Betäubungsmitteldelikt: Absehen von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt im Strafurteil
Gesetze: § 29 Abs 1 BtMG, § 29 Abs 3 BtMG, § 46 Abs 2 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 13 KLs 15/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 32 Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 43 Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte von Oktober 2018 bis November 2019 in 32 Fällen jeweils „mindestens ein Gramm Cannabis“ an eine Minderjährige, in 42 weiteren Fällen jeweils zwischen einem und fünf Gramm Cannabis sowie in einem Fall neun Gramm der Droge veräußerte. Die Übergabe der Betäubungsmittel erfolgte im öffentlichen Raum, vor allem in der Nähe einer Straßenbahnhaltestelle sowie im Bereich einer Schwimmhalle und Skaterbahn. Im Zuge einer Anfang Januar 2020 durchgeführten Durchsuchung konnte in der Wohnung des Angeklagten 1,45 g Marihuana sichergestellt werden.
32. Schuld- und Rechtsfolgenausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das gilt auch insoweit, als für sämtliche Taten eine Bestimmung des Wirkstoffgehalts der vom Angeklagten umgesetzten Betäubungsmittel unterblieben ist.
4Zwar werden das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 33, 8, 15; Beschlüsse vom – 4 StR 390/11; vom – 3 StR 205/20; Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 mwN). Hierzu bedarf es deshalb im Grundsatz konkreter Feststellungen. Dabei ist es erforderlich, den Wirkstoffgehalt in Gewichtsprozenten anzugeben oder als Gewichtsmenge zu bezeichnen. Beschreibungen wie „gute“, „mittlere“, „durchschnittliche“ oder „schlechte“ Qualität sind nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sich den Urteilsgründen oder allgemeinem Erfahrungswissen ein Bezugsrahmen entnehmen lässt, der die Ableitung eines bestimmten Mindestwirkstoffanteils zweifelsfrei ermöglicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 167/08, NStZ-RR 2008, 319; vom – 3 StR 116/04, StV 2004, 602, 603).
5Von genaueren Feststellungen kann aber ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zugunsten des Angeklagten beeinflussen kann (vgl. , NStZ 1990, 395; vom – 3 StR 325/88, BGHR BtMG 29 Abs. 3 Schuldumfang 2; Beschlüsse vom – 2 StR 214/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Schuldumfang 1; vom – 2 StR 167/08, NStZ-RR 2008, 319). So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafbemessung nicht an die Qualität der jeweils umgesetzten Betäubungsmittel angeknüpft, sondern maßgeblich insbesondere die jeweils „sehr geringen“ Mengen bewertet.
63. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob dem Wirkstoffgehalt bei Kleinstmengen von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 und 3 BtMG) überhaupt bestimmende Bedeutung für die Strafbemessung zukommen kann. Der Senat verneint diese Frage. Das Tatbild dürfte in derartigen Fällen – wie die Strafkammer mit Recht angenommen hat – nämlich maßgeblich geprägt sein durch den Umfang der hier vielfach auf einzelne Konsumrationen beschränkten Absatzgeschäfte, die Tatfrequenz und die Art der Drogen sowie ein ostentatives Handeln auf öffentlichen Plätzen. Diese Umstände und ein hiermit verbundenes Gewinnstreben können auch bei „Kleindealern“ ein gewerbsmäßiges Handeln nahelegen (vgl. ). Überdies wird sich die Wirkstoffmenge jedenfalls beim Umsatz von Kleinstmengen, bei denen das Erreichen des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechnerisch von vornherein ausgeschlossen ist, regelmäßig weder auf die rechtliche Beurteilung dieser Taten noch auf ihr konkurrenzrechtliches Verhältnis zueinander auswirken (vgl. , NStZ 2008, 471). Angesichts dessen gebieten es Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (vgl. dazu Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 65; Weber, NStZ 2005, 452, 453) nach Auffassung des Senats nicht, in solchen Konstellationen die Feststellung des Wirkstoffgehalts und den damit verbundenen erheblichen Zeit-, Untersuchungs- und Kostenaufwand als rechtlich unabdingbar anzusehen (vgl. Rübsamen, NStZ 1991, 310, 313 f.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:310522B6STR117.22.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-19043