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Online-Nachricht - Donnerstag, 01.09.2022

Verfahrensrecht | Überlange Verfahrensdauer und Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Entschädigung (BFH)

Ist dem Entschädigungskläger aufgrund der unangemessen langen Dauer eines Gerichtsverfahrens ein Nichtvermögensnachteil entstanden, ist allein der Gesichtspunkt, der Entschädigungskläger sei neben der Überlänge des Verfahrens keinen weitergehenden immateriellen Nachteilen ausgesetzt gewesen, im finanzgerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht geeignet, dem Entschädigungskläger eine Geldentschädigung zu versagen und ihn auf eine Wiedergutmachung in anderer Weise zu verweisen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Sachverhalt: Im Streitfall beansprucht der Kläger Entschädigung gem. § 198 GVG für die von ihm als unangemessen angesehene Dauer eines vor dem FG geführten Klageverfahrens.

Die Richter des BFH sprachen dem Kläger wegen der unangemessenen Dauer des vor dem FG geführten Verfahrens eine Entschädigung von 1.500 € nebst Zinsen zu:

  • Ein PKH-Verfahren, das gleichzeitig neben einem rechtshängigen Hauptsacheverfahren geführt wird, ist entschädigungsrechtlich kein eigenständiges Gerichtsverfahren i.S. von § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG.

  • Dessen Bearbeitung ist dann als verfahrensfördernde Maßnahme des Hauptsacheverfahrens anzusehen, wenn es sich um eine solche handelt, die erkennbar eine verfahrensbeendende Zielrichtung hat.

  • Ist dem Entschädigungskläger aufgrund der unangemessen langen Dauer eines Gerichtsverfahrens ein Nichtvermögensnachteil entstanden, ist allein der Gesichtspunkt, der Entschädigungskläger sei neben der Überlänge des Verfahrens keinen weitergehenden immateriellen Nachteilen ausgesetzt gewesen, im finanzgerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht geeignet, dem Entschädigungskläger eine Geldentschädigung zu versagen und ihn auf eine Wiedergutmachung in anderer Weise zu verweisen.

  • Eine bereits geleistete Geldentschädigung für die unangemessene Dauer eines Parallelverfahrens bei demselben Ausgangsgericht steht der Zuerkennung einer weiteren Entschädigung aufgrund der Verzögerungen des anderen Verfahrens regelmäßig nicht entgegen.

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Der BFH hatte sich vorliegend mit der Frage zu beschäftigen, was eigentlich ein Gerichtsverfahren ist, das im Rahmen einer Entschädigungsklage zu beurteilen ist, wenn mehrere Verfahren bei Gericht anhängig sind.

Das Gerichtsverfahren, für das ein Verfahrensbeteiligter gem. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG Entschädigung erhalten kann, umfasst nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG auch das Prozesskostenhilfeverfahren. Folglich sind die Verfahrenshandlungen in einem solchen PKH-Verfahren, wenn es nicht isoliert geführt wird (dazu , BStBl II 2020, 16), im bereits anhängigen Hauptsacheverfahren relevant.

Nicht zu den verfahrensfördernden Maßnahmen gehört allerdings die Anforderung aktualisierter Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers - sind sie doch häufig erst aufgrund der Verzögerung nötig geworden.

Dagegen zeigt der PKH-Beschluss, dass sich das Gericht verfahrensfördernd mit dem Hauptsacheverfahren und dessen Erfolgsaussichten bereits auseinandergesetzt hat und folglich für die Zeit der Erstellung dieses Beschlusses keine Entschädigung zu gewähren ist.

Für die Verzögerung in einem Gerichtsverfahren ist es im Übrigen ohne Belang, dass es sich um ein Parallelverfahren handelt. Jedes Gerichtsverfahren ist für sich zu betrachten und kann nicht dazu führen, dass statt einer Geldentschädigung nunmehr im Parallelverfahren nur noch eine Feststellung i.S.d. § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG auszusprechen ist.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
AAAAJ-21186