Mietrechtsstreit nach außerordentlicher Kündigung von Gewerberäumen: Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht bei Übergehen von Parteivortrag zum Zahlungsverzug
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 543 BGB, § 546 BGB, § 546a BGB, § 30 Abs 1 S 1 GewO
Instanzenzug: Az: I-10 U 136/20vorgehend Az: 40 O 80/19
Gründe
I.
1Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen nach zwei außerordentlichen Kündigungen der Klägerin.
2Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben Eigentümerin einer Gewerbeimmobilie an der Königsallee in Düsseldorf. Die Räume im 5. Obergeschoss der Immobilie werden seit 2008 zum Betrieb einer Privatklinik für kosmetische Behandlungen genutzt. Bis Februar 2014 war die Beklagte zu 2 Mieterin der Räumlichkeiten. Mit Wirkung ab März 2014 mietete die Beklagte zu 1 die Räumlichkeiten, die von den Beklagten zu 2 und 3 als Untermieter genutzt wurden. Ob dies mit Kenntnis und Billigung der Klägerin erfolgte, wird von den Parteien unterschiedlich dargestellt.
3Die Beklagte zu 1 verfügt im Gegensatz zur Beklagten zu 3 nicht über eine gewerbliche Erlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GewO zum Betrieb einer Klinik.
4Das mit der Beklagten zu 1 bestehende Mietverhältnis hat die Klägerin mit Schreiben vom fristlos gekündigt, gestützt auf das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis, einen angeblichen Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung und die Nichtzahlung einer angeblich verwirkten Vertragsstrafe.
5Das Landgericht hat die Beklagten mit Urteil vom zur Räumung und Herausgabe der Gewerberäume verurteilt. Das Urteil wurde den Beklagten am zugestellt.
6Gegen das Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt. Mit der Berufungserwiderung vom hat die Klägerin erneut die außerordentliche Kündigung erklärt. Zur Begründung hat sie insbesondere vorgetragen, die Beklagte zu 1 habe ab Juni 2020 keinerlei Miete mehr gezahlt.
7Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die angefochtene Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter.
II.
8Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Zulassung der Revision, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
91. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
10Dass die Beklagte zu 1 keine Konzession nach § 30 GewO eingeholt habe, stelle keinen wichtigen Grund für eine Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB dar. Denn die Beklagte zu 1 habe gegenüber der Klägerin keine solche Pflicht getroffen, weil sie nach § 7.7 des Mietvertrages zwar verpflichtet gewesen sei, baurechtliche Vorschriften im Zusammenhang mit Um- und Ausbaumaßnahmen einzuhalten, nicht aber eine Konzession nach § 30 GewO einzuholen und der Vermieterin vorzulegen. Soweit die Beklagte zu 1 zugesagt habe, jeglichen auf das Vorhandensein einer Kliniklizenz hindeutenden Außenauftritt wie etwa Beschilderungen, Bezeichnungen auf Briefbögen oder Bekundungen in der Öffentlichkeit oder in der Kommunikation mit Dritten zu unterlassen, seien Verstöße nicht nachgewiesen. Ebenso wenig könne ein Grund für eine außerordentliche Kündigung daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte eine Vertragsstrafe gemäß der von ihr abgegebenen Unterlassungserklärung nicht bezahlt habe.
11Soweit die Klägerin die weitere außerordentliche Kündigung vom auf eine Einstellung der Zahlung von Nutzungsentschädigung stütze, gehe dies schon deswegen fehl, weil eine solche nur geschuldet sei, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgebe.
12Im Übrigen stelle zwar die Nichtzahlung der Miete, auf die die Klägerin sich berufe, grundsätzlich einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB dar. Dem liege jedoch der Gedanke zu Grunde, dass eine Leistung nur im Hinblick auf die zu erwartende Gegenleistung erfolgen solle. Dieser Schutzgedanke greife indessen vorliegend nicht. Denn die Beklagte zu 1 habe die Miete gerade deswegen nicht weiter gezahlt, weil sie von der Klägerin auf Räumung in Anspruch genommen worden sei. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin solle in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass des erstinstanzlichen, auf Räumung lautenden Urteils eine weitgehende Räumung der Räumlichkeiten erfolgt sein. Zahle aber der zur Räumung verurteilte Mieter die Miete nicht mehr, weil er dem Räumungsverlangen schon vor Rechtskraft des Urteils nachkomme, falle ihm jedenfalls kein Verschulden zur Last, da er sich so verhalte, wie es das Urteil von ihm verlange. Die unterbliebene Zahlung begründe dann auch keinen Kündigungsgrund nach § 543 BGB, weil der Vermieter seine Kündigung nach der gebotenen Interessenabwägung nicht darauf stützen könne, dass der Mieter dem auf die (unberechtigte) Kündigung gestützten Räumungsverlangen nachgekommen sei und gerade deshalb die Miete nicht zahle.
132. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, soweit das Berufungsgericht die Wirksamkeit der Kündigung der Klägerin vom verneint hat. Denn die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht insoweit unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) entschieden hat.
14a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZR 152/19 - NJW-RR 2021, 861 Rn. 10).
15b) Gemessen daran beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht ausweislich seiner Ausführungen den Vortrag der Klägerin offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen hat, die Beklagte zu 1 habe ab Juni 2020, und damit bereits zwei Monate vor Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung, jegliche Mietzahlungen eingestellt.
16Zwar hat das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Beklagte zu 1 die Mietzahlungen eingestellt hat und wann die Beklagten die Gewerberäume geräumt haben. Es legt seiner Beurteilung aber offensichtlich zugrunde, dass die Mietzahlungen erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und zu einem Zeitpunkt eingestellt wurden, als die Räumlichkeiten bereits weitgehend geräumt waren. Dies lässt nur den Schluss zu, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin nicht zu Kenntnis genommen hat, wonach die Mietzahlungen bereits im Juni 2020 eingestellt worden sein sollen. Dass die Beklagten zu diesem Zeitpunkt die Gewerberäume schon weitgehend geräumt hätten, ist weder festgestellt noch ersichtlich.
17c) Die gerügte Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zu Recht aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es Feststellungen dazu getroffen hätte, wann die Beklagte zu 1 die Mietzahlungen eingestellt hat.
183. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, und die vom Berufungsgericht angenommene Unwirksamkeit der Kündigung der Klägerin vom keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
19Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:240822BXIIZR76.21.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-21953