EuGH Urteil v. - C-86/99

Mehrwertsteuer: Einstufung eines Preisbestandteils; Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes bei Rabattgutschriften

Leitsatz

[1] Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ist dahin auszulegen, dass die Besteuerungsgrundlage für die Lieferung von Waren, die ein Kunde aus einem Versandhauskatalog für seinen Eigengebrauch bestellt, im vollen Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren besteht, auch wenn der Lieferer dem Kunden einen Rabatt auf den Katalogpreis gewährt, der dem Kunden bei Zahlung der Raten an den Lieferer auf einem gesonderten Konto gutgeschrieben wird und den er sich sofort auszahlen lassen oder über den er sofort in anderer Weise verfügen kann; von dem Katalogpreis ist der genannte Rabatt abzuziehen, sobald der Kunde ihn sich auszahlen lässt oder in anderer Weise darüber verfügt.

( vgl. Randnr. 36 und Tenor )

Gesetze: Richtlinie 77/388 Art. 11 Teil A Abs. 3 Buchst. b; Richtlinie 77/388 Art. 11 Teil C Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 Das VAT and Duties Tribunal, London, hat mit Beschluss vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Freemans plc (im Folgenden: Freemans) und den im Vereinigten Königreich für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständigen Commissioners of Customs & Excise (im Folgenden: Commissioners) über die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer bei Gegenständen, die im Rahmen eines von Freemans eingeführten Systems der Verkaufsförderung geliefert werden.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 5 Absatz 1 in Abschnitt V ("Steuerbarer Umsatz") der Sechsten Richtlinie lautet:

"Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen."

4 Artikel 11 Teil A Absätze 1 Buchstabe a und 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie sieht vor:

" A. Im Inland

(1) Die Besteuerungsgrundlage ist:

a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter den Buchstaben b), c) und d) genannt sind, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen;

...

(3) In die Besteuerungsgrundlage sind nicht einzubeziehen:

...

b) die Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird."

5 Artikel 11 Teil C Absatz 1 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie lautet:

"C. Verschiedene Bestimmungen

(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert."

6 Artikel 27, der den Abschnitt XV (Vereinfachungsmaßnahmen") der Sechsten Richtlinie bildet, hat folgenden Absatz 1:

"Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen."

Nationales Recht

7 Das Vereinigte Königreich führte gemäß Artikel 27 der Sechsten Richtlinie Sonderregelungen für Einzelhändler ein, nach denen diese die Mehrwertsteuer auf ihre Ausgangsumsätze anhand des Gesamtwerts der steuerpflichtigen Lieferungen in einem Abrechnungszeitraum auf der Grundlage der täglichen Gesamteinnahmen" berechnen können anstatt anhand des Wertes jeder einzelnen Lieferung.

8 Bis zum konnten Einzelhändler im Vereinigten Königreich ihre täglichen Gesamteinnahmen nach der Standardmethode für Gesamteinnahmen ("standard method of gross takings", im Folgenden: SMGT) berechnen, die auf die von dem Einzelhändler in einem Abrechnungszeitraum erhaltenen Zahlungen abstellte. Mit Wirkung vom 1. März 1997 hob das Vereinigte Königreich die SMGT auf und verlangte von den Einzelhändlern, ihre Gesamteinnahmen nach einer neuen Regelung zu berechnen, die auf der fakultativen Methode der Berechnung der Gesamteinnahmen ("optional method of gross takings", im Folgenden: OMGT) beruhte. Die OMGT stellte auf den insgesamt vom Einzelhändler in Rechnung gestellten Betrag ab.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

9 Freemans verkauft ihre Waren auf dem Versandweg; dabei verwendet sie Kataloge, die sie Einzelnen mit der Aufforderung zusendet, Vertreter für sie zu werden. Freemans hat ungefähr 900 000 aktive Vertreter, die Waren entweder für sich selbst bestellen (im Folgenden: Eigenerwerb) oder für andere Kunden. Die Bezahlung erfolgt bei diesen Käufen im Rahmen eines von Freemans eingeführten Systems eigenfinanzierter Kredite, wonach die Vertreter für die Waren den im Katalog genannten Preis (im Folgenden: Katalogpreis) in Raten abzahlen, und zwar im Allgemeinen über einen Zeitraum von 50 Wochen. Freemans hat in ihren Büchern für die Vertreter ein gesondertes Guthabenkonto eingerichtet, auf das diesen automatisch 10 % jeder ihrer Überweisungen an Freemans gutgeschrieben werden; bei diesem Betrag handelt es sich, genauer gesagt, um einen Rabatt von 10 % für den Eigenerwerb (im Folgenden: Eigenerwerbsrabatt) und eine Provision von 10 % für den Erwerb für andere Kunden (im Folgenden: Provision).

10 Der Vertreter kann sich den seinem Konto gutgeschriebenen Betrag jederzeit durch Scheck, durch Postüberweisung oder in Form von Losen der staatlichen Lotterie auszahlen lassen; außerdem kann er ihn zur Ausgleichung der eigenen Schulden oder derjenigen eines Kunden oder aber für neue Käufe verwenden, bei denen er Anspruch auf einen neuen Rabatt von 10 % hat. Die Vertreter dürfen jedoch nicht von vornherein den Katalogpreis abzüglich Eigenerwerbsrabatt zahlen.

11 Hält der Vertreter einen Zahlungstermin nicht ein, so wird der gesamte Sollbetrag auf seinem Konto sofort fällig. In einem solchen Fall kann der Eigenerwerbsrabatt oder die Provision nicht mehr ausgezahlt werden, bis das Konto ausgeglichen ist.

12 Wird der auf dem Konto der Vertreter gutgeschriebene Betrag innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht beansprucht, wird er von Freemans ausgebucht. In der Praxis verlieren die Vertreter ihren Anspruch auf Erhalt des Eigenerwerbsrabatts jedoch auch dann nicht, wenn sie ihn verspätet geltend machen und er verjährt ist. Allerdings wird ein erheblicher Teil dieser Eigenerwerbsrabatte tatsächlich nicht beansprucht und verbleibt bei Freemans.

13 Nach der SMGT konnte Freemans von ihren täglichen Gesamteinnahmen von vornherein den Eigenerwerbsrabatt abziehen. Seit dem 1. März 1997, seit dem die OMGT angewandt wird, hat Freemans ihre täglichen Gesamteinnahmen ohne Abzüge für die Eigenerwerbsrabatte zu berechnen, sofern und solange sie nicht von dem Vertreter in bar abgehoben oder zum Abzug vom Kaufpreis von Waren verwendet werden.

14 Ungeachtet der Aufhebung der SMGT erstellte Freemans ihre Mehrwertsteuererklärungen für die Zeiträume April und Juli 1997 weiterhin auf deren Grundlage, d. h., sie zog den Eigenerwerbsrabatt vom Katalogpreis ab. Die Commissioners jedoch besteuerten die Umsätze von Freemans nach der neuen Methode OMGT. Gegen die entsprechende Entscheidung erhob Freemans Klage beim VAT and Duties Tribunal, London.

15 Vor diesem Gericht vertritt Freemans die Ansicht, dass Besteuerungsgrundlage für die einem Vertreter für den Eigengebrauch gelieferten Waren deren Katalogpreis abzüglich des Eigenerwerbsrabatts des Vertreters sei, da sich Freemans nie in einer vertraglichen Lage befinde, in der sie gegen den Vertreter Anspruch auf den vollen Katalogpreis habe.

16 Die Commissioners halten dem entgegen, dass die Gegenleistung im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bei zutreffender Auslegung der zwischen Freemans und ihrem Vertreter geschlossenen Vereinbarung der volle im Katalog genannte Kaufpreis der Waren sei, zu dessen Zahlung an Freemans der Vertreter vertraglich verpflichtet sei.

17 Das vorlegende Gericht führt aus, die Commissioners verlangten von Freemans die Mehrwertsteuer nicht auf einen höheren als den vom Endverbraucher tatsächlich gezahlten Betrag. Außerdem liege der Zeitpunkt der Warenlieferung, für die der Eigenerwerbsrabatt gewährt werde, vor der Bezahlung der betreffenden Waren, die zur Entstehung des Rabatts führe. Diese Umstände sprächen dafür, die Klage von Freemans abzuweisen.

18 Da das VAT and Duties Tribunal, London, jedoch der Ansicht ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Artikels 11 der Sechsten Richtlinie erfordere, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Was ist bei richtiger Auslegung von Artikel 11 Teil A und Teil C der Sechsten Richtlinie die Besteuerungsgrundlage bei Waren, die aus einem Versandhauskatalog von einem Kunden für seinen Eigengebrauch bestellt und ihm geliefert wurden, wenn der Lieferer dem Kunden im Rahmen eines Systems eigenfinanzierter Kredite einen Rabatt auf den Katalogpreis (Eigenerwerbsrabatt) gewährt, der dem Kunden bei Zahlung der Raten an den Lieferer (oder bei der Verwendung eines Eigenerwerbsrabatts für die Verringerung oder Tilgung einer Rate) gutgeschrieben wird, wobei sich der Kunde den aus Zahlungen erwachsenen Eigenerwerbsrabatt sofort auszahlen lassen oder darüber verfügen kann, selbst wenn er noch künftige Ratenzahlungen schuldet?

Ist die Besteuerungsgrundlage:

1. der volle Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren abzüglich des Eigenerwerbsrabatts auf diesen Preis, oder

2. der volle Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren, von dem der Eigenerwerbsrabatt abgezogen wird, sobald er dem Kunden gutgeschrieben wird, oder

3. der volle Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren, von dem der Eigenerwerbsrabatt abgezogen wird, sobald er vom Kunden abgehoben oder verwendet wird, oder

4. ein anderer - gegebenenfalls: welcher - Betrag?

Zur Vorlagefrage

19 Zunächst ist daran zu erinnern, dass immer dann, wenn sich wie im Ausgangsverfahren die Frage der Einstufung eines Preisbestandteils stellt, der in die Besteuerungsgrundlage einfließen oder umgekehrt ausdrücklich ausgeschlossen sein könnte, zuerst zu prüfen ist, ob dieser Preisbestandteil in eine der in Artikel 11 Teil A Absätze 2 und 3 der Sechsten Richtlinie aufgeführten Gruppen gehört; nur dann, wenn dies zu verneinen ist, ist auf die allgemeine Definition der Besteuerungsgrundlage in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie zurückzugreifen (Urteil vom in der Rechtssache C-126/88, Boots Company, Slg. 1990, I-1235, Randnr. 16).

20 Die Kommission trägt in diesem Zusammenhang vor, dass der Wortlaut des Artikels 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie insbesondere in der französischen Sprachfassung nahe lege, dass die Rabatte und Rückvergütungen auf den Preis im Sinne dieser Bestimmung erhalten seien, sobald der Abnehmer einen Rechtsanspruch auf sie erworben habe. Da im Ausgangsverfahren der Vertreter zu dem Zeitpunkt Anspruch auf den Eigenerwerbsrabatt habe, zu dem er den Gegenstand kaufe, sei diese Bestimmung mit der Folge anwendbar, dass Besteuerungsgrundlage von Anfang an der Katalogpreis abzüglich des Rabatts sei.

21 Die Regierung des Vereinigten Königreichs und die griechische Regierung vertreten die Ansicht, dass ein solcher Anspruch auf Gewährung eines Rabatts für die Anwendbarkeit von Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nicht ausreiche. Im Zeitpunkt der Lieferung der erworbenen Gegenstände stelle der volle Katalogpreis die Gegenleistung dar, weil der Vertreter diesen an Freemans zu zahlen habe.

22 Nach dem Wortlaut von Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie sind die Rabattte und Rückvergütungen auf den Preis, die dem Abnehmer eingeräumt werden und die er zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem der Umsatz bewirkt wird, nicht in die Besteuerungsgrundlage einzubeziehen. Bewirkt im Sinne dieser Bestimmung wird der Umsatz bei der Lieferung von Gegenständen gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie in dem Zeitpunkt, in dem die Befähigung, über den gekauften Gegenstand zu verfügen, übertragen wird, im Ausgangsverfahren also in dem Zeitpunkt, in dem die Waren von dem Vertreter übernommen werden.

23 Würden die Käufer im Zeitpunkt dieser Übertragung einen ermäßigten Preis zahlen, so erhielten sie einen Rabatt; würde ihnen der Verkäufer einen Teil des bereits gezahlten Preises erstatten, so erhielten sie eine Rückvergütung im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie (in diesem Sinn Urteil Boots Company, Randnr. 18).

24 Dies ist jedoch im Ausgangsverfahren nicht der Fall. Zu dem genannten Zeitpunkt haben die Vertreter nämlich den vollen Katalogpreis in Raten zu zahlen, während Freemans verpflichtet ist, auf einem gesonderten Konto einen Wert in Höhe von 10 % jeder Überweisung gutzuschreiben, die von den Vertretern vorgenommen wird. Die so nach Maßgabe der Überweisungen gutzuschreibenden Beträge stellen noch keine Rückvergütungen im Sinne des Artikels 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dar.

25 Entgegen dem Vorbringen der Kommission genügt es für die Anwendbarkeit von Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b nämlich nicht, dass der Abnehmer wie im Ausgangsverfahren beim Kauf einen Rückvergütungsanspruch erhält.

26 Nach der französischen Sprachfassung dieser Bestimmung könnte es zwar nahe liegen, den Begriff acquis" im Sinne von juridiquement acquis" (rechtlich erhält") auszulegen. Die deutsche Sprachfassung dieser Bestimmung (erhält") spricht jedoch eher dafür, dass die Rückvergütung zu dem Zeitpunkt, zu dem der Umsatz bewirkt wird, tatsächlich gezahlt werden muss. Jedenfalls ist festzustellen, dass in keiner der Sprachfassungen des Artikels 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b die Begriffe rechtlich erhält" oder tatsächlich erhält" enthalten sind, die klar und unzweideutig gewesen wären. Daher ist die Bestimmung anhand des Regelungszwecks des Artikels 11 der Sechsten Richtlinie auszulegen.

27 Insoweit ist daran zu erinnern, dass Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie nur eine Anwendung der in Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie in seiner Auslegung durch den Gerichtshof aufgestellten Regel darstellt (Urteil Boots Company, Randnr. 19). Nach dieser letztgenannten Bestimmung ist die Besteuerungsgrundlage bei der Lieferung eines Gegenstands alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer vom Abnehmer erhält oder erhalten soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die endgültige Besteuerungsgrundlage bei Lieferung eines Gegenstands die tatsächlich dafür erhaltene Gegenleistung (Urteile vom in der Rechtssache C-38/93, Glawe, Slg. 1994, I-1679, Randnr. 8, und vom in der Rechtssache C-288/94, Argos Distributors, Slg. 1996, I-5311, Randnr. 16). Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a gewährleistet so die steuerliche Neutralität, die einen dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem immanenten Grundsatz darstellt, unter dessen Wahrung die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie auszulegen sind (in diesem Sinn Urteil vom in der Rechtssache C-317/94, Elida Gibbs, Slg. 1996, I-5339, Randnrn. 26 bis 31).

28 Würde im Ausgangsverfahren die Mehrwertsteuer von Anfang an nach dem Katalogpreis abzüglich der von Freemans gutzuschreibenden Beträge berechnet, so erhielte Freemans, wenn die Kunden später nicht über die Gutschriften verfügten, einen Betrag, der einem Teil des die Gegenleistung für die gelieferten Gegenstände darstellenden Kaufpreises entspräche, ohne dass dieser Betrag jedoch Teil der Besteuerungsgrundlage wäre. Eine solche Art und Weise der Berechnung der Mehrwertsteuer verstieße somit gegen Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in dessen Auslegung im Einklang mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

29 Daher kann ein Steuerpflichtiger, der ein System der Absatzförderung wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendet, nicht zu Recht geltend machen, dass die Gegenleistung im Sinne von Artikel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie von Anfang an der volle Preis abzüglich des Eigenerwerbsrabatts sei.

30 Zwar hat der Gerichtshof, worauf Freemans zutreffend hinweist, in Bezug auf Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit entschieden, dass die Gegenleistung die Gesamtheit der Spieleinsätze abzüglich des Teils ist, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht (Urteil Glawe, Randnr. 13). Jedoch ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich Glücksspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen, wie die Kommission in ihrem Vorschlag für die Sechste Richtlinie ausgeführt hat (vgl. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11/73, S. 17). Es ist daher wohl kaum angebracht, aus der Besteuerung dieser Umsätze allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, um sie auf die Besteuerung der gewöhnlichen Lieferung von Gegenständen anzuwenden. Sodann ist zu berücksichtigen, dass in der Rechtssache, die zu dem Urteil Glawe geführt hat, der Teil der Spieleinsätze, der nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen worden ist, den Spielern, die gewannen, tatsächlich ausgezahlt wurde. Das Urteil Glawe ist daher unter Umständen ergangen, die sich wesentlich von denen des Ausgangsverfahrens unterscheiden, in dem es um einen Bestandteil des vom Endverbraucher gezahlten Preises geht, der dem Steuerpflichtigen verbleibt, sofern der Endverbraucher nicht über ihn verfügt.

31 Schließlich ist Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass die aus dem vollen Katalogpreis bestehende Besteuerungsgrundlage im Rahmen eines Systems der Absatzförderung wie des im Ausgangsverfahren fraglichen zu vermindern ist, sobald der Vertreter den seinem gesonderten Konto gutgeschriebenen Betrag abhebt oder in anderer Weise verwendet.

32 Freemans und die Kommission tragen allerdings vor, dass Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie die Fälle betreffe, in denen sich die Verringerung der Gegenleistung aus einer Vertragsänderung ergebe, die nach der Bewirkung des Umsatzes eintrete. Daher sei diese Bestimmung nicht anwendbar, wenn, wie im Ausgangsverfahren, nach den vertraglichen Beziehungen, die zu der Lieferung führten, von Anfang an die Gewährung eines Rabatts vorgesehen sei, auch wenn dieser Rabatt tatsächlich erst später erhalten werde. In diesem Zusammenhang führen sie die Randnummer 31 des Urteils Elida Gibbs an, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass diese Bestimmung den üblichen Fall vertraglicher Beziehungen betrifft, die unmittelbar zwischen zwei Vertragsparteien zustande kommen und nachträglich eine Änderung erfahren.

33 Insoweit genügt die Feststellung, dass eine solche nachträgliche Änderung der vertraglichen Beziehungen nach dem Wortlaut des Artikels 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich grundsätzlich dazu, die Besteuerungsgrundlage zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach Bewirkung des Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält (Urteil vom in der Rechtssache C-330/95, Goldsmiths, Slg. 1997, I-3801, Randnrn. 16 bis 18). Außerdem ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gerichtshof im Urteil Elida Gibbs den Anwendungsbereich dieser Bestimmung einschränken wollte. Vielmehr ergibt sich aus dem der Rechtssache Elida Gibbs zugrunde liegenden Sachverhalt, dass keine Änderung der vertraglichen Beziehungen erfolgt war. Gleichwohl hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie anwendbar sei.

34 Hilfsweise macht Freemans geltend, Artikel 11 Teil C Absatz 1 sei so auszulegen, dass die Besteuerungsgrundlage im Rahmen des im Ausgangsverfahren fraglichen Systems der Absatzförderung in dem Zeitpunkt zu vermindern sei, in dem der als Eigenerwerbsrabatt gezahlte Betrag dem Konto des Vertreters gutgeschrieben werde.

35 In dem Zeitpunkt, in dem Freemans diesen Betrag dem in ihren Büchern für den Vertreter eingerichteten Konto gutschreibt, hat sie dem Vertreter den Eigenerwerbsrabatt jedoch noch nicht tatsächlich ausgezahlt. Verwendet der Vertreter nämlich diesen Betrag nicht, so verfügt Freemans in der Weise über ihn, dass sie ihn ihrem Gewinn- und Verlustkonto gutschreibt. Erst wenn der Kunde über den Eigenerwerbsrabatt verfügt, ist er ihm tatsächlich zugeflossen, so dass dann die Besteuerungsgrundlage für den betreffenden Erwerb - wie Artikel 11 Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dies vorsieht - unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend zu vermindern ist.

36 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe b und Teil C Absatz 1 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Besteuerungsgrundlage für die Lieferung von Waren, die ein Kunde aus einem Versandhauskatalog für seinen Eigengebrauch bestellt, im vollen Katalogpreis der dem Kunden verkauften Waren besteht, auch wenn der Lieferer dem Kunden einen Rabatt auf den Katalogpreis gewährt, der dem Kunden bei Zahlung der Raten an den Lieferer auf einem gesonderten Konto gutgeschrieben wird und den er sich sofort auszahlen lassen oder über den er sofort in anderer Weise verfügen kann; von dem Katalogpreis ist der genannte Rabatt abzuziehen, sobald der Kunde ihn sich auszahlen lässt oder in anderer Weise darüber verfügt.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der griechischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2001 S. 185 Nr. 3
GAAAB-72874

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg