Strafverurteilung wegen versuchten Totschlags u.a.: Notwendigkeit der tatrichterlichen Urteilsfeststellungen zum Rücktrittshorizont
Gesetze: § 24 StGB
Instanzenzug: LG Mühlhausen Az: 1 Ks 142 Js 54129/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
21. Nach den Feststellungen stand der Angeklagte mit den Zeugen I. , G. und S. in gelöster Stimmung vor einem Supermarkt und konsumierte Alkohol. Der zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierte Angeklagte nahm „plötzlich und ohne jede Vorwarnung, aber auch ohne ermittelbares Motiv oder ermittelbaren Anlass (...) ein vom ihm ständig mit sich geführtes Einhandmesser, öffnete es und führte in einer durchgehenden raschen Bewegung einen annähernd waagrechten Schnitt gegen den Hals des Zeugen I. “. Der Zeuge fasste sich an den Hals und realisierte, dass er dort blutete. Er ging vom Angeklagten weg und rief den in der Nähe stehenden Zeugen G. und S. zu, sie sollten einen Krankenwagen rufen. Der Zeuge G. realisierte die Verletzung und nahm sein Telefon zur Hand, um einen Notruf abzusetzen. In diesem Moment trat der Angeklagte mit dem sinngemäßen Bemerken: „Hier ruft keiner den Krankenwagen!“ auf ihn zu und riss ihm das Handy aus der Hand. Der Zeuge S. hielt den Angeklagten, der sich mit dem Telefon des G. entfernen wollte, fest. Der Zeuge G. wiederum sah, dass der Angeklagte vom Zeugen S. aufgehalten worden war, lief auf die beiden, die wenige Schritte entfernt miteinander rangelten, zu und warf sie zu Boden, woraufhin er sein Handy wieder in die Hand bekam und einen Notruf absetzen konnte. Der Zeuge I. war zwischenzeitlich in die Knie gegangen und drückte mit seiner Hand auf die blutende Wunde. Die Zeugen G. und S. kümmerten sich um den Verletzten. Unterdessen hatte der Angeklagte die Örtlichkeit verlassen und sich auf den Nachhauseweg begeben. Ca. 45 Minuten später wurde er von der Polizei an seiner Wohnanschrift angetroffen und festgenommen.
32. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4a) Während die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Bedenken begegnet, hat das Landgericht die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts der Angeklagten vom versuchten Totschlag rechtsfehlerhaft begründet.
5Es hat ausgeführt, dass sich dies „ungeachtet des Rücktrittshorizonts“ des Angeklagten aus seinem unmittelbaren Nachtatverhalten bzw. den Reaktionen der Zeugen G. und S. ergebe. Der Angeklagte habe verhindern wollen, dass medizinische Hilfe herbeigerufen werde. Als sich ihm die Zeugen S. und G. widersetzten, habe sich die Situation für ihn nunmehr so dargestellt, dass er ersichtlich ohne Gegenwehr der anderen nicht weiter auf den Zeugen I. einwirken konnte. Daher sei keine freiwillige Aufgabe anzunehmen.
6b) Zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, dem sog. Rücktrittshorizont, wonach sich u.a. auch die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt (vgl. etwa Senat, Urteil vom - 2 StR 312/18, StV 2020, 114, 115 mwN), hat sich das Landgericht nicht verhalten. Lässt sich jedoch den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, stellt bereits dies einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel dar (st. Rspr.; vgl. etwa mwN).
73. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs. Diese erfasst auch die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung, die für sich genommen rechtsfehlerfrei ist.
8Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird Gelegenheit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eingehender als bisher darzulegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:010222B2STR306.21.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-22320