Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG); Umsatzsteuerliche Behandlung der Eingliederungshilfe- und Sozialhilfeleistungen
Bezug:
Bezug: BStBl 2004 II S. 849
I.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) am wurde das Leistungsrecht für Menschen mit Behinderungen mit Wirkung zum reformiert. Die bisher für in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe lebende Menschen mit Behinderungen von den Trägern der Sozialhilfe finanzierten und erbrachten sog. „Komplexleistungen“ nach dem SGB XII werden künftig bei erwachsenen Menschen mit Behinderungen in der Regel in behinderungsbedingte Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX 2 (sog. Fachleistungen) und in existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII (u. a. Regelsatz, Bedarfe für Unterkunft und Heizung) getrennt. Die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX 2 (bisher im 6. Kapitel SGB XII verankert) werden künftig nicht mehr abhängig von der Wohnform, sondern personenzentriert erbracht. Infolge dessen wurde auch die bisherige Aufgliederung in ambulante, teilstationäre und vollstationäre Leistungen zum aufgegeben. Dies hat zur Folge, dass die Begrifflichkeit der „Einrichtung“ im neuen Leistungsrecht der Eingliederungshilfe (SGB IX 2) nicht mehr verwendet wird, sondern sowohl (teil)stationäre Einrichtungen als auch ambulante Dienste als „Leistungserbringer“ bezeichnet werden. Im SGB XII tritt an die Stelle der Begrifflichkeit der bisherigen „stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe“ die Begrifflichkeit der „besonderen Wohnformen“.
In Folge der Änderungen im SGB IX sowie im SGB XII wurde durch Artikel 17 BTHG zum § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe e, f und h UStG und durch Artikel 20 Abs. 7 des BTHG zum § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG angepasst.
II.
Unter Bezugnahme auf die Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung der im Zusammenhang mit den Änderungen durch das BTHG von den Einrichtungen erbrachten Leistungen Folgendes:
Verträge nach dem
Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)
Ein
Wohn- und Betreuungsvertrag, der unter das WBVG fällt und auf Grund dessen dem
Bewohner Wohnraum, Pflege- und Betreuungsleistungen und ggf. Verpflegung als
Teil der Betreuungsleistung zur Verfügung gestellt wird, ist
umsatzsteuerrechtlich als Vertrag besonderer Art nach
Abschnitt 4.12.6 UStAE anzusehen, so dass die
Umsätze aus diesen Wohn- und Betreuungsverträgen insgesamt unter die
Steuerbefreiung nach
§ 4 Nr. 16
Satz 1 Buchstabe h UStG fallen können.
Verträge
außerhalb des WBVG
Werden Pflege- und
Betreuungsleistungen sowie weitere Leistungen aufgrund getrennter Verträge von
einem Leistungserbringer außerhalb des Anwendungsbereichs des WBVG erbracht,
sind die aus der Versorgung der hilfsbedürftigen Personen erzielten Umsätze als
mit dem Betrieb einer Einrichtung (Leistungserbringer) zur Betreuung oder
Pflege eng verbundene Umsätze nach
§ 4 Nr. 16
UStG anzusehen.
Das gilt auch für die durch Werkstätten für behinderte Menschen erbrachten Verpflegungsleistungen an Menschen mit Behinderungen; diese Leistungen sind als eng mit der Betreuung in Werkstätten für behinderte Menschen verbundene Umsätze nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe f UStG anzusehen.
III.
Daher wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom , BStBl 2010 I S. 864, der zuletzt durch das (2020/0258168), BStBl 2020 I S. 288, geändert worden ist, wie folgt geändert:
In Abschnitt 4.12.6 Absatz 2 wird nach Nummer 15 folgende Nummer 16 angefügt:
„16. 1Eine Einrichtung stellt ihren Bewohnern aufgrund eines Wohn- und Betreuungsvertrags, der unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fällt, Wohnraum, Pflege- und Betreuungsleistungen und ggf. Verpflegung als Teil der Betreuungsleistung zur Verfügung. 2Die nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfreie Vermietung von Grundstücken tritt hinter diese Leistungen zurück. 3Für die Umsätze aus diesen Wohn- und Betreuungsverträgen kommt insgesamt die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe h UStG in Betracht.“
Abschnitt 4.16.3 wird wie folgt geändert:
Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
„(1) Sofern Betreuungs- oder Pflegeleistungen an hilfsbedürftige Personen von Einrichtungen erbracht werden, die nicht nach Sozialrecht anerkannt sind und mit denen weder ein Vertrag noch eine Vereinbarung nach Sozialrecht besteht, sind diese nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle dieser Einrichtung von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.“
Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„1Für die Ermittlung der 25 %-Grenze nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG müssen die Betreuungs- und Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sein.“
Absatz 4 Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„1Die Kosten eines „Falls“ werden von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, Sozialhilfe, Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX, Kriegsopferfürsorge oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung zum überwiegenden Teil getragen, wenn sie die Kosten des Falls allein oder gemeinsam zu mehr als 50 % übernehmen.“
Absatz 6 Satz 3 wird wie folgt gefasst:
„3Diese Umsätze sind danach steuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 25 % der Fälle der Einrichtung ganz oder zum überwiegenden Teil von der Sozialversicherung, Sozialhilfe, Eingliederungshilfe (SGB IX 2), Kriegsopferfürsorge oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung getragen worden sind.“
Vor Abschnitt 4.16.5 Abs. 14 wird die Überschrift wie folgt gefasst:
„Eingliederungshilfe- und Sozialhilfeleistungen (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe h UStG)“
Abschnitt 4.16.5 wird wie folgt geändert:
Absatz 14 wird wie folgt gefasst:
„(14) 1Die Träger der Eingliederungshilfe nach § 94 SGB IX und der Sozialhilfe sind für alle Vertragsangelegenheiten der Leistungserbringer im Bereich Eingliederungshilfe und Sozialhilfe zuständig. 2Neben dem Abschluss von Rahmenvereinbarungen mit den Vereinigungen der Leistungserbringer werden auch individuelle Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach § 123 SGB IX oder nach § 76 SGB XII geschlossen.“
Absatz 15 wird wie folgt gefasst:
„(15) 1Im Bereich Eingliederungshilfe (SGB IX 2) werden mit den Leistungserbringern nach §§ 123 ff. SGB IX ausschließlich Verträge über die Erbringung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe (z.B. Assistenzleistungen) an Menschen mit wesentlichen Behinderungen (§ 99 SGB IX) abgeschlossen. 2Im Bereich des SGB XII werden nach §§ 75 ff. SGB XII insbesondere Verträge für die folgenden Leistungsbereiche abgeschlossen:
Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII [7. Kapitel]);
Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 ff. SGB XII [8. Kapitel]).
Absatz 16 wird wie folgt gefasst:
„(16) Leistungserbringer, die Vereinbarungen nach § 123 SGB XI oder nach § 76 SGB XII mit den Trägern der Träger der Eingliederungshilfe und der Sozialhilfe geschlossen haben, sind nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe h UStG begünstigte Einrichtungen.“
In Absatz 21 werden die Sätze 1 und 2 wie folgt geändert:
„(21) 1Zu den begünstigten Leistungen zählen auch Leistungen zur Betreuung hilfsbedürftiger Personen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, z.B. die Unterrichtung im Umgang mit dem Langstock als Orientierungshilfe für blinde Menschen. 2Zu den begünstigten Leistungen zählen auch Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, für die mit den Leistungserbringern keine Vereinbarungen nach § 123 SGB IX geschlossen wurden.“
Abschnitt 4.16.6 Absatz 2 wird wie folgt geändert
Nummer 2 wird wie folgt gefasst:
„2. die (ambulante) Betreuung, Pflege oder hauswirtschaftliche Versorgung (Einkaufen, Kochen, Verpflegen, Reinigen der Wohnung, Waschen der Kleidung) hilfsbedürftiger Personen (vgl. , BStBl 2004 II S. 849);“
In Nummer 4 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgende Nummer 5 angefügt:
„5. Verpflegungsleistungen, die durch Werkstätten für behinderte Menschen an die Menschen mit Behinderung erbracht werden.“
IV.
Die Grundsätze dieses Schreibens sind auf ab dem in derartigen Einrichtungen erbrachte Umsätze anzuwenden. Es wird nicht beanstandet, wenn die Einrichtungen entgegen den Grundsätzen unter Tz II. die Umsätze bis zum aufgrund eines vor Veröffentlichung dieses BMF-Schreibens im BStBl I abgeschlossenen Vertrags umsatzsteuerpflichtig behandeln.
BMF v. - III C 3 - S 7172/19/10002 :003
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2020 I Seite 291
BB 2020 S. 859 Nr. 15
DStR 2020 S. 658 Nr. 13
UR 2020 S. 400 Nr. 10
UStB 2020 S. 152 Nr. 5
UVR 2020 S. 168 Nr. 6
GAAAH-45280