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BGH Beschluss v. - VIII ZB 44/22

Rechtsbeschwerdeverfahren gegen eine Räumungsvollstreckung bei Wohnraum: Einstweilige Einstellung der Vollstreckung wegen Wegfalls der Voraussetzungen eines vom Wohnraummieter erklärten Verzichts auf Vollstreckungsschutz

Gesetze: § 570 Abs 3 ZPO, § 575 Abs 5 ZPO, § 794a Abs 1 ZPO, § 794a Abs 2 ZPO, § 313 BGB, § 535 BGB, §§ 535ff BGB, § 546 BGB

Instanzenzug: Az: 1 T 122/22vorgehend Az: 17 C 159/21nachgehend Az: VIII ZB 44/22 Beschluss

Gründe

1Das Rechtsbeschwerdegericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 570 Abs. 3 Halbs. 1, § 575 Abs. 5 ZPO auch die Vollziehung einer Entscheidung der ersten Instanz aussetzen, wenn hierdurch dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als dem Gegner, die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint und die Rechtsmittel des Rechtsbeschwerdeführers nicht von vornherein ohne Erfolgsaussicht sind (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 84/09, WuM 2010, 252 Rn. 1; vom - VIII ZB 9/10, GE 2010, 1055; vom - VIII ZB 95/11, WuM 2011, 703 Rn. 1; vom - VIII ZB 3/12, WuM 2012, 158 Rn. 3; vom - VIII ZB 43/21, WuM 2022, 57 Rn. 1 mwN). Entsprechendes gilt, wenn die Vollstreckung eines von der ersten Instanz protokollierten Räumungsvergleichs droht (§ 794a Abs. 1 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

2Durch die Vollstreckung des Räumungsvergleichs würde der Beschwerdeführerin ein unwiederbringlicher Nachteil entstehen. Nach den von der Rechtsbeschwerde vorgelegten Unterlagen befürchtet der Beschwerdegegner zwar ebenfalls nicht unerhebliche Nachteile im Falle des vorläufigen Verbleibens der Beschwerdeführerin in der Wohnung. Jedoch überwiegen diese Nachteile nicht die von der Beschwerdeführerin zu vergegenwärtigenden Nachteile. Diese sieht sich einem nicht rückgängig machbaren Verlust der Mietwohnung ausgesetzt. Vor einem solchen Verlust ist sie einstweilen aufgrund ihrer durch die - mittels ärztlicher Atteste belegte - drei Monate nach Abschluss des Räumungsvergleichs erlittene Schussverletzung am Kopf hervorgerufenen und noch andauernden besonderen persönlichen und gesundheitlichen Situation zu schützen.

3Der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaften, frist- und formgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde ist in der Sache eine Erfolgsaussicht nicht abzusprechen. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde vor dem Hintergrund zugelassen, dass die Fragen, ob der in einem Räumungsvergleich erklärte Verzicht des Mieters auf Räumungsschutzanträge (§ 794a Abs. 1, 2 ZPO) wirksam ist und ob er sich gegebenenfalls auch auf unvorhersehbare und unbekannte Härtegründe erstreckt, umstritten sind und höchstrichterlich noch keine Klärung erfahren haben (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZB 28/08, NJW-RR 2009, 422 Rn. 5). Angesichts dessen kann die Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde derzeit nicht verneint werden.

4Je nach Beurteilung dieser Rechtsfragen könnte - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - unter Umständen eine Unwirksamkeit des Verzichts auf Räumungsschutz aus § 313 BGB (Wegfall vorausgesetzter künftiger Umstände) in Betracht kommen. Denn die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdeinstanz Tatsachen vorgetragen, die es als nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, dass die Geschäftsgrundlage aufgrund ihrer nachträglich eingetretenen und unvorhersehbaren gesundheitlichen Situation entfallen ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030622BVIIIZB44.22.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-22429