Verfahrensrecht | Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 AO (BFH)
Für den rechtmäßigen Erlass eines
Änderungsbescheids nach
§ 174 Abs. 4
AO reicht es aus, wenn die Änderungsvoraussetzungen,
insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten
des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf
§ 174 Abs. 4
AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen (Anschluss an
). Im Anwendungsbereich des
§ 174 Abs.
4 Satz 3 AO ist zudem erforderlich, dass die (Fehler
heilende) Einspruchsentscheidung innerhalb der Jahresfrist erlassen wird
(; veröffentlicht am
).
Sachverhalt: Die Klägerin hatte im Jahr 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke veräußert, die zuletzt verpachtet waren. Das beklagte FA unterwarf die Veräußerung im Einkommensteuerbescheid 2007 in vollem Umfang der sog. Bodengewinnbesteuerung, weil die Grundstücke bis zur Veräußerung zu einem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten. Nachdem das FG in einem Aussetzungsverfahren entschieden hatte, dass der Veräußerungsgewinn je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei, änderte das FA die Einkommensteuer 2007 mit Bescheid vom zu Gunsten und die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom zu Lasten der Klägerin ab, indem es den Veräußerungsgewinn in den beiden Veranlagungszeiträumen je zur Hälfte erfasste.
Die gegen die Änderungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wegen Einkommensteuer 2007 war erfolglos. Die dagegen gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage wegen Einkommensteuer für das Streitjahr wies das FG ebenfalls ab (). (siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 12.8.2019)
Der BFH hat die Revision als begründet angesehen, das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen:
Ein auf § 174 Abs. 4 Satz 1 AO gestützter Steuerbescheid, der erlassen wird, bevor der den Widerstreit auslösende, fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert worden ist, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung ("nachträglich") rechtswidrig. Dies ist jedoch dann unbeachtlich, wenn der fehlerhafte Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen seinerseits bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid aufgehoben oder geändert wird und damit zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO vorliegen (u.a. ). Denn gem. § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat.
Ist die Festsetzungsfrist für den Steuerbescheid, für den gem. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nunmehr die richtigen steuerlichen Folgen zu ziehen sind, bereits abgelaufen, ist dessen Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO nur zulässig, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.
Nach dem insoweit ebenfalls eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sowie nach deren Sinn und Zweck, die Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen von einer vorherigen Änderung eines fehlerhaften Steuerbescheids zu seinen Gunsten abhängig zu machen, beginnt die Jahresfrist erst mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, mit dem der fehlerhafte Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird. Ein vor diesem Zeitpunkt erlassener rechtswidriger Steuerbescheid kann daher für die Einhaltung der Jahresfrist nicht herangezogen werden.
Das FG ist teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres konnte - ausgehend von der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist - nicht auf die vorliegend allein in Betracht kommende Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 3 AO gestützt werden. Denn die steuerlichen Folgerungen aus der vorherigen Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 sind nicht nachträglich innerhalb eines Jahres nach dessen Erlass gezogen worden.
Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Festsetzungsfrist 2008 wegen einer (möglichen) leichtfertigen Steuerverkürzung der Klägerin gem. § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO fünf Jahre beträgt und der hier angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom daher noch innerhalb dieser verlängerten Festsetzungsfrist erlassen worden ist.
Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:
Durch die Rechtsprechung des BFH ist seit dem geklärt, dass es für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheides nach § 174 Abs. 4 AO ausreicht, dass die Voraussetzungen für die Änderung - insbesondere die Änderung des anderen Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen - bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Abs. 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen und damit auch, dass der Umstand der „fehlerhaften Änderungsreihenfolge“ unbeachtlich ist, wenn - wie im Streitfall - zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung über den Einkommensteuerbescheid für 2008 am die Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 2007 erfolgt war.
Was aber, wenn in einem solchen Fall die Festsetzungsfrist für den Steuerbescheid, für den gem. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO die richtigen steuerlichen Folgen (vorschnell) gezogen worden sind, abgelaufen ist? Diese umstrittene Frage hat der BFH nunmehr in der Besprechungsentscheidung geklärt und den Anwendungsbereich von § 174 Abs. 4 Satz 3, insbesondere im Hinblick auf die dort geregelte Jahresfrist verdeutlicht. Danach beginnt die Jahresfrist erst mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, mit dem der fehlerhafte Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird. Ein vor diesem Zeitpunkt erlassener rechtswidriger Steuerbescheid kann daher für die Einhaltung der Jahresfrist nicht herangezogen werden. Auch insoweit gilt jedoch, dass der rechtswidrige Steuerbescheid bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung in die Rechtmäßigkeit hineinwachsen kann. Im Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO kommt dies jedoch nur in Betracht, wenn die Einspruchsentscheidung innerhalb der Jahresfrist erlassen wird. Nur dadurch wird sichergestellt, dass die vom Gesetz nur binnen Jahresfrist akzeptierte Durchbrechung der Festsetzungsfrist nicht verlängert wird.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
JAAAJ-21196