BGH Beschluss v. - XI ZB 18/21

Versäumung der Berufungsfrist: Anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130a Abs 5 S 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 517 ZPO

Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 11 U 147/21vorgehend LG Braunschweig Az: 5 O 5499/20 (574)

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines zur Finanzierung eines Gebrauchtwagens geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrags.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am zugestellt worden. Am ist beim Berufungsgericht aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine PDF-Datei mit einer beglaubigten Abschrift des erstinstanzlichen Urteils sowie eine Datei mit dem Namen "BERUFUNG.pdf.p7s" eingegangen, die keinen Inhalt hat. In dem Prüfvermerk des Oberlandesgerichts zu diesem Eingang vom findet sich hinter dem Dateinamen die Angabe:

"Keine Prüfung möglich, da keine Inhaltsdaten zugeordnet werden konnten."

3Auf einen Hinweis des dass die Berufung nicht übermittelt worden sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dies am Vormittag desselben Tages nachgeholt. Am hat die Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Vornahme der elektronischen Signatur der Berufungsschrift am die stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte S.        mit der elektronischen Übermittlung an das Berufungsgericht betraut und diese angewiesen, den Sendevorgang zu überwachen. Diese habe bei der Prüfung des im beA einsehbaren Sendeberichts nach abgeschlossenem Sendevorgang allerdings versehentlich nicht bemerkt, dass lediglich die Signatur übermittelt worden sei, nicht aber auch die Berufungsschrift. Das Versehen sei erst am Folgetag durch den Hinweis der Geschäftsstelle des Berufungssenats bemerkt und sodann unverzüglich korrigiert worden. Nach den Regeln der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei die seit über drei Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätige Mitarbeiterin gehalten gewesen, die Sendeberichte elektronischer Post stets genauestens zu kontrollieren, um gegebenenfalls bei der Gegenstelle Erkundigungen über den Sendevorgang einzuholen. Der Sendebericht hätte insbesondere auf Fehlercodes und anhand der Dateinamen auf die Art der Schriftsätze überprüft werden müssen. Dies sei unterblieben. Die Einhaltung der Arbeitsanweisungen werde durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin selbst regelmäßig kontrolliert.

4Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten und Screenshots aus dem beA ihres Prozessbevollmächtigten vorgelegt.

5Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass sie die Berufungsfrist des § 517 ZPO unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO versäumt habe. Ein Wiedereinsetzungsgrund liege nicht vor. Das Fristversäumnis beruhe auf einem anwaltlichen Organisationsmangel bei der Ausgangskontrolle elektronisch übersandter Schriftsätze in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten, welches sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden, dass eine Kanzleianweisung bestanden habe, bei der allabendlichen Kontrolle fristgebundener Sachen eine nochmalige, selbständige Prüfung der Übermittlung vorzunehmen. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender diene nicht alleine dem Zweck, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergäben, sondern vielmehr auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch ausstehe. Es sei gegebenenfalls auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden seien. Hinreichenden Vortrag dazu habe die Klägerin nicht gehalten. Es fehle außerdem an Vortrag der Klägerin dazu, dass ihr Prozessbevollmächtigter seine eigenen Weisungen gegenüber seinen Angestellten zur Einhaltung der Fristenkontrolle selbst stichprobenartig kontrollieren würde. Auch deshalb könne nicht von einem unverschuldeten Versäumnis der Berufungsfrist ausgegangen werden.

6Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

7Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 und vom - XI ZB 24/10, NJOZ 2011, 1810 Rn. 8; jeweils mwN), sind nicht erfüllt.

8Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt weder den Anspruch der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. , juris Rn. 9 ff.; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 45/21, juris Rn. 11 und vom - VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 13; jeweils mwN).

9Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist, an der Einhaltung der Berufungsfrist (§ 517 ZPO) gehindert gewesen ist. Ein anwaltliches Verschulden kann nach ihren Angaben nicht ausgeschlossen werden.

101. Für die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA gilt nichts wesentlich anderes als bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21, vom - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 12 und vom - VI ZB 78/21, juris Rn. 11).

11a) Den Versandvorgang zu überprüfen, ist unerlässlich. Dazu gehört insbesondere die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BT-Drucks. 17/12634, S. 26). Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen. Die Bestätigung findet sich in der im Ordner "Gesendet" geöffneten Nachricht oder der Export-Datei der geöffneten Nachricht unterhalb der Dateianhänge als weiterer Anhang mit dem Meldetext "request executed", dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus "erfolgreich" (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 22 f. und Rn. 47 f. mwN, vom - VI ZB 25/20, juris Rn. 13 und vom - XII ZB 311/21, juris Rn. 18). Die Prüfung der automatisierten gerichtlichen Eingangsbestätigung gibt dem Absender im elektronischen Rechtsverkehr mithin die Möglichkeit an die Hand, sich schnell und effektiv einen Nachweis des Zugangs der übersandten Schriftstücke beim Empfänger zu verschaffen.

12Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Wenn das Übermittlungsprotokoll nicht im Abschnitt "Zusammenfassung Prüfprotokoll" den Meldetext "request executed" und unter dem Unterpunkt "Übermittlungsstatus" die Meldung "erfolgreich" anzeigt, darf nicht von einer erfolgreichen Übermittlung des Schriftsatzes an das Gericht ausgegangen werden. Die Einhaltung der entsprechenden organisatorischen Abläufe in der Kanzlei hat der Rechtsanwalt zumindest stichprobenweise zu überprüfen (, NJW 2021, 2201 Rn. 24 mwN).

13b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde reicht die Kontrolle des Signaturvorgangs (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) allein für eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle nicht aus. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht im elektronischen Rechtsverkehr der handschriftlichen Unterschrift (vgl. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung [EU] Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG). Sie soll die Identifizierung des Urhebers einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. , juris Rn. 10 mwN). Die Kontrolle der elektronisch erfolgten Unterzeichnung eines Schriftstücks lässt aber keinen Rückschluss auf dessen Eingang bei Gericht zu. Denn auch nach erfolgreicher Signatur verbleibt die Möglichkeit, dass ein Fehler beim Upload der signierten Datei auftritt und diese an das Gericht nicht lesbar übermittelt werden kann.

14c) Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde zwar darauf hin, dass eine nachträgliche inhaltliche Durchsicht der übermittelten Schriftsätze im Rahmen der Ausgangskontrolle von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Versendung per Telefax oder per Post nicht verlangt wird (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - II ZB 19/16, NJW-RR 2017, 1140 Rn. 14 und vom - I ZB 108/17, NJW-RR 2019, 175 Rn. 13). Insoweit gilt für die Versendung per beA nichts anderes. Eine inhaltliche Kontrolle ist mit der Prüfung der gerichtlichen Eingangsbestätigung aber auch nicht verbunden. Denn diese belegt allein, dass der Übermittlungsvorgang der abgesendeten Datei als solcher erfolgreich abgeschlossen worden ist, über den Inhalt der Datei besagt sie nichts.

152. Nach Maßgabe dessen hat das Berufungsgericht die Anforderungen an den Vortrag zur Erfüllung der anwaltlichen Organisationspflichten nicht überspannt. Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein Schriftsatz fristwahrend aus dem beA übersandt werden sollte. Denn dazu hätte die Anweisung gegenüber der eingesetzten Rechtsanwaltsfachangestellten gehört, stets auch das Vorliegen einer vollständigen Eingangsbestätigung des Gerichts zu überprüfen. Hierin liegt ein für die Fristversäumung ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, welches sie sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Denn es verbleibt jedenfalls die Möglichkeit, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte, hätte eine solche Anweisung bestanden, festgestellt hätte, dass die Berufungsschrift an das Gericht nicht übermittelt worden ist.

16Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde scheidet ein Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) im Zusammenhang mit dem Vortrag der Klägerin zur stichprobenweisen Prüfung der Ausgangskontrolle durch ihren Prozessbevollmächtigten denknotwendig aus. Fehlte es nach dem Vortrag der Klägerin nämlich schon generell an der konkreten Anweisung, die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren, kann deren Befolgung nicht durch stichprobenartige Überprüfungen sichergestellt worden sein. Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind insoweit jedenfalls nicht entscheidungserheblich.

173. War dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) nicht stattzugeben, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:240522BXIZB18.21.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 1069 Nr. 15
JAAAJ-20603