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Grundlagen vom

Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen und handelsrechtlichen Gewinnermittlung

Dr. Karsten Lukas und Dr. Axel Steiner
Hinweis

Abzinsung von Verbindlichkeiten bei Null- und Negativzinsen

Unverzinsliche Verbindlichkeiten deren (Rest-)Laufzeit am Bilanzstichtag mindestens 12 Monate beträgt und die nicht auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen, sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abzuzinsen. Eine verzinsliche Verbindlichkeit liegt vor, wenn ein Zinssatz von mehr als 0% vereinbart wurde (Rz. 13 des BStBl 2005 I S. 699, Anhang 9 V EStH 2018).

Im Hinblick auf die Folgen des Abzinsungsgebotes im Zusammenhang mit der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und dem derzeitigen Niedrigzinsniveau ist die Frage aufgekommen, ob die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Verbindung mit dem o. g. BMF-Schreiben dazu führt, dass sämtliche mit 0 % verzinsten oder negativ verzinste Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von mindestens zwölf Monaten abzuzinsen sind. Hierzu bitte ich folgende Rechtsauffassung zu vertreten:

Verbindlichkeiten aus

  • Kredittranchen der Europäischen Zentralbank

  • sog. Weiterleitungsdarlehen der Förderbanken

  • Kundeneinlagen bei Banken mit einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten

sind auch dann nicht abzuzinsen, wenn der Verzinsungssatz 0 % oder weniger beträgt.

A. Prolog

1 In der Regel verfügen die Unternehmen bei ihrer Gründung nicht über genug Eigenkapital, um sowohl die Gründungsinvestition, den laufenden Betrieb des Unternehmens als auch zukünftige Verpflichtungen, die der Betrieb des Unternehmens mit sich bringt, bezahlen zu können. Die Finanzierung der Differenz erfolgt über Fremdkapital. Dieses steht dem Unternehmen nur für eine begrenzte Zeit ratierlich oder endfällig zur Verfügung und kann nicht für Haftungszwecke herangezogen werden. Der Gläubiger erwirbt mit der Zurverfügungstellung des Fremdkapitals außer dem Rückzahlungsanspruch keine Gesellschafterrechte an dem Unternehmen. Untergliedert wird das Fremdkapital nach § 266 Abs. 3 HGB (Passivseite) in Rückstellungen (Buchstabe B), Verbindlichkeiten (Buchstabe C), Rechnungsabgrenzungsposten (Buchstabe D) und passive latente Steuern (Buchstabe E). Nachfolgend wird ausschließlich auf die Verbindlichkeiten und Rückstellungen eingegangen. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Fremdkapitalarten besteht in der (Un-)Gewissheit ihrer Inanspruchnahme und der Bestimmung ihrer konkreten Höhe.

B. Verbindlichkeiten

I. Vorbemerkungen

2 Verbindlichkeiten sind Verpflichtungen, deren Höhe und Fälligkeit zum Bilanzstichtag eindeutig feststehen. Das Unternehmen kann mit juristischen Mitteln gezwungen werden, eine eindeutig definierte Leistung zu erbringen, wenn es keine Möglichkeit der Einrede gibt. Weiterhin muss das Unternehmen durch diese Verpflichtung wirtschaftlich belastet sein, d. h., aus demselben Sachverhalt/Geschäft darf dem Unternehmen keine Gegenleistung zustehen, der Gläubiger muss aus dem zugrundeliegenden Rechtsgeschäft bereits geleistet haben.

3 Gegliedert werden können Verbindlichkeiten nach den Kriterien

  • Art der Besicherung,

  • Empfänger der zu erbringenden Leistung,

  • Fristigkeit,

  • Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung.

II. Behandlung von Verbindlichkeiten

1. Handelsbilanz

4 Verbindlichkeiten müssen gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB mit dem Erfüllungsbetrag bilanziert werden, auch wenn die Auszahlungshöhe davon abweicht, wie z. B. beim Ansatz/Einbehalt eines Disagios. Der Erfüllungsbetrag stellt bei Geldleistungen der vereinbarte Rückzahlungsbetrag und bei Sachleistungen die in Geld ausgedrückten voraussichtlichen Kosten für die Sachleistungserbringung.

5 Die Bewertung von Verbindlichkeiten erfolgt generell nach den Bewertungsgrundsätzen des § 252 Abs. 1 HGB. Somit ist dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip Rechnung zu tragen. Eine Erhöhung des Erfüllungsbetrags führt zu einer Höherbewertung der Verbindlichkeit, eine Reduzierung des Erfüllungsbetrags wird in der Bilanz nicht berücksichtigt.

6 Da es sich bei Verbindlichkeiten i. d. R. um Rechtsgeschäfte handelt, für die normalerweise in der Praxis aus dem Darlehensvertrag heraus marktübliche Zinsen gezahlt werden, ist der Erfüllungsbetrag nicht weiter nach dem HGB - im Gegensatz zu Rückstellungen - abzuzinsen. Auf weitere Sonderfälle, wie z. B. die Behandlung von Rentenverpflichtungen im Handelsrecht oder unverzinslichen Verpflichtungen, wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Im Weiteren wird ausschließlich die steuerrechtliche Behandlung von Verbindlichkeiten behandelt.

7-9 Einstweilen frei

2. Steuerbilanz
a) Allgemeines
10Rechtsgrundlagen

Der Gesetzgeber hat mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a Buchst. e Satz 1 EStG i. d. F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (BGBl 1999 I S. 402) letztmalig maßgeblich in den gesetzlichen Rahmen für Verbindlichkeiten und Rückstellungen eingegriffen. Im Jahr 2002 hat er in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG die Handhabung von Rückstellungen zur Rücknahme nicht mehr verkehrsfähiger Erzeugnisse geregelt. Im Übrigen hat er sich auf die Anpassung an Rechtschreibregeln, einheitliche Begrifflichkeiten, zeitgemäßen Sprachgebrauch und redaktionelle Änderungen beschränkt.

11 Der Gesetzgeber hat 1999 Rückstellungen erstmalig kodifiziert und für Rückstellungen und Verbindlichkeiten zusätzlich zu dem bis dahin gültigen Recht ein Wahlrecht eingefügt (s. A. II. Prüfschema 2 Prüfschritt 5) und diesem Gültigkeit für nach dem endende Wirtschaftsjahre verliehen (§ 52 Abs. 16 Satz 2 EStG). Für Verbindlichkeiten gilt weiterhin der Verweis auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG, dessen Regelungen sinngemäß anzuwenden sind. Es gelten also auch für Verbindlichkeiten das Anschaffungskostenprinzip und die Grundsätze zur Teilwertermittlung. Anders als bei Forderungen ist bei Verbindlichkeiten eine Anschaffung über oder unter dem Erfüllungsbetrag selten. Im Zweifel handelt es bei der Differenz dann um ein (verstecktes) Entgelt oder einen Ertrag. An diesen Grundsätzen hat das Steuerentlastungsgesetz nichts geändert.

12Abzinsungssatz

Neu war allerdings vor allem ein einheitlicher Abzinsungszinssatz von 5,5 %. Der BFH hat in mehreren Entscheidungen einen mittleren Zinssatz von 5,5 v.H. als angemessen bezeichnet. Dies gilt, obwohl sich gegenüber einer nicht abzinsungspflichtigen Minimalverzinsung erhebliche Wertunterschiede ergeben und obwohl ein Minimalzinssatz, der weit von Marktüblichkeiten entfernt ist, meist nicht als missbräuchlich angesehen wird. Missbräuchlich wäre nur eine Scheinzinsvereinbarung, die sich aber nur bei stärkeren Indizien als dem vertragswidrigen Verhalten des Schuldners feststellen lässt. Der BFH betont zwar immer die Existenz missbräuchlicher Gestaltungen, zeigt aber selten Fälle auf, in denen er zu einer solchen Annahme kommt. Auch in seiner viel beachteten Entscheidung vom hat der BFH diese Frage ausdrücklich offen gelassen. In einer Finanzierungslandschaft mit „Null-%-Finanzierungen“ bei fast jeder Bonität und Lockkrediten mit 4 % Rendite statt einer Zinszahlung dürfte es auch zukünftig wenige Fälle geben, bei denen allein der vereinbarte Zins zu niedrig sein dürfte.

13Da der Abzinsungssatz bis zur Tilgung der Verbindlichkeit konstant ist, sieht der BFH den Bedarf eines mittleren Zinssatzes. Die allgemeinen Vorschriften des Bewertungsgesetzes bieten dafür nach Auffassung des BFH und des Gesetzgebers einen sinnvollen Anhaltspunkt. Dort findet sich für die Berechnung des Kapitalwerts wiederkehrender Nutzungen und Leistungen ein Zinssatz von 5,5 %. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um Zinsen nach §§ 233 ff. AO war das zunächst einmal aus damaliger Sicht ein Schritt zu einem vereinfachten Verfahren, der wie bei jeder Typisierung mit Unschärfen einhergeht, aber auch Verwerfungen mit sich bringen kann, wie die Probleme bei § 6a EStG zeigen. Die Abzinsung von Pensionsverpflichtungen führt nicht nur zu sehr unterschiedlichen Wertansätzen in Handels- und Steuerbilanz, die sich eines (ungewissen) Tages auswirken. Sie bedeuten auch massive Risiken für die Solvenz eines Unternehmens.

14Der BFH hatte vor Einführung des § 6a EStG im Jahr 1979 regelmäßig die Identität der Anforderungen an diesen Zinssatz mit der für andere Verbindlichkeiten betont, so dass ein Gleichlauf, jedenfalls der Größenordnung nach, unter Gleichheitsgesichtspunkten gesetzgeberisch empfehlenswert ist. Zurzeit ist ein Zinssatz von 4,5 % in der Diskussion. Dies ließe sich mit einer neuen Mitte begründen, einer neuen Zinsmitte. Die Zinsgestaltung durch die europäische Zentralbank hätte vor 15 Jahren niemand für möglich gehalten, so dass man einen neuen Zinskorridor begründen könnte, in dessen Mitte sich eher 4,5als 5,5 oder 6 % finden. Andererseits sind die Unterschiede nicht so groß wie bei den für §§ 233 ff. AO angeblich oder tatsächlich relevanten Vergleichszinsen, so dass sich ein verfassungsrechtliches Gebot zur Absenkung wohl nicht ergeben dürfte. Es ist eher eine (fiskal-)politische Entscheidung. Für die Abzinsung könnte damit ein Zinsfrieden verbunden sein, da betriebliche Finanzierungen selten mit den Niedrigstzinsen erfolgen und maßgebliche Steigerungen der Zinsen am langen Ende auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sind, da sie haushalterisch von niemandem in Europa bezahlt werden könnten. Die Entscheidung könnte auch Teil eines Maßnahmenpakets zur Förderung der Unternehmen in Zeiten fallender Steuersätze weltweit sein, die nicht so augenfällig wäre wie eine Steuersatzermäßigung.

15 Nicht nur die Gesetzeslage sondern auch die Rechtslage unterliegt einer gewissen Stabilität, weswegen auch das /05, BStBl 2005 I S. 699; Jahr für Jahr in seiner Gültigkeit verlängert werden kann.

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