BGH Urteil v. - X ZR 22/21

Zuständiges Gericht bei luftfahrtrechtlichen Ausgleichsansprüchen: Ort der Zwischenlandung kein Erfüllungsort

Leitsatz

Bei einem Luftbeförderungsvertrag über einen Flug, der in zwei Teilflüge unterteilt ist, begründet die Pflicht, den zweiten Teilflug vertragsgemäß durchzuführen und den Fluggast darauf zu befördern, keinen für die Begründung des Gerichtsstands des Erfüllungsorts (Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel Ia-VO) ausreichenden Bezug zu dem Ort, an dem der Umsteigevorgang stattfindet.

Gesetze: Art 7 Nr 1 Buchst b EUV 1215/2012, § 29 ZPO

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 135/20vorgehend AG Frankfurt Az: 29 C 4542/19 (85)

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c FluggastrechteVO.

2Die in Deutschland wohnenden Kläger buchten über das Internetportal E.   Flüge der in Kanada ansässigen Beklagten von Billund (Dänemark) über Frankfurt am Main nach Toronto und zurück für den 12. bzw. .

3Der Flug von Billund nach Frankfurt am Main verlief planmäßig. Für den Anschlussflug wurde den Klägern die Abfertigung verweigert. Sie verpassten den geplanten Flug und erreichten Toronto mit einem Ersatzflug und einer Verspätung von mehr als drei Stunden.

4Der Rückflug von Toronto nach Frankfurt am Main verlief planmäßig. Der Anschlussflug wurde annulliert. Die Kläger erreichten Billund mit einem Ersatzflug und einer Verspätung von mehr als 27 Stunden.

5Mit ihrer Klage verlangen die Kläger eine Ausgleichszahlung von 1.200 Euro pro Person nebst Zinsen sowie Freistellung von Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung von Rechtsanwälten.

6Das Amtsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte verneint und die Klage deshalb als unzulässig abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben.

7Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

8Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

9I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts ergebe sich nicht aus einer Bestimmung der Brüssel-Ia-Verordnung, weil die Beklagte ihren Sitz in Kanada habe. § 21 ZPO sei nicht einschlägig, da die Klage keinen Bezug zur Zweigniederlassung der Beklagten in Frankfurt am Main aufweise. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 29 ZPO sei ebenfalls nicht eröffnet. Bei einem einheitlich gebuchten Flug mit Umsteigen sei der Ort der Zwischenlandung kein Erfüllungsort, da dort keine wesentlichen vertragscharakteristischen Leistungen erbracht würden.

11II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

121. Zu Recht und insoweit nicht angegriffen hat das Berufungsgericht eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aufgrund von Art. 4 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO verneint, da die Beklagte ihren Sitz nicht in einem Mitgliedstaat hat.

13Mangels eines Sitzes in Deutschland bestimmt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 6 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO nach deutschem Recht.

142. Die deutschen Gerichte sind für den Rechtsstreit nicht entsprechend § 21 ZPO zuständig.

15Die Beklagte unterhält zwar eine Zweigniederlassung in Deutschland. Der Rechtsstreit weist aber nicht den nach § 21 ZPO erforderlichen Bezug zu deren Betrieb auf.

163. Die Voraussetzungen des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsorts gemäß § 29 Abs. 1 ZPO sind im Streitfall ebenfalls nicht erfüllt.

17a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Erfüllungsort für Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung nicht nach dem Recht zu bestimmen, dem der Beförderungsvertrag unterliegt, sondern entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO (, NJW-RR 2019, 432 Rn. 12).

18b) Nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO ist Frankfurt am Main nicht Erfüllungsort für die geltend gemachten Ansprüche.

19aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist bei Dienstleistungen, die an mehreren Orten zu erbringen sind, als Erfüllungsort derjenige Ort anzusehen, an dem nach dem Vertrag die Dienstleistung hauptsächlich zu erbringen ist.

20Bei einem Luftbeförderungsvertrag sind dies grundsätzlich der erste Abflugort und das Endziel des Fluges. Dies gilt auch für Flüge, die durch eine bestätigte einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet und in zwei oder mehr Teilflüge unterteilt sind.

21Nach diesen Grundsätzen ist Frankfurt am Main im Streitfall kein Erfüllungsort, weil dort lediglich ein Umsteigevorgang vorgesehen war.

22bb) Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs ist allerdings nicht von vornherein auszuschließen, dass aufgrund der spezifischen Klauseln eines Luftbeförderungsvertrags Leistungen, die an anderen Orten zu erbringen sind, für eine Klage auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung gegebenenfalls die Zuständigkeit anderer Gerichte begründen können; dies können auch die Gerichte am Ort einer Zwischenlandung sein. Hierzu ist aber zumindest erforderlich, dass einzelne Elemente des Vertrags im Hinblick auf eine sachgerechte Gestaltung des Verfahrens eine hinreichend enge Verbindung zwischen dem zu beurteilenden Sachverhalt und der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen (, NJW-RR 2022, 486 Rn. 22 ff. - LOT).

23Im Streitfall weist der Luftbeförderungsvertrag keine hinreichend enge Verbindung zu Frankfurt am Main auf.

24(1) Dass der Vertrag dort das Umsteigen von einem Flugzeug in ein anderes vorsah, genügt nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs für sich nicht.

25Vor diesem Hintergrund vermag der Umstand, dass nach dem Vortrag der Kläger sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückflug in Frankfurt am Main eine entscheidende Ursache für die Verspätung am Zielort gesetzt wurde, nicht dazu zu führen, dass Frankfurt am Main als Erfüllungsort anzusehen wäre. Die nach dem Vortrag der Kläger verletzten Pflichten, sie zum Flug von Frankfurt nach Toronto zuzulassen und den Flug von Frankfurt nach Billund planmäßig durchzuführen, stellen keine spezifischen Pflichten aus dem Luftbeförderungsvertrag dar. Sie betreffen vielmehr Einzelaspekte der jedem Vertrag dieser Art innewohnenden Grundpflicht, den Fluggast vertragsgemäß zu befördern. Dies genügt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerade nicht, um einen besonderen Bezug zu Orten zwischen dem ersten Abflugort und dem Endziel zu begründen.

26(2) Der Umstand, dass in Frankfurt am Main die elektronische Einreisegenehmigung für Kanada (Electronic Travel Authorization, ETA) überprüft wurde, begründet nicht den erforderlichen Zusammenhang.

27Wie der Senat bereits entschieden hat, obliegt es in erster Linie dem Fluggast, die für eine Einreise am Zielort erforderlichen Dokumente mit sich zu führen. Zwar haben auch Luftverkehrsunternehmen grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse daran, keine Fluggäste ohne die für die Einreise in den Ziel- bzw. Transitstaat gültigen Papiere zu befördern. Hieraus ergibt sich aber keine vertragliche Pflicht zur Überprüfung dieser Unterlagen, sondern lediglich eine dem eigenen Interesse dienende Obliegenheit (, NJW 2018, 2954 Rn. 9, 16).

28Unabhängig davon besteht keine spezifische Verbindung zwischen dieser Obliegenheit und dem Ort einer Zwischenlandung. Die Überprüfung der erforderlichen Dokumente erfolgt zweckmäßigerweise bereits am ersten Abflugort, wie es nach dem Vortrag der Kläger auch im Streitfall ursprünglich vorgesehen war.

29III. Ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht erforderlich.

30Die Kriterien für die Bestimmung des Erfüllungsorts bei einem Luftbeförderungsvertrag sind durch die oben aufgezeigte Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt. Im Streitfall geht es lediglich um die Anwendung dieser Kriterien auf eine bestimmte Fallkonstellation. Zusätzliche Fragen, die eine erneute Anrufung des Gerichtshofs erforderlich machen könnten, stellen sich hierbei nicht.

31IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:210622UXZR22.21.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-19573