BGH Beschluss v. - 1 StR 81/22

Mord: Anforderungen an das Mordmerkmal der Heimtücke

Gesetze: § 211 Abs 2 StGB

Instanzenzug: LG München I Az: 1 Ks 123 Js 190303/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts las der Angeklagte am Abend des Chat-Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die seine Ehefrau, das Tatopfer, mit einem anderen Mann ausgetauscht hatte. Der Angeklagte fürchtete daher um den Fortbestand der Ehe, an der er festhalten wollte, um weiterhin am Vermögen seiner Ehefrau zu partizipieren; er stellte seine Ehefrau, die sich in einen anderen Raum zurückgezogen hatte und auf einem Sofa saß, zur Rede. Sie forderte ihn indes auf zu verschwinden und äußerte sinngemäß, "dass alles okay wäre, wenn sie ihn jetzt umbringe". Der Angeklagte, wütend, gekränkt, wegen des "Entgleitens" seiner Ehe sich für "gescheitert" haltend und seiner über Jahre angestauten Aggression nachgebend, griff mit seiner rechten Hand nach einem auf dem Beistelltisch – unter nicht weiter aufklärbaren Umständen – abgelegten Küchenmesser, das er bereits rund eineinhalb Stunden zuvor dort gesehen hatte, um seine Ehefrau zu töten. Zugleich "streckte [er] unterdessen seinen linken Arm in einer abwehrenden Bewegung nach vorn, um hierdurch von vornherein eine etwaige Bewegung seiner Ehefrau in Richtung des Messers zu unterbinden und dieses ungehindert ergreifen zu können" (UA S. 23). Sich nach Ergreifen des Messers nach links drehend, versetzte der Angeklagte seiner Ehefrau, die gerade aufstand und die dem Angriff wegen dessen Schnelligkeit nichts Wirksames entgegenzusetzen hatte, einen ersten Stich in den vorderen Rumpfbereich. Der Ehefrau gelang es nicht, die Hände oder Arme des Angeklagten zu ergreifen, der mindestens zehn weitere Male zustach, und zwar in den Kopf-, Hals- und Brustbereich. Schließlich würgte der Angeklagte die zu Boden gesunkene Ehefrau am Hals, um den Todeseintritt zu beschleunigen. Die Ehefrau verstarb an ihren äußeren und inneren Blutungen; sie erstickte, weil sie Blut eingeatmet hatte.

32. Die Feststellungen tragen nicht das Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 zweite Gruppe Variante 1 StGB).

4a) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.

5aa) Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung für die Frage der Arglosigkeit ist dabei, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Besorgt das Opfer einen gewichtigen Angriff auf seine körperliche Integrität, ist es vielmehr selbst dann nicht arglos, wenn es etwa wegen fehlender Kenntnis von der Bewaffnung des Täters die Gefährlichkeit des erwarteten Angriffs unterschätzt (st. Rspr.; zuletzt Rn. 9 mwN).

6Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden (st. Rspr.; vgl. ‒ 4 StR 337/20 Rn. 12; Beschluss vom – 4 StR 134/19 Rn. 13; je mwN).

7bb) In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (st. Rspr.; Rn. 5 mwN). Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt ( Rn. 7 mwN).

8b) Gemessen an diesen Vorgaben ist die Begründung des Heimtückemerkmals nicht rechtsfehlerfrei.

9aa) Bedenken begegnet bereits die Annahme einer Arglosigkeit der Ehefrau in objektiver Hinsicht. Ihre Äußerung, ‚sie könne den Angeklagten jetzt umbringen‘, könnte nahelegen, dass sie ihrerseits von einer drohenden schweren tätlichen Auseinandersetzung ausging. Sie könnte aufgestanden sein, um selbst den Angeklagten zu attackieren oder ihm zuvorzukommen. Beide Umstände hat das Landgericht – offensichtlich mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten – nicht weiter aufgeklärt; so bleibt insbesondere offen, ob die Äußerung der Ehefrau ernst gemeint war.

10bb) Jedenfalls sind der Tatvorsatz bezüglich der Arglosigkeit der Ehefrau und nachfolgend das Ausnutzungsbewusstsein nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

11(a) Mit dem Vorstrecken des linken Arms wollte der Angeklagte von vornherein verhindern, dass seine Ehefrau auf das Messer zugreifen konnte. Dieser Zweck beinhaltet, dass der Angeklagte seine Ehefrau nicht für gänzlich arglos hielt. Diesen durchgreifenden Widerspruch hat das Landgericht nicht aufgelöst.

12(b) Die Heimtücke lässt sich nicht allein darauf stützen, dass der Angeklagte durch einen schnellen Messerstich seine Ehefrau überraschen wollte. Dieser Entschluss setzte nicht zwingend den Plan des Angeklagten voraus, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des Tatopfers für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vornherein zu unterbinden, ohne Weiteres auch mit der – festgestellten – Annahme des Angeklagten in Einklang zu bringen, sich andernfalls möglicherweise in eine Auseinandersetzung mit seiner dann zur Abwehr bereiten Ehefrau begeben zu müssen (vgl. Rn. 9 aE).

13cc) Die Heimtücke lässt sich auch nicht mit einem ʺIn-den-Hinterhalt-Lockenʺ oder einem ʺraffinierte-Falle-Stellenʺ begründen (zu solchen Fallkonstellationen vgl. ‒ 4 StR 337/20 Rn. 13 und vom – 5 StR 124/20 Rn. 10 f.; Beschlüsse vom ‒ 4 StR 134/19, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 43 Rn. 13 und vom – 5 StR 296/18, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 42 Rn. 7). Denn es ist weder festgestellt, dass der Angeklagte vor Beginn des Gesprächs das Messer auf dem Beistelltisch bereitlegte, um es sogleich einzusetzen, noch, dass er seine Ehefrau zum Sofa lockte (vgl. Rn. 22 f.). Dass er das Messer bereits zuvor gesehen hatte, genügt nicht.

14c) Der Senat ändert entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch. Aufgrund der erschöpfenden Beweiserhebung, insbesondere der rechtsfehlerfreien eingehenden Auswertung der Einlassungen des Angeklagten, und des Fehlens weiterer Beweismittel ist auszuschließen, dass in einem zweiten Rechtsgang noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Heimtücke tragen könnten. Gleiches gilt angesichts der umfangreichen Feststellungen zur Ehe sowie zum Vor- und Nachtatgeschehen für die anderen Mordmerkmale, namentlich das der niedrigen Beweggründe.

15d) Die Änderung im Schuldspruch entzieht der ausgeurteilten Strafe die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf seiner Strafzumessung neue Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:050422B1STR81.22.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-21129