Vorläufige Steuerfestsetzung im Hinblick auf anhängige Musterverfahren (§ 165 Absatz 1 Satz 2 AO); Aussetzung der Steuerfestsetzung nach § 165 Absatz 1 Satz 4 AO Verfassungsmäßigkeit des Abzugs einer zumutbaren Belastung bei der Berücksichtigung von Krankheits- und Pflegekosten als außergewöhnliche Belastungen
(BStBl I S. 2), zuletzt geändert durch das (BStBl I S. 131)
Bezug: BStBl 2018 I S. 2
Bezug: BStBl 2022 I S. 131
Bezug: BStBl 2016 II S. 151
Bezug: BStBl 2017 II S. 259
Bezug: BStBl 2017 II S. 949
Bezug: BStBl 2017 II S. 684
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (u. a. BFH-Entscheidungen vom , VI R 32/13, BStBl 2016 II S. 151; vom , III R 62/13, BStBl 2017 II S. 259; vom , VIII R 52/13, BStBl 2017 II S. 949 und vom , VI R 75/14, BStBl 2017 II S. 684) ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, bei Krankheitskosten generell auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung zu verzichten. Auch Aufwendungen für Krankheit und Pflege sind nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich nur als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, soweit sie den Betrag der zumutbaren Belastung nach § 33 Absatz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) überschreiten. Der Wortlaut der Regelung sei eindeutig und differenziere bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Aufwendungen für Krankheit und Pflege und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen. Die gegen die vorgenannten Entscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerden wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Nichtannahmebeschlüsse vom , 2 BvR 180/16, vom , 2 BvR 1936/17, vom , 2 BvR 1205/17, und vom , 2 BvR 221/17).
Die zuletzt u. a. zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Abzugs einer zumutbaren Belastung nach § 33 Absatz 3 EStG bei der Berücksichtigung von Krankheits- und Pflegekosten als außergewöhnliche Belastungen geführten Revisionsverfahren sind mittlerweile ebenfalls beendet. Der Bundesfinanzhof hat mit Beschlüssen vom , VI R 18/19, BFH/NV 2022 S. 13, und vom , VI R 48/18, BFH/NV 2022 S. 120, seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Damit ist der Grund für eine vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer insoweit entfallen.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:
In der Anlage zum BStBl 2018 I S. 2, die zuletzt durch BStBl 2022 I S. 131, neugefasst worden ist, wird die bisherige Nummer
„2. Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Absatz 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung“
mit sofortiger Wirkung gestrichen. Ein Ruhenlassen außergerichtlicher Rechtsbehelfsverfahren kommt insoweit nicht mehr in Betracht.
Die Anlage zum a. a. O., wird mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:
„Abschnitt A (Vorläufige Steuerfestsetzung)
I.
Steuerfestsetzungen sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen, soweit dies verfahrensrechtlich möglich ist:
Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Satz 1 und 2 EStG
Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG
Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste nach § 20 Absatz 6 Satz 4 EStG (§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG a.F.)
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 1 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG sowie den mit derartigen Einkommensteuerfestsetzungen verbundenen Festsetzungen des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer beizufügen. Wird im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2014 Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Absatz 2 FGO) beantragt, ist dem zu entsprechen, soweit unter Berücksichtigung eines um 72 Euro erhöhten Kinderfreibetrags je Kind die Steuer herabzusetzen wäre und im Übrigen die Voraussetzungen des § 361 AO oder des § 69 FGO erfüllt sind. Ein Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des Kinderfreibetrags kein Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer (, BStBl 2011 II S. 543, und vom , I R 29/11, BFH/NV 2012 S. 921); § 361 Absatz 3 Satz 1 AO und § 69 Absatz 2 Satz 4 FGO sind daher insoweit nicht anwendbar.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen, in denen eine Leibrente oder eine andere Leistung aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG erfasst wird. Eine mögliche Zuvielbelastung von Alterseinkünften muss nach der Rechtsprechung des BFH vom Steuerpflichtigen belegt werden (ständige Rechtsprechung des BFH, s. , BFH/NV S. 1791 und vom , X R 20/19). Eine Überprüfung von Amts wegen durch die Finanzämter ohne Mitwirkung der betroffenen Steuerpflichtigen ist nicht möglich. Daher ist in Steuerbescheiden, die den Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 3 enthalten, zusätzlich folgender Hinweis aufzunehmen:
„ Wichtiger
Hinweis:
Sollte nach einer künftigen
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesfinanzhofs dieser
Steuerbescheid Ihrer Auffassung nach hinsichtlich der Besteuerung von
Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nummer 1
Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG zu Ihren Gunsten zu ändern sein,
benötige ich weitere Unterlagen von Ihnen. Von Amts wegen kann ich Ihren
Steuerbescheid nicht ändern, weil mir nicht alle erforderlichen Informationen
vorliegen. “
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 3 ist sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2009 beizufügen, zu denen ein Verlust aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 Satz 1 EStG, der aus der Veräußerung von Aktien entstanden ist, nach § 20 Absatz 6 Satz 3 i. V. m. § 10d Absatz 4 EStG festgestellt wird, weil ein Ausgleich mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Absatz 6 Satz 4 EStG (§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG a.F.) nicht möglich ist.
II.
Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO vorzunehmen.
Für die Veranlagungszeiträume ab 2020 erfasst dieser Vorläufigkeitsvermerk auch die Frage, ob die fortgeltende Erhebung eines Solidaritätszuschlages nach Auslaufen des Solidarpakts II zum verfassungsgemäß ist.
Abschnitt B (Aussetzung der Steuerfestsetzung)
(aufgehoben)“
BMF v. - IV A 3 - S 0338/19/10006 :001
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2022 I Seite 203
DStR 2022 S. 658 Nr. 13
EStB 2022 S. 176 Nr. 5
FAAAI-58483