BGH Beschluss v. - EnVR 48/18

Rechtsbeschwerde im Energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren: Überprüfung der Festlegung der Eigenkapitalzinssätze für die dritte Regulierungsperiode für Betreiber von Elektizitäts- und Gasversorgungsnetzen durch die Bundesnetzagentur

Gesetze: § 21 Abs 2 EnWG vom , § 7 Abs 4 S 2 GasNEV, § 7 Abs 5 GasNEV

Instanzenzug: Az: VI-3 Kart 466/16 (V) Beschluss

Gründe

1I. Die Bundesnetzagentur hat mit zwei im Wesentlichen inhaltsgleichen Beschlüssen vom (BK4-16-160 und BK4-16-161) den Eigenkapitalzinssatz zur Bestimmung der Erlösobergrenze für die Betreiber von Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen für die dritte Regulierungsperiode für Neuanlagen auf 6,91 % und für Altanlagen auf 5,12 % (jeweils vor Steuer) festgelegt. Bei einem Steuerfaktor von 1,225 liegt dabei dem Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen ein Zinssatz von 5,64 % nach Steuern zugrunde, der sich aus einem risikolosen Zinssatz von 2,49 % und einem Zuschlag zur Abdeckung betriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse von 3,15 % zusammensetzt. Der Wagniszuschlag errechnet sich in dieser Höhe aus dem Produkt einer Marktrisikoprämie von 3,8 % und einem Risikofaktor für Betreiber von Elektrizitäts- oder Gasversorgungsnetzen (Betafaktor) von 0,83.

2Die Betroffene, die ein Gasverteilernetz betreibt, sowie eine große Anzahl von weiteren Netzbetreibern haben die Beschlüsse mit der Beschwerde angegriffen und die Festsetzung eines höheren Zinssatzes angestrebt. Das Beschwerdegericht hat 29 Verfahren als Pilotverfahren verhandelt und nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens und mündlicher Anhörung der gerichtlichen Sachverständigen entschieden. In den weitgehend wortgleichen Beschlüssen (vgl. etwa OLG Düsseldorf, RdE 2018, 264) hat es die angefochtenen Festlegungen aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet.

3Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt die Bundesnetzagentur weiterhin die Zurückweisung der Beschwerde an. Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

4II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Zurückweisung der Beschwerde. Der Bundesgerichtshof hat bereits in mehreren Verfahren entschieden, dass die angefochtene Festlegung der Bundesnetzagentur entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist (BGH, Beschlüsse vom - EnVR 41/18, ZNER 2019, 431; EnVR 52/18, RdE 2019, 456 - Eigenkapitalzinssatz II; vom - EnVR 26/18, RdE 2020, 319 - Eigenkapitalzinssatz III; s.a. u.a., juris [Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen]). Die Rechtsbeschwerdeerwiderung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben. Die Bundesnetzagentur hat die in Rede stehenden Eigenkapitalzinssätze für Neu- und für Altanlagen gemäß § 21 Abs. 2 EnWG in der bis zum geltenden Fassung, § 7 Abs. 4, 5 GasNEV zutreffend bestimmt.

51. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 GasNEV darf der Eigenkapitalzinssatz den auf die letzten zehn abgeschlossenen Kalenderjahre bezogenen Durchschnitt der von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Umlaufrenditen festverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Abdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse nicht überschreiten. Bei der Ermittlung dieses Zuschlags hat die Regulierungsbehörde gemäß § 7 Abs. 5 GasNEV insbesondere die Verhältnisse auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten und die Bewertung von Netzbetreibern auf diesen Märkten, die durchschnittliche Verzinsung des Eigenkapitals von Netzbetreibern auf ausländischen Märkten sowie beobachtete und quantifizierbare unternehmerische Wagnisse zu berücksichtigen.

62. Diese Regelungen finden, wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang entschieden hat, auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-718/18, juris Rn. 112 ff.) weiterhin Anwendung (BGH, Beschlüsse vom - EnVR 58/18, RdE 2020, 78 Rn. 60 ff. - Normativer Regulierungsrahmen; vom - EnVR 17/20, RdE 2022, 119 Rn. 13 - Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor II; vom - EnVR 6/21, juris Rn. 9 f. - Kapitalkostenabzug).

73. Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, ergeben sich aus den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der Bundesnetzagentur gewählte Methode (CAPM) auf Basis der verwendeten Datenreihen (DMS) nicht geeignet ist, den historischen Besonderheiten am Kapitalmarkt, insbesondere im Hinblick auf die Folgen der ab dem Jahr 2007 aufgetretenen Finanzkrise, angemessen Rechnung zu tragen. Eine zusätzliche Plausibilisierung der auf dieser Grundlage gefundenen Werte war - anders als das Beschwerdegericht gemeint hat - nicht geboten (näher zum Ganzen: BGH, RdE 2019, 456 Rn. 39 ff. - Eigenkapitalzinssatz II, RdE 2020, 319 Rn. 6 ff., 28 ff. - Eigenkapitalzinssatz III). Auch leidet die angegriffene Festlegung unter keinem Begründungsmangel (BGH, RdE 2020, 319 Rn. 39 f. - Eigenkapitalzins III). Die Rechtsbeschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben.

84. Aus den Erwägungen der Bundesnetzagentur zur Berücksichtigung von Entscheidungen ausländischer Regulierungsbehörden über die Eigenkapitalverzinsung ergeben sich - anders als das Beschwerdegericht meint - ebenfalls keine Rechtsfehler der angefochtenen Festlegung. Zum einen beruht die angefochtene Festlegung nicht auf den darin enthaltenen Ausführungen zu Regulierungsentscheidungen im Ausland; es bedarf daher keiner Entscheidung, ob diese Erwägungen für sich genommen zutreffend sind. Zum anderen ist der Vorschrift des § 7 Abs. 5 Nr. 2 GasNEV nicht zu entnehmen, dass die Bundesnetzagentur zwingend eine vergleichende Betrachtung von Entscheidungen ausländischer Regulierungsbehörden durchführen muss. Führt sie eine solche durch, steht ihr auch insoweit ein Spielraum in Bezug auf die Wahl der Methode zu. Der in Ausübung dieses Spielraums gewählte Ansatz, im Hinblick auf unterschiedliche Zeitpunkte, Rahmenbedingungen und Herangehensweisen von einer umfassenden Analyse abzusehen und lediglich zu überprüfen, ob der mit Hilfe von CAPM und DMS ermittelte Zinssatz innerhalb der Bandbreite europäischer Vergleichsländer liegt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (näher zum Ganzen: BGH, RdE 2019, 456 Rn. 66 ff. - Eigenkapitalzinssatz II).

9III. Die angegriffene Festlegung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtsfehlerhaft.

101. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung zeigt keinen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 Nr. 1 GasNEV auf.

11a) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die DMS-Daten nicht deshalb als ungeeignet angesehen, weil Deutschland darin unterrepräsentiert wäre. Nach § 7 Abs. 5 Nr. 1 GasNEV sind die Verhältnisse auf den nationalen und den internationalen Kapitalmärkten zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich keine feste Vorgabe hinsichtlich der Frage, in welcher Weise und mit welcher Gewichtung der deutsche Kapitalmarkt und die Kapitalmärkte anderer Länder einzubeziehen sind. Vielmehr steht der Regulierungsbehörde auch insoweit ein Spielraum zu, von dem die Bundesnetzagentur in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 119 f. - Eigenkapitalzinssatz II; RdE 2020, 319 Rn. 24 - Eigenkapitalzinssatz III).

12Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts sind die Marktrisikoprämien in entwickelten Ökonomien unabhängig vom Währungsraum recht gut vergleichbar. Darüber hinaus müssen sich deutsche Netze an internationalen Renditeerwartungen messen lassen. Vor diesem Hintergrund ist ein Rückgriff auf Daten aus einer Vielzahl von Ländern aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 121 - Eigenkapitalzinssatz II; RdE 2020, 319 Rn. 21 ff. - Eigenkapitalzinssatz III).

13b) Anders als die Betroffene meint, lässt sich im Hinblick auf die Gewichtung der auf Deutschland bezogenen Kapitalmarktdaten keine widersprüchliche Behördenpraxis erkennen, die einen Verstoß gegen das Gebot der Selbstbindung der Verwaltung begründen könnte. Die von der Rechtsbeschwerdeerwiderung in Bezug genommene Verwaltungspraxis betrifft allein die Regulierung von Telekommunikationsnetzen. Dass die Bundesnetzagentur die dort angewendeten Grundsätze in ständiger Praxis auch auf Strom- oder Gasnetze anwendet, ist weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Damit fehlt es an einer Verwaltungspraxis, die zu einer Selbstbindung führen könnte (ausführlich dazu , RdE 2019, 172 Rn. 20 ff. - Eigenkapitalzinssatz).

14c) Ebenfalls ohne Erfolg macht die Betroffene geltend, die Bundesnetzagentur habe für die Bildung der Marktrisikoprämie rechtsfehlerhaft den Mittelwert aus dem arithmetischen und dem geometrischen Mittelwert der DMS-Daten gebildet. Diese Vorgehensweise hat der Bundesgerichtshof sowohl für die erste als auch für die - hier maßgebliche - dritte Regulierungsperiode als rechtsfehlerfrei angesehen (, ZNER 2015, 116 Rn. 45 ff. - Thyssengas GmbH; RdE 2019, 456 Rn. 128 ff. - Eigenkapitalzinssatz II). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts haben sich im Streitfall - auch im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Autokorrelation - keine abweichenden Erkenntnisse ergeben, die eine andere Methode als klar überlegen erscheinen ließen.

152. Ohne Rechtsfehler ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, die Bundesnetzagentur habe den Wagniszuschlag nach § 7 Abs. 4 Satz 1 GasNEV zutreffend auf 3,15 % und damit geringer als für die zweite Regulierungsperiode festgesetzt.

16Die durch die sogenannte Energiewende entstandenen Anforderungen an Netzbetreiber erfordern nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts keine Erhöhung des Risikofaktors oder des Wagniszuschlags. Diese im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung ist möglich und lässt keine Rechtsfehler erkennen (näher: BGH, RdE 2019, 456 Rn. 132 ff. - Eigenkapitalzinssatz II). Weshalb allein eine gegenüber zurückliegenden Jahren erhöhte Volatilität der Kapitalmärkte, wie sie die Betroffene geltend macht, einen höheren Wagniszuschlag zwingend erforderte, ist nicht dargelegt.

173. Zu Recht hat das Beschwerdegericht schließlich die von der Bundesnetzagentur angewendete Methode zur Berechnung des auf den Eigenkapitalanteil gewährten Zinssatzes für Altanlagen gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 GasNEV nicht beanstandet. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, ist es rechtsfehlerfrei, den Abzug für Altanlagen von dem für Neuanlagen maßgeblichen Wert nach Steuern vorzunehmen (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 93 ff. - Eigenkapitalzinssatz II).

18IV. Danach ist die Sache zur Entscheidung reif. Auf Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts erweist sich die Beschwerde als unbegründet (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 145 ff. - Eigenkapitalzinssatz II).

19V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:270422BENVR48.18.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-19581