BGH Beschluss v. - 4 StR 117/22

Absoluter Revisionsgrund bei Mitwirkung eines nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen „Scheinverteidigers“ an der Hauptverhandlung im Falle einer notwendigen Verteidigung

Gesetze: § 140 Abs 1 StPO, § 338 Nr 5 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 13 BRAO

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-4 KLs 3/21

Gründe

1Das Landgericht hat den im Übrigen freigesprochenen Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubes, versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, Diebstahls und versuchter Anstiftung zur Falschaussage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

2Die erhobene Verfahrensbeanstandung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Revision stützt sich mit Erfolg auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.

31. Nach dem Revisionsvorbringen wurde der Angeklagte in der Hauptverhandlung am , an dem das angefochtene Urteil erging, allein von dem ihm beigeordneten weiteren Pflichtverteidiger verteidigt. Dieser war seit dem nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen.

42. Die Verfahrensrüge ist in zulässiger Weise erhoben. Der Vortrag der Revision genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. hierzu Rn. 4 mwN). Die Pflichtverteidigerin trägt unter Mitteilung der erhaltenen schriftlichen Auskunft der Rechtsanwaltskammer Hamm konkret und bestimmt vor, seit wann der weitere Verteidiger nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war. Die Ausführungen hierzu sind nicht etwa unklar oder widersprüchlich. Die Revision teilt zusätzlich die - ihrerseits unklaren - Angaben des vormaligen Rechtsanwalts gegenüber der Pflichtverteidigerin dazu mit, wann ihm die Zulassung entzogen worden sei, ohne damit inhaltlich von ihrem Vorbringen abzurücken. Indem sie diese ihr insoweit unter Berücksichtigung von § 76 BRAO allein zugänglichen und die weiteren für den gerügten Verfahrensfehler bedeutsamen Tatsachen vorgetragen hat, ist die Revision den Vortragserfordernissen gerecht geworden (vgl. auch Rn. 5 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 22).

53. Die Verfahrensrüge ist begründet.

6a) Das Erlöschen (§ 13 BRAO) der Anwaltszulassung des Pflichtverteidigers vor dem letzten Hauptverhandlungstag ergibt sich zweifelsfrei bereits aus dem von der Revision übermittelten Schreiben der Rechtsanwaltskammer Hamm.

7b) Da es sich vorliegend um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StPO), begründet die alleinige Mitwirkung des nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen „Scheinverteidigers“ an der Hauptverhandlung den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vgl. Rn. 10; Beschluss vom - 4 StR 192/06 Rn. 4; Beschluss vom - 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 239, 242). Mit der Verlesung der Urteilsformel ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung betroffen (vgl. Rn. 11; Beschluss vom - 2 StR 194/01 Rn. 6; Beschluss vom - 5 StR 472/90; Urteil vom - 2 StR 575/60, BGHSt 16, 178, 180).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:300822B4STR117.22.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-22433