Beschränkung des Betreuungsfreibetrags auf Kinder bis zu 16 Jahren verfassungsgemäß [NWB EN-Nr. 1347/2004]
Leitsatz
Es ist verfassungsgemäß, dass der durch § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG i.d.F. des FamFöG für die Jahre 2000 und 2001 eingeführte Betreuungsfreibetrag nur für Kinder, welche das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert sind, gewährt wurde.
Gesetze: EStG (i.d.F. des FamFöG) EStG (i.d.F. des FamFöG) § 32 Abs. 6 Satz 1GG Art. 3GG Art. 6
Instanzenzug: (EFG 2004, 992) (Verfahrensverlauf), , BVerfG 2 BvR 2115/04
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben drei in den Jahren 1977, 1979 und 1983 geborene Kinder. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) zog in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 gemäß § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für zwei Kinder einen Kinderfreibetrag in Höhe von insgesamt 13 824 DM ab; für das weitere Kind hatte die sog. Günstigerprüfung gemäß § 31 Satz 4 EStG dazu geführt, dass die steuerliche Freistellung des Existenzminimums durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden war. Einen Betreuungsfreibetrag zog das FA im Einklang mit der in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG getroffenen Regelung nicht ab, da die Kinder der Kläger jeweils das 16. Lebensjahr vollendet hatten.
Nach erfolglosem Einspruch begehrten die Kläger mit ihrer Klage den Abzug von drei Betreuungsfreibeträgen von insgesamt 9 072 DM. Sie machten geltend, die in § 32 Abs. 6 EStG getroffene Regelung sei insoweit verfassungswidrig, als der Gesetzgeber den Betreuungsfreibetrag auf Kinder unter 16 Jahren beschränkt habe. Diese Beschränkung widerspreche dem Beschluss des Zweiten Senats des , 1226/91, 980/91 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182). Danach sei für alle Kinder, für die der Steuerpflichtige Kindergeld oder Kinderfreibeträge erhalte, spätestens ab dem ein Kinderbetreuungsfreibetrag in Höhe von 4 000 DM für das erste und in Höhe von 2 000 DM für weitere Kinder anzusetzen. Dem Beschluss sei keine Beschränkung auf Kinder bis zu 16 Jahren zu entnehmen. Die Nichtberücksichtigung eines Betreuungsbedarfs für Kinder über 16 Jahre verstoße deshalb gegen die Auflage des BVerfG an den Gesetzgeber. Daher erhalte Ziffer 5 des Tenors des BVerfG-Beschlusses mit der Folge Gesetzeskraft, dass ihnen, den Klägern, auf jeden Fall ein Freibetrag von 8 000 DM gewährt werden müsse.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 992 veröffentlichten Urteil ab. Es entschied, § 32 Abs. 6 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Familienförderung (FamFöG) vom (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) sei auch insoweit verfassungsgemäß, als ein Betreuungsfreibetrag nur für Kinder, welche das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu berücksichtigen sei. Der Gesetzgeber habe die Altersgrenze des § 33c EStG a.F. übernehmen können. Denn das BVerfG habe in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 die Altersgrenze von 16 Jahren nicht beanstandet.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision einen Verstoß gegen Art. 3 und 6 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, insbesondere gegen Ziffer 5 des Tenors, sowie Verfahrensfehler.
Sie beantragen,
1. die Vorentscheidung aufzuheben,
2. das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 GG eine Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 32 Abs. 6 EStG einzuholen im Hinblick auf die erforderliche Altersgrenze (Vollendung des 16. Lebensjahrs) und
3. den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin gehend zu ändern, dass für drei Kinder Kinderbetreuungsfreibeträge in Höhe von insgesamt 9 072 DM berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der Fassung des FamFöG auch insoweit mit dem Grundgesetz im Einklang steht, als ein Betreuungsfreibetrag nur für jedes Kind berücksichtigt wird, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert ist. Es verstößt entgegen der Auffassung der Revision nicht gegen den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 und Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, dass im Streitjahr 2000 für Kinder ab Vollendung des 16. Lebensjahrs kein Betreuungsfreibetrag abzuziehen war.
1. Der Zweite Senat des BVerfG hat im Tenor seines Beschlusses in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, § 33c Abs. 1 bis 4 EStG seit seiner Einführung durch Art. 3 Nr. 19 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 (StBereinG 1985) vom (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) einschließlich aller nachfolgenden Fassungen nur insoweit für mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar erklärt, als er die in ehelicher Gemeinschaft lebenden, unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit ausschließt. Er hat auch in den Entscheidungsgründen nicht die Ansicht vertreten, dass es gegen das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) verstoße, wenn der Abzug von Kinderbetreuungskosten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass die Kinder nicht älter als 16 Jahre sein dürfen.
a) § 33c EStG war durch das StBereinG 1985 in das EStG eingefügt worden, um einer Auflage eines Urteils des Ersten Senats des , 1335/78, 1104/79, 363/80 (BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717) nachzukommen. Dieser hatte entschieden, im Einkommensteuerrecht dürfe nicht außer Acht bleiben, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berufstätiger Alleinstehender mit Kindern durch zusätzlichen zwangsläufigen Betreuungsaufwand gemindert sein könne, der bei Ehepaaren typischerweise nicht entstehe oder —bei Berufstätigkeit beider Ehepartner— leichter getragen werden könne.
Der Gesetzgeber entschied sich in Erfüllung dieser Auflage dafür, bei Alleinstehenden Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines Kindes, das zu Beginn des Kalenderjahres das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Er setzte die Altersgrenze für die in Betracht kommenden Kinder mit der Begründung auf das 16. Lebensjahr fest, dass „bei älteren Kindern ein zusätzlicher zwangsläufiger Betreuungsaufwand im Sinne des Urteils vom typischerweise nicht mehr anfällt” (BTDrucks 10/1636, S. 58).
Die Altersgrenze von 16 Jahren ist bis zur Aufhebung des § 33c EStG durch Art. 1 Nr. 13 des FamFöG vom beibehalten worden. Der Gesetzgeber hat an ihr auch dann festgehalten, als er durch Art. 1 Nr. 4 des Steueränderungsgesetzes 1991 (StÄndG 1991) vom (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) die Altersgrenze für den Kinderfreibetrag in § 32 Abs. 3 und 4 EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1992 (vgl. § 52 Abs. 21 b EStG 1992) dahin änderte, dass Kinder von Amts wegen, d.h. ohne besonderen Antrag, bis zum 18. Lebensjahr und nicht nur bis zum 16. Lebensjahr berücksichtigt werden. Die Anhebung der Altersgrenze des Kinderfreibetrags auf 18 Jahre war damit begründet worden, dass die Schul- und Berufsausbildung der Jugendlichen länger dauere und die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren, die bereits voll im Erwerbsleben stünden, viel geringer sei als in früheren Jahren (vgl. BTDrucks 12/402, S. 7, zu Art. 1 Nr. 4 Buchst. a). Die Änderung beim Kinderfreibetrag sollte aber nicht auf die Kinderbetreuungskosten des § 33c EStG durchschlagen, weil derartige Kosten typischerweise nicht mehr bei Kindern im Alter über 16 Jahre anfielen (so BTDrucks 12/402, S. 7, zu Art. 1 Nr. 4 Buchst. b).
b) Den Entscheidungsgründen des Beschlusses in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 kann bei verständiger Würdigung nicht entnommen werden, das BVerfG sei der Auffassung gewesen, Kinderbetreuungskosten seien von Verfassungs wegen über die Vollendung des 16. Lebensjahres eines Kindes hinaus zu berücksichtigen.
aa) Das BVerfG hat sich nicht darauf beschränkt, § 33c EStG insoweit für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären, als in ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern vom Abzug der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit gleichheitswidrig ausgeschlossen worden seien. Es hat über die Entscheidung im Tenor des Beschlusses hinaus in den Entscheidungsgründen (unter B.II.1.b und C.I.) die Ansicht vertreten, es sei nach dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geboten, den Betreuungsaufwand für Kinder bei allen Eltern steuerrechtlich unabhängig davon zu berücksichtigen, ob und in welchem zeitlichen Rahmen die Betreuung durch Dritte wahrgenommen werde. Der Betreuungsaufwand sei unabhängig von Krankheit, Behinderung oder Erwerbstätigkeit der Eltern —ebenso wie der Versorgungsaufwand— in das Existenzminimum des Kindes einzurechnen.
Durch diese Ausführungen wollte das BVerfG sicherstellen, dass die dem Gesetzgeber aufgegebene Neuregelung zugunsten aller Eltern auch den weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen und der Abzug von Betreuungskosten nicht —wie in § 33c EStG— an weitere Voraussetzungen in der Person der Eltern geknüpft würde. In diesem Zusammenhang hätte sich aber ein Hinweis darauf, dass die Altersgrenze von 16 Jahren zu niedrig sei, aufgedrängt, wenn das BVerfG tatsächlich der Meinung gewesen wäre, die in § 33c EStG getroffene Regelung sei auch insoweit verfassungswidrig, als der Abzug von Kinderbetreuungskosten auf Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres beschränkt sei.
bb) Etwas Anderes ergibt sich bei einer zutreffenden und nicht am Wortlaut haftenden Auslegung auch nicht aus den Ausführungen des BVerfG unter Abschnitt C.I. der Gründe des Beschlusses in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182. Danach hat der Gesetzgeber bei der einkommensteuerlichen Verschonung des Betreuungsbedarfs eine gleiche betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei allen Eltern zu berücksichtigen und „dementsprechend den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld zu erhöhen”.
Gleiches trifft für die Entscheidungsgründe unter Abschnitt D.II. des Beschlusses in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 zu. Für den Fall, dass der Gesetzgeber die ihm aufgegebene Neuregelung der Kinderbetreuungskosten nicht mit Wirkung bis zum in Kraft gesetzt haben sollte, hat das BVerfG bestimmt, dass dann ab dem Veranlagungszeitraum 2000 von Verfassungs wegen 4 000 DM im Jahr bei der Feststellung des zu versteuernden Einkommens —als Erhöhung des Kinderfreibetrages— vom Einkommen i.S. des § 2 Abs. 4 EStG abzuziehen seien, „wenn der Steuerpflichtige für ein Kind einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält”. Der Betrag erhöhe sich pro Veranlagungsjahr um 2 000 DM für jedes weitere Kind, „für das der Steuerpflichtige einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält”.
Diese Äußerungen sind einschränkend zu verstehen, weil ein wortlautgemäßes Verständnis zu Widersprüchen zu der sonstigen Rechtsprechung des BVerfG führen würde (argumentum ad absurdum). Kindergeld oder Kinderfreibetrag können für Kinder bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG) und in Ausnahmefällen (§ 32 Abs. 5, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG) sogar noch darüber hinaus gewährt werden. Das BVerfG hat das Gebot der steuerlichen Entlastung aller Eltern wegen des Betreuungsbedarfs ihrer Kinder aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abgeleitet. Nach Abs. 2 sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Das BVerfG hat in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 (unter Abschnitt B.I.3.a der Gründe) von der „elterlichen Pflicht zur Erziehung und Betreuung ihrer Kinder” gesprochen. Daraus kann gefolgert werden, dass es die Begriffe „Pflege” und „Betreuung” in diesem Zusammenhang für austauschbar gehalten hat. Zu der in Art. 6 Abs. 2 GG geregelten Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit hat es jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass diese mit der Volljährigkeit des Kindes erlischt (, BVerfGE 59, 360, 382; BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvR 857/85, BVerfGE 72, 122, 137; vom 2 BvR 209/84, BVerfGE 74, 102, 125).
Auch im Zivilrecht beschränkt sich die Pflicht der Eltern, das —nicht behinderte— Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen, auf minderjährige Kinder (vgl. §§ 1626 Abs. 1 Satz 1, 1631 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—; vgl. auch , Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2002, 815). Es wäre aber widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, aus Art. 6 Abs. 2 GG zugunsten aller Eltern wegen des Betreuungsbedarfs eines Kindes die Verpflichtung zu einem steuerlichen Entlastungstatbestand auch noch für solche Zeiträume abzuleiten, in denen dieser Bedarf des Kindes nach der eigenen Rechtsprechung des BVerfG und nach den zivilrechtlichen Vorschriften tatsächlich nicht mehr besteht.
cc) Das BVerfG kann auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung auch nicht gemeint haben, dass der Freibetrag für die Kinderbetreuung bis zur Volljährigkeit des Kindes zu gewähren sei.
aaa) Das BVerfG hat in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 den Gesetzgeber nicht nur verpflichtet, bei allen Eltern Kinderbetreuungskosten steuermindernd zu berücksichtigen. Es hat ihm darüber hinaus aufgegeben, in einem weiteren Reformschritt mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 die verminderte steuerliche Leistungsfähigkeit von Eltern durch den Erziehungsbedarf ihrer Kinder zu berücksichtigen (unter Abschnitt D.I.2. der Gründe). Es hat ihm nahegelegt, die gesamte kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit in einem Grundtatbestand zu erfassen, der alle kinderbezogenen Entlastungen umfasst und dessen Voraussetzungen allein durch die Angabe familienbezogener Daten dargelegt werden können.
Das BVerfG hat damit bei der steuerlichen Entlastung der Eltern jedenfalls für den ersten Reformschritt zwischen der Betreuung (Pflege) und der Erziehung der Kinder unterschieden. Im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich der Begriff „Pflege” mehr auf das körperliche Wohl und der Begriff „Erziehung” mehr auf die sittliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes bezieht (vgl. z.B. Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., § 1631 Rn. 4). Umstritten ist aber, ob die Begriffe als Einheit zur Gesamtsorge des Kindes und ineinander übergehend zu verstehen (so z.B. Robbers in Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., Art. 6 Abs. 2 GG Rn. 143; Coester-Waltjen in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., Art. 6 Rn. 63; Badura in Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 6 GG Rn. 107; Salgo in J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 4, Familienrecht, § 1631 BGB Rn. 22; Huber in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 8, Familienrecht II, § 1631 BGB Rn. 4) oder scharf zu unterscheiden sind (so z.B. Umbach in Umbach/Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Art. 6 Rn. 74; Gröschner in Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Art. 6 Rn. 77). Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 trotz der Trennung für den ersten Reformschritt letztlich dadurch der Gesamtbetrachtung angenähert, dass es für den zweiten Reformschritt einen vereinheitlichten Entlastungstatbestand des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs angeregt hat.
bbb) Geht man entsprechend den Vorgaben des BVerfG für den ersten Reformschritt von einer Trennung der Begriffe und davon aus, dass sich der Begriff der Betreuung wie derjenige der „Pflege” auf das körperliche Wohl des Kindes bezieht, dann entspricht es der Lebenserfahrung, dass dieser Bedarf eines Kindes mit zunehmendem Alter zurückgeht. Auch das BVerfG geht von einer mit zunehmendem Alter des Kindes abnehmenden Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit aus (vgl. BVerfG in BVerfGE 72, 122, 237, m.w.N.). Deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber seit Einführung des § 33c EStG durch das StBereinG 1985 in typisierender Betrachtung angenommen hat, dass der Betreuungsbedarf ab Vollendung des 16. Lebensjahres des Kindes so gering ist, dass er —anders als die Kosten für das sächliche Existenzminimum eines Kindes und ggf. die Berufsausbildungskosten gemäß § 33a Abs. 2 EStG— nicht mehr zu einer Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern führt (vgl. auch z.B. Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 23. Aufl., § 32 Rn. 56; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rn. 133; Jachmann in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rdnr. A 90, 91; Schöberle, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 693, 697; Nolde, Finanz-Rundschau —FR— 2000, 187, 189).
ccc) Eine Verfassungswidrigkeit der Altersgrenze des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG von 16 Jahren ergibt sich auch nicht aus dem sinngemäßen Einwand der Kläger, der Gesetzgeber habe sich zu seiner eigenen typisierenden Betrachtung für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 dadurch in Widerspruch gesetzt, dass er mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 einen Betreuungsfreibetrag auch über das 16. Lebensjahr des Kindes hinaus gewähre. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung eines Erziehungsfreibetrags im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) die Anregung des BVerfG aufgegriffen, aus Gründen der Einfachheit und Klarheit einen Grundtatbestand zu normieren, der die gesamte kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit von Eltern umfasst. Diesem einheitlichen Freibetrag des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes liegt ausweislich der Gesetzesmaterialien die Überlegung zugrunde, dass die einzelnen Bedarfe eines Kindes im Laufe des Berücksichtigungszeitraums eines Kindes (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) jeweils unterschiedlichen Raum einnehmen; während am Anfang typischerweise der Betreuungsbedarf überwiege, werde dieser mit zunehmendem Alter immer mehr durch den Erziehungsbedarf und später durch den Ausbildungsbedarf verdrängt (BTDrucks 14/6160, S. 11). Es liegt in der Natur des vom BVerfG angeregten einheitlichen Grundtatbestandes, dass dabei im Interesse der Einfachheit und Klarheit auf solche altersmäßige Differenzierungen verzichtet wird, die im Falle einer Aufteilung in mehrere Freibeträge sachgerecht gewesen wären.
ddd) Ob die steuerliche Leistungsfähigkeit von Eltern wegen der Erziehung ihrer Kinder über die Vollendung des 16. Lebensjahres hinaus in einem Maße gemindert ist, dass dies von Verfassungs wegen steuerlich berücksichtigt werden muss, kann im Streitfall offen bleiben. Eventuelle verfassungsrechtliche Defizite des EStG in dieser Hinsicht wären aufgrund des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 bis zum Veranlagungszeitraum 2001 einschließlich hinzunehmen (vgl. unter Abschnitt D.I.2. und D.II. der Gründe; vgl. auch , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 219).
2. Das FG hat entgegen der Rüge der Revision nicht dadurch gegen Verfahrensrecht (§§ 76 Abs. 1, 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) verstoßen, dass es ohne Beweisaufnahme und ohne vorherige Anhörung der Kläger angenommen hat, der Betreuungsbedarf eines Kindes entfalle mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Denn diese Erkenntnis entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und ist deshalb weder beweisbedürftig noch musste das Gericht vor Erlass seines Urteils auf diesen Erfahrungssatz hinweisen. Da dieser Erfahrungssatz der gesetzlichen Regelung der Kinderbetreuung seit der Einführung des § 33c EStG durch das StBereinG 1985 zugrunde gelegen hat, handelt es sich nicht um eine neue und überraschende Erkenntnis des Gerichts.
Im Übrigen gehen die Kläger mit ihrem Einwand, der Begriff der Betreuung sei allumfassend zu verstehen, von einem zu weiten Verständnis dieses Begriffs im steuerrechtlichen Sinn aus. Soweit sie unter ihn z.B. auch die Überlassung von Wohnraum subsumieren, handelt es sich dabei zweifelsfrei um einen Aufwand, der durch den Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und im Falle einer auswärtigen Unterbringung des Kindes durch den Ausbildungsfreibetrag gemäß § 33a Abs. 2 EStG abgegolten wird. Der Betreuungsfreibetrag des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 gültigen Fassung hat aber nur dazu gedient, eine steuerliche Entlastung wegen solcher Lasten oder Pflichten herbeizuführen, die nicht bereits durch den Kinderfreibetrag und ggf. durch einen Ausbildungsfreibetrag zu einer Steuerminderung geführt haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 366
BB 2004 S. 2455 Nr. 45
BFH/NV 2004 S. 1721
BFH/NV 2004 S. 1721 Nr. 12
BStBl II 2008 S. 366 Nr. 9
FR 2005 S. 105 Nr. 2
INF 2004 S. 846 Nr. 22
KÖSDI 2004 S. 14427 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 13/2006 S. 1035
StB 2004 S. 442 Nr. 12
MAAAB-32838