Verfahrensrecht | Zustellung von Einkommensteuerbescheiden in der Schweiz (BFH)
Eine Zustellung von
Einkommensteuerbescheiden an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen
unmittelbar durch die Post ist völkerrechtlich erstmals für
Besteuerungszeiträume ab dem
zulässig
(BFH, Urteil v. Urteil vom
- VI R
37/19; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn sie im Fall des § 9 VwZG (Zustellung im Ausland) nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung kommt nur als letztes Mittel in Betracht, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, den Verwaltungsakt dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (u.a. , BStBl II 2010, 732).
Sachverhalt: Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2009 bis 2013 vom dem Kläger ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sind: Der Kläger hat seit dem Jahr 2013 seinen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweiz. Der Aufforderung des FA, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen, kam er nicht nach. Stattdessen bat der Kläger das FA, ihm sämtliche Schreiben an seine Wohnanschrift in der Schweiz zu schicken.
Im April 2017 erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2013. Es ordnete die öffentliche Zustellung der Bescheide an und informierte den Kläger darüber. Das FA vertrat die Ansicht, dass eine Zustellung der Bescheide in der Schweiz nicht zulässig sei. Da der Kläger keinen Empfangsbevollmächtigten benannt habe, könne eine Zustellung nur im Wege der öffentlichen Zustellung erfolgen. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 13.11.2019).
Dem folgen die Richter des BFH nicht. Sie hoben das Urteil auf und wiesen die Klage ab:
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre dem Kläger nicht wirksam durch öffentliche Bekanntgabe gemäß § 122 Abs. 1 und 5 Sätze 1 und 2 AO i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG bekanntgegeben wurden.
Das FA hat zunächst die Zustellung der Steuerbescheide ermessensfehlerfrei angeordnet und sodann deren Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung auch ermessensfehlerfrei durchgeführt. Es hatte keine andere Möglichkeit, dem in der Schweiz ansässigen Kläger die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zu übermitteln.
Die Steuerbescheide konnten dem in der Schweiz ansässigen Kläger bis zum Inkrafttreten des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom i.d.F. des Protokolls vom (im Weiteren: Übereinkommen) völkerrechtlich nicht zulässig durch einfachen Brief bekanntgegeben werden.
Die Zustellung der Steuerbescheide konnte gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwZG durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, da eine Zustellung in die Schweiz gemäß § 9 Abs. 1 VwZG insbesondere mittels Einschreiben mit Rückschein völkerrechtlich nicht zulässig war (s. AEAO zu § 122 Nr. 1.8.4 und 3.1.4.1 in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung).
Eine Zustellung der Steuerbescheide an den in der Schweiz ansässigen Klä-ger konnte das FA im Jahr 2017, anders als das FG meint, auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens unmittelbar durch die Post vornehmen lassen.
Denn auch diese Art der Zustellung war nach Art. 28 Abs. 6 Satz 1 des Übereinkommens erst für Steuerbescheide ab dem Veranlagungszeitraum 2018 zulässig.
Nach Art. 28 Abs. 6 Satz 1 des Übereinkommens in der durch das Protokoll von 2010 geänderten Fassung (s. dort: Art. VIII Abs. 6) gilt das Übereinkommen (erst) für die Amtshilfe im Zusammenhang mit Besteuerungszeiträumen, die am oder nach dem 1.1. des Jahres beginnen, das auf das Jahr folgt, in dem das Übereinkommen in der durch das Protokoll von 2010 geänderten Fassung für eine Vertragspartei in Kraft getreten ist.
Da das Übereinkommen in der Schweiz am in Kraft getreten ist und der Veranlagungszeitraum gemäß § 25 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes am 1.1. beginnt, gilt die Amtshilfe erst für Besteuerungszeiträume ab 2018.
Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:
§ 122 AO ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Denn nur wer um die ihm im Einzelfall auferlegten (steuerlichen) Rechte und Pflichten weiß, kann diese verteidigen oder verfolgen (, BStBl II 2000, 560). Deshalb ist Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts, dass er inhaltlich hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO) und dass er demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 AO). Deshalb ist beim Erlass eines Verwaltungsakts festzulegen,
an wen er sich richtet (AEAO zu § 122, Nr. 1.3 – Inhaltsadressat),
wem er bekannt gegeben werden soll (AEAO zu § 122, Nr. 1.4 – Bekanntgabeadressat),
welcher Person er zu übermitteln ist (AEAO zu § 122, Nr. 1.5 – Empfänger) und
ob eine besondere Form der Bekanntgabe erforderlich oder zweckmäßig ist (AEAO zu § 122, Nr. 1.8).
Verfahrensrechtlich ist zu unterscheiden zwischen dem Rechtsbegriff der Bekanntgabe als Wirksamkeitsvoraussetzung, den Formen der Bekanntgabe (mündliche, schriftliche, elektronische oder öffentliche Bekanntgabe oder Bekanntgabe in anderer Weise) und den technischen Vorgängen bei der Übermittlung des Inhalts eines Verwaltungsakts (AEAO zu § 122, Nr. 1.1.2). Die Bekanntgabe setzt den Bekanntgabewillen des für den Erlass des Verwaltungsakts zuständigen Bediensteten voraus (, BStBl II 1986, 832 und v. - V R 123/83, BStBl II 1989, 344). Der Wille des Amtsträgers als subjektives Moment wird dadurch dokumentiert, dass der Amtsträger den Verwaltungsakt abzeichnet und in den Geschäftsgang zwecks Absendung durch die Poststelle gibt, bei den EDV gestützten Steuerverwaltungsakten, also insbesondere Steuerbescheiden, kommt es mithin auf die elektronische Datenfreigabe durch den jeweiligen Amtsträger an. Fehlt der Bekanntgabewille oder wird dieser aufgegeben, bevor der Verwaltungsakt den Herrschaftsbereich der Finanzbehörde verlassen hat, wird der Verwaltungsakt nicht wirksam (Zugmaier/Nöcker/Vogt, § 122 AO Rz. 11). Zur Aufgabe des Bekanntgabewillens vgl. AEAO zu § 124, Nrn. 5 und 6.
Mit dem Rechtsbegriff "Bekanntgabe" nicht gleichbedeutend sind die Bezeichnungen für die technischen Vorgänge bei der Übermittlung eines verfügten Verwaltungsakts (z.B. "Aufgabe zur Post", "Zusendung", "Zustellung", "ortsübliche Bekanntmachung", "Zugang"), auch wenn diese Begriffe zugleich eine gewisse rechtliche Bedeutung haben. Die technischen Vorgänge bedürfen, soweit das Gesetz daran Rechtsfolgen knüpft, einer Dokumentation, um nachweisen zu können, dass, wann und wie die Bekanntgabe erfolgt ist (AEAO zu § 122, Nr. 1.1.3).
Quelle: BFH, Urteil v. Urteil vom - VI R 37/19; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
OAAAJ-20234