht mit dem für die Kostenfestsetzung nach § 149 Abs. 1 FGO maßgeblichen Begriff des „Gerichts des ersten Rechtszugs”. Dies ergibt sich insbesondere aus § 114 Abs. 2 FGO, der bei der Regelung der Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Anordnungen zwischen dem Gericht der Hauptsache in Satz 1 und dem Gericht des ersten Rechtszugs in Satz 2 differenziert (Brandt in Beermann/ Gosch, FGO § 149 Rz 34).
c) Aus dem systematischen Zusammenhang des § 149 Abs. 1 FGO zur Regelung des § 114 Abs. 2 FGO folgt, dass als Gericht des ersten Rechtszugs stets das FG anzusehen ist. Während gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 FGO für den Erlass einstweiliger Anordnungen —in Übereinstimmung mit § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO— das Gericht der Hauptsache zuständig ist, weist § 114 Abs. 2 Satz 2 FGO die Zuständigkeit stets dem Gericht des ersten Rechtszugs zu. Als Gericht des ersten Rechtszugs kommt hierbei ausschließlich das FG in Betracht, da durch die Regelung in § 114 Abs. 2 Satz 2 FGO erreicht wird, dass die einstweilige Anordnung auch dann vom FG zu erlassen ist, wenn in der Hauptsache bereits ein Revisions- oder Beschwerdeverfahren beim BFH anhängig ist (ständige Rechtsprechung des BFH, zuletzt Beschluss vom VIII S 15/03, BFH/NV 2004, 81; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 114 Rz 7; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Rz 62, jeweils m.w.N.). Das FG verliert die Eigenschaft als Gericht des ersten Rechtszugs damit nicht dadurch, dass es während des Revisions- oder Beschwerdeverfahrens nicht mehr Gericht der Hauptsache ist (Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 149 Rz 34).
2. Entsprechend zur Regelung des § 149 Abs. 1 FGO ist auch im zivil-, sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Rechtspfleger bzw. Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs für die Kostenfestsetzung zuständig. Als Gericht des ersten Rechtszugs wird hierbei übereinstimmend das jeweilige Gericht der ersten Instanz angesehen.
a) In zivilrechtlichen Streitigkeiten entscheidet gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Rechtspflegergesetzes der Rechtspfleger beim Gericht des ersten Rechtszugs über den Antrag auf Kostenfestsetzung. In der zivilrechtlichen Literatur wird einhellig die Auffassung vertreten, dass damit ausschließlich der Rechtspfleger des Prozessgerichts der ersten Instanz, also des Amts- oder Landgerichts, für die Kostenfestsetzung zuständig ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich um die Kostenfestsetzung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, das erstmalig beim Berufungsgericht anhängig geworden ist (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rz 14; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 104 Rz 21 Stichwort „Zuständigkeit"; MünchKommZPO/Belz, 2. Aufl., § 103 Rz 57; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 65. Auflage, § 103 Rz 41).
b) Für das Verwaltungsprozessrecht regelt § 164 der Verwaltungsgerichtsordnung, dass —in Übereinstimmung mit § 149 Abs. 1 FGO— der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten festsetzt. Hierzu wird ebenfalls angenommen, dass das Gericht der ersten Instanz über die Kostenfestsetzung im Rahmen eines Eilverfahrens entscheidet, das während eines Berufungsverfahrens in der Hauptsache beim Berufungsgericht anhängig geworden ist (OVG Lüneburg in OVGE 39, 386; Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 164 Rz 9; anderer Ansicht Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 164 Rz 35).
c) Im Verfahren vor den Sozialgerichten ist gemäß § 197 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes —in Übereinstimmung mit § 149 Abs. 1 FGO— die Kostenfestsetzung auf Antrag vom Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszugs vorzunehmen. Die Zuständigkeit für die Kostenfestsetzung liegt damit stets beim Urkundsbeamten des Sozialgerichts, auch wenn die Kostengrundentscheidung vom Berufungs- oder Revisionsgericht getroffen worden ist (Kummer in Peters/Sautter/Wolff, 4. Aufl., SGG, § 197 Tz. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl., SGG, § 197 Rz 4; Knittel in Hennig, SGG, § 197 Rz 5).
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 306
AO-StB 2008 S. 63 Nr. 3
BB 2008 S. 246 Nr. 6
BFH/NV 2008 S. 488 Nr. 3
BStBl II 2008 S. 306 Nr. 8
DStRE 2008 S. 595 Nr. 9
HFR 2008 S. 257 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2008 S. 413
StBW 2008 S. 5 Nr. 4
NAAAC-68901