BGH Urteil v. - 4 StR 457/20

Strafzumessung: Strafmilderung wegen ausländerrechtlicher Folgen einer Verurteilung

Gesetze: § 46 Abs 2 StGB, § 53 Abs 1 AufenthG, § 53 Abs 2 AufenthG, § 54 AufenthG, § 55 AufenthG

Instanzenzug: Az: 4 StR 457/20 Beschlussvorgehend Az: 36 KLs 14/19nachgehend Az: 4 StR 457/20 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Soweit die Staatsanwaltschaft die unterbliebene Einziehungsentscheidung hinsichtlich der verurteilten Tat angefochten hatte, ist das Rechtsmittel wirksam zurückgenommen worden. Die nach der Teilrücknahme ausweislich der Ausführungen in der Begründungsschrift der Staatsanwaltschaft wirksam hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten auf den Strafausspruch sowie auf den Teilfreispruch beschränkte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat in vollem Umfang Erfolg.

21. Die Bemessung der Strafe für die ausgeurteilte Tat des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Mitglied einer aus sieben Personen bestehenden Gruppierung, die gewinnbringend Kokain und Marihuana an Endkonsumenten verkaufte. Am bestellte der Angeklagte fernmündlich mindestens 50 Gramm Kokain zu 40 € pro Gramm mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 88,2 % Kokainhydrochlorid. Im Auftrag des Angeklagten holte daraufhin ein Mitglied der Gruppierung das Kokain bei den Verkäufern ab und brachte es zu einem anderen Mitglied, worauf es gewinnbringend an verschiedene Abnehmer weiterverkauft wurde.

4Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen und der Bemessung der Strafe den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG (6 Monate bis 10 Jahre Freiheitsstrafe) zugrunde gelegt.

5b) Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand, weil das Landgericht der Strafbemessung nicht ausschließbar eine zu geringe Strafrahmenuntergrenze zugrunde gelegt und sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen berücksichtigt hat, ohne insoweit einzelfallbezogene Umstände darzulegen.

6aa) Das Landgericht hat den Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe des § 30a Abs. 3 BtMG angewendet, dabei jedoch übersehen, dass die durch den schwereren Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 1 BtMG im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Tatbestände sowohl des § 29a Abs. 1 BtMG als auch des § 30 Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe entfalten (, NStZ-RR 2014, 82; Urteil vom - 3 StR 349/02, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 1); für die Höchststrafe gilt demgegenüber nach der ständigen Rechtsprechung die für den Schuldspruch maßgebliche Bestimmung (vgl. , NJW 2021, 175; Beschluss vom - 1 StR 59/10, NStZ 2011, 98, 99; Beschluss vom - 2 StR 144/13). Da die Strafrahmen der verdrängten Gesetze jeweils gegenüber § 30a Abs. 3 BtMG höhere Mindeststrafen von einem Jahr (§ 29a Abs. 1 BtMG) bzw. zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 30 Abs. 1 BtMG) vorsehen und es sich nach den Feststellungen auch nicht aufdrängt, dass minder schwere Fälle bei den verdrängten Tatbeständen anzunehmen sind, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafe rechtsfehlerhaft aus einem für den Angeklagten zu vorteilhaften Strafrahmen entnommen wurde.

7bb) Das Landgericht hat zudem mögliche ausländerrechtliche Konsequenzen der Verurteilung strafmildernd berücksichtigt, ohne hierfür eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Begründung zu geben.

8Ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine bestimmenden Strafmilderungsgründe. Dies war bereits zur früheren ausländerrechtlichen Rechtslage auch für die damals vorgesehene zwingende Ausweisung anerkannt und gilt nunmehr vor dem Hintergrund der seit geltenden Regelung des § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG, nach der bei einer Ausweisungsentscheidung generell eine Abwägung zwischen Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) und Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) vorzunehmen ist, umso mehr. Eine andere strafzumessungsrechtliche Bewertung ist nur gerechtfertigt, wenn im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen (st. Rspr.; vgl. , StV 2018, 559 mwN).

9Solche einzelfallbezogenen Umstände hat das Landgericht nicht dargetan.

102. Im Übrigen weist die Bemessung der Strafe - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - keine Rechtsfehler auf.

11a) Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Einverständnis des Angeklagten mit der außergerichtlichen Einziehung der Asservate strafmildernd berücksichtigt hat. In dem Verzicht auf die Rückgabe sichergestellter Gegenstände liegt eine freiwillige Leistung des Angeklagten, welcher der Tatrichter unabhängig vom Wert der Gegenstände strafmildernde Bedeutung beimessen kann (vgl. , NStZ-RR 2020, 168).

12b) Auch die strafmildernde Erwägung, dass der Angeklagte erstmals in Haft gewesen und somit besonders haftempfindlich ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da das Landgericht hierbei nicht auf die erlittene Untersuchungshaft, sondern darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte als Erstverbüßer besonders strafempfindlich ist. Dies ist zulässig (vgl. , NJW 2018, 2210).

133. Soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf, als Bandenmitglied fünf weitere Betäubungsmittelgeschäfte getätigt zu haben, freigesprochen hat, entspricht das Urteil nicht den Anforderungen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.

14a) Ein freisprechendes Urteil hat zunächst die individuellen Anklagevorwürfe gegen den Angeklagten nach Ort, Zeit und Begehungsweise aufzuzeigen. In einer geschlossenen Darstellung müssen sodann die als erwiesen angesehenen Tatsachen festgestellt werden. Davon ausgehend muss dargelegt werden, dass sich die Vorwürfe entweder aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht bestätigt haben. Es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (vgl. , BGHSt 37, 21, 22; vom - 5 StR 210/97, NStZ-RR 1997, 374; vom - 5 StR 30/18).

15b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in keiner Weise gerecht. Es fehlt bereits an der Mitteilung, welche konkreten weiteren Handlungen dem Angeklagten zur Last liegen. Feststellungen zu den als erwiesen angesehenen Tatsachen fehlen gänzlich. Nicht nachvollziehbar ist zudem, warum sich die Vorwürfe nicht bestätigt haben. Den Urteilsgründen lässt sich insoweit lediglich entnehmen, dass der Angeklagte nach der Überzeugung des Landgerichts während des Tatzeitraums Mitglied der Gruppierung gewesen sei, ihm über die ausgeurteilte Tat hinaus weitere konkrete Taten jedoch nicht zuzuordnen seien, da sich der jeweilige Tatbeitrag weder den Protokollen der Telefonüberwachung habe entnehmen noch vor dem Hintergrund der belastenden Aussage des Zeugen D.      habe feststellen lassen. Ausführungen dazu, was der Zeuge ausgesagt hat und welchen Inhalt die Protokolle der Telefonüberwachung haben, enthält das Urteil nicht.

16Auf dieser Grundlage ist es nicht möglich zu beurteilen, ob die Annahme des Landgerichts, weitere angeklagte Taten seien dem Angeklagten nicht nachzuweisen, auf einer den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausschöpfenden Beweiswürdigung beruht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:040221U4STR457.20.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-18937