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Online-Nachricht - Donnerstag, 11.08.2022

Verfahrensrecht | Wirksamkeit von Steuerbescheiden, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen (BFH)

Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Gemäß § 87 InsO, der über die Verweisung in § 251 Abs. 2 Satz 1 AO auch für das Besteuerungsverfahren zu beachten ist, können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Daraus hat der BFH in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen dürfen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden (vgl. u.a. , BStBl II 2005, 246).

Sachverhalt: Streitig ist u.a. die Wirksamkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheids: Der Kläger reichte als Insolvenzverwalter über das Vermögen des W eine Einkommensteuererklärung für W und dessen Ehefrau beim FA ein. Dieses setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß in Höhe von rund 29.000 € fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von rund 2.500 €. Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch und Klage und machte geltend, das FA dürfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine (förmlichen) Bescheide mehr erlassen. Mit seiner Klage hatte er in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: ).

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Zwar dürfen Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Vielmehr muss das FA Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Tabelle anmelden.

  • Eine Ausnahme gilt für sog. Nullbescheide sowie für Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt.

  • Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt auch dann vor, wenn sich -trotz positiver Steuer- unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen eine Erstattung ergibt. Einem derartigen Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit hat das FA keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann.

  • Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht bereits zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Bestätigung des Senatsurteils vom - IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721).

Hinweis:

Vor Ergehen des Urteils hatte der BFH das BMF wegen der Komplexität der angesprochenen Fragen zum Verfahrensbeitritt aufgefordert (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.12.2020).

Anmerkung von Dr. Nils Trossen, Richter im IX. Senat des BFH:

Eine seit langem offene und in der Praxis kontrovers diskutierte Frage wird mit der Entscheidung gelöst: Steuerbescheide, die im Abrechnungsteil einen Erstattungsbetrag aufweisen, können auch während eines Insolvenzverfahrens ergeben. Damit wird die bisherige Praxis bestätigt, wonach Insolvenzverwalter für den Insolvenzschuldner für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung Steuererklärungen abgeben und Steuererstattungen (z.B. aufgrund von Überzahlungen bei den Vorauszahlungen oder Lohnsteuerüberhängen) zur Masse ziehen können.

Die Entscheidung des BFH steht auch in Einklang mit der jüngsten Entscheidung des . Danach gehört der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse und nicht etwa zum insolvenzfreien Neuerwerb. Wäre der BFH abweichenden Stimmen im Schrifttum gefolgt, hätte dies für die insolvenzrechtliche Praxis große Auswirkungen zur Folge. Dürften keine Erstattungsbescheide ergehen, sondern müsste das Finanzamt den festgesetzten (aber keine Zahllast ergebenden) Steuerbetrag zur Tabelle anmelden, müssten Finanzämter am Insolvenzverfahren als Gläubiger teilnehmen, obwohl sie im Ergebnis etwas zur Insolvenzmasse schulden. Zudem wäre es für den Insolvenzverwalter deutlich schwieriger, die Insolvenzmasse durch Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners anzureichern. Dies wäre dann nur noch bei Null-Festsetzungen möglich. Die Folge wären mehr mangels Masse nicht eröffnete oder wegen Masseunzulänglichkeit eingestellte Verfahren.

Quelle: BFH, Pressemitteilung v. zu ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
KAAAJ-19600