BSG Urteil v. - B 12 KR 37/19 R

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - GmbH-Geschäftsführer - abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit - Rechtsmacht - Voraussetzungen für das Vorliegen einer qualifizierten umfassenden Sperrminorität

Leitsatz

1. Eine "qualifizierte", die gesamte Unternehmenstätigkeit "umfassende" Sperrminorität muss sich, um eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers zu begründen, auf sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft erstrecken und darf sich nicht nur auf einzelne, im Gesellschaftsvertrag bezeichnete Geschäftsbereiche beziehen.

2. Allein ein Sonderrecht auf Geschäftsführung räumt eine solche umfassende Sperrminorität nicht ein.

Gesetze: § 25 Abs 1 S 1 SGB 3, § 7 Abs 1 SGB 4, § 5 Abs 1 Nr 1 SGB 5, § 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 20 Abs 1 S 1 SGB 11, § 20 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 11, § 38 Abs 2 GmbHG

Instanzenzug: Az: S 3 KR 668/15 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 82/17 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob der Kläger zu 1. (im Folgenden: Kläger) als Gesellschafter-Geschäftsführer der zu 2. klagenden GmbH (im Folgenden: Klägerin) seit der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterlag.

2Der Kläger ist mit einem Kapitalanteil von 49 vH am Stammkapital der Klägerin beteiligt und ihr einziger Geschäftsführer. Mehrheitsgesellschafterin ist eine weitere GmbH, bei der er weder Gesellschafter noch zum Geschäftsführer bestellt ist. Beschlüsse werden in der Gesellschafterversammlung der klagenden GmbH mit der einfachen Mehrheit gefasst (§ 14 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags <GV>). Dies gilt auch für die nach § 13 Abs 6 Satz 3 GV notwendige Zustimmung zu Handlungen der Geschäftsführung, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen. Nur in bestimmten, in § 14 Abs 3 GV aufgelisteten Angelegenheiten bedarf es einer Mehrheit von 75 vH der abgegebenen Stimmen. Dazu gehören ua Änderungen des GV, der Abschluss des Anstellungsvertrags mit Geschäftsführern und Prokuristen sowie die Festlegung und Wertänderung für zustimmungspflichtige Rechtsgeschäfte der Geschäftsführung. Gemäß § 13 Abs 2 GV hat der Kläger das Sonderrecht, für die Dauer seiner Beteiligung einzelvertretungsberechtigter, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer zu sein oder einen solchen zu benennen.

3Die Kläger schlossen zum einen Geschäftsführerdienstvertrag. Danach hat der Kläger den durch Beschlüsse der Gesellschafter erteilten Weisungen Folge zu leisten (§ 1 Abs 4 Satz 2). Keinen Weisungen unterliegt er hinsichtlich Zeit, Ort und Ausführung seiner Tätigkeit (§ 3 Abs 3).

4Auf den Statusfeststellungsantrag beider Kläger stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Kranken- (GKV), Renten- (GRV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund Beschäftigung für die Zeit ab fest (Bescheide vom , Widerspruchsbescheide vom ). Klagen () und Berufungen sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, bereits der Geschäftsführerdienstvertrag bringe die Weisungsgebundenheit des in den Betrieb der Klägerin eingegliederten Klägers zum Ausdruck. Der Kläger habe auch nicht die Rechtsmacht, ihm nicht genehme Weisungen abzuwenden. Da er nur die eine Mehrheit von 75 vH erfordernden Beschlüsse verhindern könne, verfüge er nicht über eine umfassende Sperrminorität. Das eingeräumte Sonderrecht zur Geschäftsführung ändere daran nichts, vertragswidriges Verhalten des Klägers sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht relevant. Zudem bedürfe er für über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehende Handlungen der vorherigen Zustimmung (Urteil vom ).

5Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 7 SGB IV. Das im GV eingeräumte und höchstpersönliche Sonderrecht gewähre dem Kläger unabhängig von der prozentualen Kapitalbeteiligung ein Vorrecht gegenüber anderen Gesellschaftern. Es könne als Teil der Satzung nur mit seiner Zustimmung geändert oder aufgehoben werden. Dadurch sei der Kläger vor seiner jederzeitigen Abberufbarkeit und einer Einschränkung seiner Vertretungsmacht geschützt. Er sei damit auch unabhängig von Weisungen, weil bei deren Nichtbefolgung keine Sanktionen drohten. Dies komme der Rechtsmacht desjenigen gleich, der Weisungen durch eine Sperrminorität verhindern könne. Die im Gesellschaftsrecht zwingend vorgesehene Abberufbarkeit aus wichtigem Grund unterscheide ihn nicht von einem Mehrheitsgesellschafter und müsse deshalb unberücksichtigt bleiben.

6Die Kläger beantragen,die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Leipzig vom sowie die Bescheide der Beklagten vom in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

7Die Beklagte beantragt,die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.

8Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

9Der Senat hat die Pflegekasse auf deren Antrag und mit deren Zustimmung notwendig beigeladen (§§ 75 Abs 2b, 168 Satz 2 SGG). Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Gründe

10Die zulässigen Revisionen der Kläger sind unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufungen der Kläger gegen das die Klagen abweisende Urteil des SG zurückgewiesen.

11Die Bescheide vom in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat gemäß § 7a SGB IV (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710) zutreffend die Versicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in der GRV (§ 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom , BGBl I 926), GKV (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) und sPV (§ 20 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB XI idF des Gesetzes vom aaO) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) festgestellt. Eine die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht nach den vom Senat entwickelten Maßstäben (dazu 1.) verlieh ihm weder seine Beteiligung von 49 vH der Anteile an der klagenden GmbH noch die nur eingeschränkt eingeräumte Sperrminorität (dazu 2.) und auch nicht sein Sonderrecht auf Geschäftsführung (dazu 3.).

121. Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3710) die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom Senat entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42, RdNr 14 f <Honorararzt>) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl zuletzt - juris RdNr 12; - juris RdNr 14; - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 16; - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 15).

13Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (ebenso für den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff - Slg 2010, I-11405 Danosa - juris; - NJW 2015, 2481 Balkaya; - ABl EU 2015, Nr C 363, 8 (Leitsatz) - juris (Holterman Ferho); - BGHZ 221, 325 RdNr 20 ff). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgeschäftsführer wie der Kläger ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (vgl § 37 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung <GmbHG>), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr; vgl zB - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51, RdNr 13 und - B 12 R 4/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 53 RdNr 14, jeweils mwN).

142. Über solche, einem Selbstständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügt der Kläger in der klagenden Gesellschaft nicht. Er ist mit einer Kapitalbeteiligung von nur 49 vH weder Mehrheitsgesellschafter noch sieht der GV zu seinen Gunsten eine umfassende, dh die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität vor. Die Tätigkeit eines Geschäftsführers ist nur dann unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen kann. Der Gesellschafter-Geschäftsführer muss daher Gewinnchancen und Unternehmensrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik. Daher reicht es für die erforderliche Rechtsmacht nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Dem bei der Statuszuordnung zu beachtenden Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (stRspr; vgl zB - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 24) ist nur Rechnung getragen, wenn klar erkennbar ist, dass dem Gesellschafter-Geschäftsführer bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität eingeräumt ist. Daran fehlt es hier. In der Gesellschafterversammlung der Klägerin bedürfen nur Beschlüsse in bestimmten, in § 14 Abs 3 GV gesondert aufgezählten Angelegenheiten einer Dreiviertel-Mehrheit. Ansonsten werden die Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit ohne Vetorecht des Klägers gefasst. Dies gilt insbesondere auch für die notwendige Zustimmung zu Handlungen der Geschäftsführung, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen (§ 13 Abs 6 GV).

153. Das in § 13 Abs 2 GV eingeräumte Sonderrecht ändert die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht. Auch das Sonderrecht räumt dem Kläger weder eine umfassende Sperrminorität (dazu a) noch eine damit vergleichbare Rechtsposition ein. Dafür genügt seine Weisungsfreiheit in der gewöhnlichen Geschäftsführung nicht (dazu b). Die Einwände des Klägers, er könne Weisungen schlicht ignorieren, ohne Sanktionen zu befürchten (dazu c), und nur eingeschränkt als Geschäftsführer abberufen werden (dazu d), führen ebenfalls nicht zu einer Rechtsmacht, die es ihm ermöglicht hätte, wie ein Selbstständiger im eigenen Unternehmen zu handeln.

16a) Dem Kläger ist durch § 13 Abs 2 GV für die Dauer seiner Beteiligung an der Klägerin das Sonderrecht auf Geschäftsführung eingeräumt worden. Der Entzug dieses Rechts bedarf einer Änderung des GV mit der dafür vorgesehenen Dreiviertel-Mehrheit in der Gesellschafterversammlung (§ 14 Abs 3 Buchst c GV) und damit der Zustimmung des Klägers. Das Sonderrecht räumt dem Kläger zwar eine gegenüber anderen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern herausgehobene Rechtsposition ein, weil seine Bestellung als Geschäftsführer - abweichend vom Grundsatz des § 38 Abs 1 GmbHG - nicht jederzeit widerruflich ist (vgl - juris RdNr 9; - juris RdNr 17; RG Urteil vom 21.10.1899 - Rep I.247/99 - RGZ 44, 95, 99; vgl Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 19. Aufl 2016, § 38 RdNr 10, 35 mwN). Allein diese aus dem Sonderrecht resultierende Vorzugsstellung gewährt ihm jedoch noch keine ausreichende Sperrminorität. Die Möglichkeit, die eigene jederzeitige Abberufung zu verhindern, ist in der Regel eine notwendige, jedoch keine hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität (vgl - juris RdNr 39). Die durch eine Sperrminorität eingeräumte Möglichkeit der Einflussnahme auf das Abstimmungsverhalten in der Gesellschafterversammlung verschafft das Sonderrecht dem Kläger nicht.

17b) Es kommt nicht darauf an, ob das Sonderrecht - wie in der gesellschaftsrechtlichen Literatur vertreten wird - den Geschäftsführer regelmäßig von Weisungen, insbesondere bei der gewöhnlichen Geschäftsführung, freistellt (vgl Schneider in Scholz, GmbHG, 12. Aufl 2018, § 37 RdNr 104; Stephan/Tieves in MüKo GmbHG, 3. Aufl 2019, § 37 RdNr 116 mwN). Geschäftsführer einer GmbH unterliegen nach § 37 Abs 1, § 46 Nr 5 und 6 GmbHG grundsätzlich zu jeder Geschäftsführungsangelegenheit der nur durch entsprechende Satzungsregelungen einschränkbaren (§ 45 Abs 1 GmbHG) Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung der GmbH. Eine solche Einschränkung aufgrund eines von Weisungen im Bereich der gewöhnlichen Geschäftsführung befreienden Sonderrechts entspricht lediglich einer "unechten", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzten Sperrminorität, die zur Annahme einer die abhängige Beschäftigung ausschließenden Rechtsmacht nicht ausreicht.

18Zwar ist in der Senatsrechtsprechung darauf hingewiesen worden, dass ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer "zumindest" ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können müsse (vgl zB - juris RdNr 16 f). Mit dieser Formulierung ist die erforderliche Rechtsmacht aber weder auf die ablehnende Haltung des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nur gegenüber Weisungsbeschlüssen der Gesellschafterversammlung reduziert noch auf dessen gewöhnliche Geschäftsführung eingeengt worden. Als wesentliches Betätigungsfeld des Geschäftsführers muss die gewöhnliche Geschäftsführung zwar von der Sperrminorität "insbesondere" (vgl zur Formulierung - BSGE 38, 53, 58 = SozR 4600 § 56 Nr 1 S 5 f = juris RdNr 17 f) im Sinn von "jedenfalls" umfasst sein, um eine abhängige Beschäftigung auszuschließen. Die Rechtsmacht, in der Gesellschafterversammlung allein Einfluss auf die gewöhnliche Geschäftsführung nehmen (oder diesen verhindern) zu können, reicht jedoch nicht, um die Geschicke des Unternehmens mitzubestimmen, und ändert nichts daran, dass Selbstständigkeit eine umfassende Gestaltungsmöglichkeit erfordert.

19Zu allen über den gewöhnlichen Umfang des Geschäftsbetriebs der GmbH hinausgehenden Handlungen der Geschäftsführung bedarf es nach § 13 Abs 6 Satz 3 GV der vorherigen Zustimmung der Gesellschafter. Das Sonderrecht vermittelt ihm insoweit keine besondere Einflussmöglichkeit noch verdrängt es den Zustimmungsvorbehalt. Wird die Zustimmung zu den vom Kläger beabsichtigten "ungewöhnlichen" Handlungen durch Mehrheitsbeschluss verweigert, hat er sie zu unterlassen; nur wenn die Zustimmung mit der einfachen Mehrheit der Stimmen erteilt wird, darf er solche Handlungen vornehmen. Ob unter solchen Umständen selbst eine umfassende Sperrminorität zur Annahme von Selbstständigkeit noch ausreichen würde oder ob für eine "echte" umfassende Sperrminorität zusätzlich zu fordern ist, dass dem Geschäftsführer gerade dadurch auch umfassende Handlungsmöglichkeiten vermittelt werden, kann der Senat offenlassen. Denn der Kläger verfügt bereits (formal) nicht über eine umfassende Sperrminorität (vgl aber - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51 RdNr 26; kritisch hierzu Freudenberg, B+P 2021, 198, 204 ff).

20c) Der Vortrag des Klägers, er könne wegen fehlender Sanktionsmöglichkeiten ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung schlicht ignorieren und sei damit unabhängig von deren Willen, ist ebenfalls nicht geeignet, eine ausreichende Rechtsmacht nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu begründen.

21Die vom Kläger aus dem Sonderrecht abgeleitete Möglichkeit eines Geschäftsführers, sich gegenüber der Gesellschafterversammlung sanktionslos weisungswidrig zu verhalten - und damit einhergehend seine Position missbrauchen zu können -, vermag - selbst die Sanktionslosigkeit unterstellt - die in der Satzung geregelten Mehrheitsverhältnisse nicht zugunsten des Klägers zu verschieben und ist daher für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung ebenso irrelevant ( - juris RdNr 19; zur unerheblichen zukünftigen Pflicht, Kapitalanteile zu übertragen vgl - BSGE 129, 254 = SozR 4-2400 § 7 Nr 46, RdNr 31) wie die faktisch alleinige Führung einer Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschafter im Einvernehmen mit anderen Gesellschaftern. Anzuerkennen ist weder eine "Schönwetterselbstständigkeit" lediglich in harmonischen Zeiten infolge einer rein faktischen Alleinherrschaft (stRspr; vgl zuletzt - juris RdNr 15; - SozR 4-2400 § 7 Nr 52 RdNr 17) noch eine "Schlechtwetterselbstständigkeit" auf Grundlage einer sich über die Unternehmensverfassung und den in diesem Rahmen gefassten Willen der Gesellschafter hinwegsetzenden "Unrechts"macht. In beiden Fällen ist nicht dem Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit beitragsrechtlicher Tatbestände genügt.

22Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger muss die Frage der (fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbstständigkeit oder abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären sein, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche der Betroffenen ankommt (vgl - BSGE 129, 254 = SozR 4-2400 § 7 Nr 46, RdNr 19). Das Postulat der Vorhersehbarkeit prägt das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung und unterscheidet es ggf auch von Wertungen des - an anderen praktischen Bedürfnissen ausgerichteten - Gesellschaftsrechts (vgl - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26, RdNr 27). Auch wenn die formalen Voraussetzungen für die Ausgestaltung der Rechtsmachtverhältnisse in einer GmbH - zB durch die Wahl der Gesellschaftsform - abgesenkt werden können, gilt dies jedenfalls nicht auch für die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit gesellschaftsrechtlicher Regelungen ( - SozR 4-2400 § 7 Nr 48, RdNr 28 zur GmbH & Co KG). Deshalb kann es für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Rechtsmachtverhältnisse erst recht nicht auf ein rechtlich im Außenverhältnis zwar evtl wirksames, den im Gesellschaftsvertrag geregelten Verhältnissen aber widersprechendes Handeln ankommen.

23d) Die Möglichkeit zu weisungswidrigem Verhalten begründet auch deshalb keine nachhaltige und vorhersehbare Rechtsposition, weil dem jedenfalls die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund entgegensteht (vgl - SozR 4-2400 § 7 Nr 49, RdNr 26).

24Dabei kann dahinstehen, ob bei der Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund (§ 38 Abs 2 GmbHG) wegen des durch die Satzung eingeräumten Sonderrechts besondere formelle Voraussetzungen zu beachten sind (so - juris; aA Pentz, GmbHR 2017, 801, 807). Jedenfalls vermag das Sonderrecht eine Abberufung aus wichtigem Grund im Fall einer groben Pflichtverletzung - wie bei vorsätzlicher Missachtung von Gesellschafterbeschlüssen (vgl Beispiele bei Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl 2021, § 38 RdNr 38) - letztlich nicht zu verhindern (vgl - juris RdNr 23). Der Geschäftsführer darf bei Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes nicht in eigener Sache mitabstimmen (vgl - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51, RdNr 22 mwN; - juris).

25Die Möglichkeit der außerordentlichen Abberufung als Geschäftsführer betrifft zwar alle Geschäftsführer, da es sich bei § 38 Abs 2 GmbHG um zwingendes, nicht disponibles Recht handelt. Der auf wichtige Gründe beschränkte Widerruf der Geschäftsführerbestellung ist daher allein nicht geeignet, die sich aus einer Kapitalbeteiligung oder umfassenden Sperrminorität ergebende Rechtsmacht in Frage zu stellen (vgl - juris RdNr 23). Die nur außerordentliche Kündbarkeit vermag aber bei einem aufgrund der Mehrheitsverhältnisse weisungsgebundenen Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht andersherum auch nicht erst zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn sein weisungswidriges Verhalten im Übrigen "sanktionslos" bleibt.

26Abgesehen davon kommen als Sanktion ggf auch mildere Mittel (zu deren Erforderlichkeit Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl 2021, § 38 RdNr 67; aA Stephan/Tieves, MüKo GmbHG, 3. Aufl 2019, § 38 RdNr 95; Pentz, GmbHR 2017, 801, 808) wie die Beschränkung der Geschäftsführerbefugnis oder die Bestellung weiterer Geschäftsführer in Betracht. Ein Sonderrecht zur alleinigen Geschäftsführung ist dem Kläger nicht eingeräumt.

274. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.                Heinz                Bergner                Beck

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:010222UB12KR3719R0

Fundstelle(n):
DStR 2022 S. 1624 Nr. 31
DStR-Aktuell 2022 S. 15 Nr. 27
GmbHR 2022 S. 1225 Nr. 23
GmbHR 2022 S. 1247 Nr. 23
IAAAJ-20758