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Online-Nachricht - Donnerstag, 15.09.2022

Bauabzugsteuer | Betriebsausgabenabzug des Leistungsempfängers bei Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft (BFH)

Die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG greift auch dann ein, wenn der Leistungsempfänger i. S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG die Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft erbringt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG gewährt Empfängern von Bauleistungen auch bei fehlender Benennung der Zahlungsempfänger den vollen Betriebsausgabenabzug, wenn der Bauleistungsempfänger seiner Verpflichtung aus § 48 Abs. 1 EStG nachkommt, von der Gegenleistung einen Steuerabzug in Höhe von 15 % für Rechnung des Leistenden vornimmt (sog. Bauabzugsteuer), diesen Steuerabzugsbetrag anmeldet und an das zuständige Finanzamt abführt.

Sachverhalt: Im zweiten Rechtsgang ist streitig, ob die von der Klägerin an britische Subunternehmer geleisteten Zahlungen in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehbar oder diese gem. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO wegen unterlassener Empfängerbenennung i. H. von 70 % zu kürzen sind.

Die Klägerin, eine inländische Entwicklungs- und Bauträgergesellschaft in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (KG), nahm im Streitjahr 2002 umfangreiche Bauleistungen britischer Subunternehmer im Zusammenhang mit der Realisierung diverser Großprojekte in Anspruch. Nach den Feststellungen der Informationszentrale Ausland des Bundeszentralamtes für Steuern handelte es sich bei den britischen Firmen um wirtschaftlich inaktive Domizilgesellschaften.

Die KG nahm von den Gegenleistungen den Steuerabzug von 15 % für Rechnung der Subunternehmer vor, meldete diese Bauabzugsteuer beim zuständigen Finanzamt an und führte die Steuer ab. Da die KG die tatsächlichen Zahlungsempfänger nicht benennen konnte, kürzte das Finanzamt auf Grundlage des § 160 AO die Betriebsausgaben um 70 % der Gesamtgegenleistung. § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG, der nach seinem Wortlaut die Anwendung des § 160 AO ausschließt, sei auf inaktive ausländische Domizilgesellschaften nicht anzuwenden.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Das FG gab der Klage mit Urteil v. - 9 K 95/13 vollumfänglich statt. Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung mit Urteil v. - IV R 11/16 wegen Verfahrensfehlern auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG gab der Klage erneut in vollem Umfang statt (). (siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 18.3.2020)

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:

  • Zu Recht haben das FA und das FG die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens 2002 geprüft. Die Prüfung des Benennungsverlangens nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist bei Mitunternehmerschaften ein unselbständiger Bestandteil des gesonderten Feststellungsverfahrens nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Damit ist auch die Frage, ob und inwieweit § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG die Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sperrt, im Rahmen des gesonderten Feststellungsverfahrens zu prüfen.

  • Das FG hat § 160 Abs. 1 Satz 1 AO infolge der in § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG angeordneten Sperrwirkung zutreffend für nicht anwendbar erachtet. Ausgehend von den im Streitfall zu prüfenden gesetzlichen Vorschriften ist § 160 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann nicht anwendbar, wenn die Leistungsempfängerin - vorbehaltlich der Anmeldung und Abführung des Steuerabzugsbetrags nach § 48 Abs. 1 EStG - Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft erbringt.

  • Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit § 42 AO neben § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG anwendbar ist. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen getroffen, die Anhaltspunkte für einen Gestaltungsmissbrauch liefern könnten. Im Gegenteil hat es ausgeführt, es lägen keine Umstände vor, wonach die Klägerin als Leistungsempfängerin § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG "instrumentalisiert" und sich den Abzug entgegen § 160 AO im Zusammenwirken mit einer formal als Subunternehmer eingeschalteten Domizilgesellschaft in rechtsmissbräuchlicher Weise erschlichen habe.

  • Die durch § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG ausgelöste Ungleichbehandlung zwischen Bauleistungsempfängern und Auftraggebern von Leistungen aus anderen Dienstleistungssektoren verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Anmerkung von Walter Bode, Richter im IV. Senat des BFH:

Das Steuerabzugsverfahren nach § 48 ff. EStG soll die illegale Betätigung im Baugewerbe eindämmen. Auch die Ausgestaltung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG orientiert sich an diesem Zweck. Die Empfänger von Bauleistungen werden mit dem Steuerabzug in Höhe von 15 % der Gegenleistung (ein Steuersatz, den der BFH mit Blick auf Vereinfachungs- und Typisierungserfordernisse aus verfassungsrechtlicher Sicht für gerechtfertigt hält) belastet. Dieser Steuerabzug tritt nach § 48 Abs. 4 EStG an die Stelle der anderenfalls bestehenden gesetzlichen Wege zur Sicherstellung des Steueranspruchs, nämlich an die Stelle des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO (§ 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG) und an die Stelle des § 42d Abs. 6 und Abs. 8 sowie des § 50a Abs. 7 EStG (§ 48 Abs. 4 Nr. 2 EStG). Diese Auswirkungen des Steuerabzugsverfahren nach § 48 ff. EStG illustriert das BFH-Urteil IV R 4/20:

Eine KG, die aus der Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben aller Art gewerbliche Einkünfte erzielte, hatte sich für die Realisierung diverser Großobjekte britischer Subunternehmer bedient und im Jahresabschluss für das Streitjahr (2002) Zahlungen an diese i. H. von 950.110 € als Betriebsausgaben berücksichtigt. Unstreitig war, dass diese Zahlungen als Gegenleistung für "Bauleistungen" i. S. des § 48 EStG getätigt worden waren und die KG im Jahr 2003 hierfür Bauabzugsteuer für die britischen Subunternehmer in gesetzlicher Höhe angemeldet und abgeführt hatte. Das FA vertrat jedoch die Auffassung, dass gem. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO die im Streitjahr getätigten Zahlungen an die Subunternehmer i. H. von 70 % nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig seien, weil es sich bei sämtlichen britischen Firmen um wirtschaftlich inaktive Briefkastengesellschaften/Domizilgesellschaften gehandelt habe und ein an die KG gerichtetes Benennungsverlangen zur Feststellung der aus den Zahlungen tatsächlich begünstigten Personen zu keinem Ergebnis geführt habe. Der BFH hat hingegen das FG bestätigt, das die streitbefangenen Zahlungen vollständig zum Betriebsausgabenabzug zugelassen hatte.

Danach greift die Sperrwirkung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG, wonach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht anzuwenden ist, auch bei Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft, ein. Denn weder der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 1 Satz 4 EStG und die Entstehungsgeschichte noch der Gesetzeszweck lassen die vom FA vertretene einschränkende Auslegung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG zu. Nach der Fiktion in § 48 Abs. 1 Satz 4 EStG "gilt" als Leistender auch derjenige, der über eine Leistung abrechnet, ohne sie erbracht zu haben. Danach sind auch inaktive ausländische Domizilgesellschaften und Briefkastenfirmen, welche die Bauleistung nicht selbst erbringen, vom Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 EStG erfasst. Der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG ordnet vorbehaltlos als Rechtsfolge an, dass § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht anzuwenden ist. Er enthält also keine Einschränkung, wonach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nur bei Zahlungen an einen näher bestimmten Personenkreis keine Anwendung finden soll. Wie im BFH-Urteil IV R 4/20 näher dargelegt wird, zeigen auch die Gesetzesmaterialien zu den durch das Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe vom (BGBl I 2001, 2267, BStBl I 2001, 602) eingefügten §§ 48 ff. EStG, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch Zahlungen an inaktive ausländische Domizilgesellschaften die Rechtsfolge des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG auslösen sollen. Der Normzweck, mit dem durch den Leistungsempfänger vorzunehmenden Steuerabzug an der Quelle gerade auch gegen inaktive ausländische Domizilgesellschaften und Scheinfirmen vorzugehen, zugleich den Leistungsempfänger aber aus der "Gefährdungshaftung" des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO zu entlassen und seinen Betriebsausgabenabzug sicherzustellen, spricht gleichfalls gegen eine einschränkende Auslegung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG.

Ob und inwieweit § 42 AO neben § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG anwendbar ist, konnte der BFH offen lassen, weil das FG in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen getroffen hatte, die Anhaltspunkte für einen Gestaltungsmissbrauch hätten liefern können. Im Übrigen war der BFH auch von der Verfassungsmäßigkeit des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG überzeugt. Die Privilegierung der Auftraggeber von Bauleistungen gegenüber den Auftraggebern von Leistungen aus anderen Dienstleistungssektoren, die bei Zahlungen an inaktive Domizilgesellschaften mit einer Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO zu rechnen haben, verletze nicht den Gleichheitssatz. Denn eine Ungleichbehandlung sei durch den mit § 48 EStG verfolgten Lenkungszweck sowie damit einhergehende Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse sachlich gerechtfertigt.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
OAAAJ-22016