BGH Beschluss v. - V ZB 58/21

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist: Auslegung des Fristverlängerungsantrags; Umfang der „antragsgemäßen“ Verlängerung durch das Berufungsgericht

Gesetze: § 520 Abs 2 S 3 ZPO

Instanzenzug: LG München I Az: 1 S 2103/20 WEG Beschlussvorgehend Az: 485 C 11775/19 WEG Urteil

Gründe

I.

1Die Klägerin, eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, nimmt die Beklagten auf Unterlassung der Nutzung einer Teileigentumseinheit als kulturelle Begegnungsstätte in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Deren zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter hat fristgerecht gegen das Urteil, „zugestellt am “, Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu verlängern. Der Berufungsschrift war eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt, die die handschriftlichen Vermerke „beA “ „Berufungsfrist: “ und „Begründungsfrist: “ enthält. Mit Verfügung vom hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Eingang der Berufung und sodann auf Basis der Angaben in der Berufungsschrift als Ende der Begründungsfrist den in der Gerichtsakte vermerkt. Am hat die Berichterstatterin die Berufungsbegründungsfrist „antragsgemäß verlängert“. Die Berufungsbegründung ist am bei dem Berufungsgericht eingegangen.

2Auf den Hinweis des Landgerichts, dass die Berufung unzulässig sei, weil die Berufungsbegründungsfrist nur bis zum verlängert worden sei, haben die Beklagten sich auf den Standpunkt gestellt, die Frist sei antragsgemäß bis zum verlängert worden. Hilfsweise haben sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und geltend gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe auf der Grundlage des von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten auf der Urteilsabschrift vermerkten Zustelldatums das Ende der Berufungsbegründungsfrist ursprünglich korrekt mit „“ im Fristenkalender eingetragen. Zur Überprüfung der Frist habe er Einsicht in die Gerichtsakte genommen und dabei die gerichtliche Verfügung vom als Auskunft verarbeiten dürfen. Im Vertrauen auf die Berechnung der Frist durch das Berufungsgericht habe er als neues Fristende den notiert.

3Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

4Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in ZWE 2022, 87 veröffentlicht ist, meint, die Berufung sei nicht fristgerecht begründet worden. Die Berufungsbegründungsfrist sei nur bis zum verlängert worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO lägen nicht vor. Die Beklagten müssten sich ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser habe die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft berechnet. Es begründe einen Verschuldensvorwurf, dass der Prozessbevollmächtigte in der Berufungsschrift angegeben habe, die Zustellung des Urteils sei am erfolgt. Die fehlerhafte Angabe habe zu dem falschen Fristenvermerk der Geschäftsstelle vom geführt.

5Auch nach Eingang der Gerichtsakten sei das Gericht nicht verpflichtet gewesen, die Richtigkeit des in der Berufungsschrift mitgeteilten Zustelldatums und den gerichtsinternen Fristenvermerk zu überprüfen. Dass die Versäumung der Begründungsfrist drohte, sei nicht offensichtlich gewesen.

III.

6Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

7Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 32/20, NJW-RR 2021, 506 Rn. 4). Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagten die Berufung nicht fristgerecht begründet haben (§ 520 Abs. 1 ZPO) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht zu gewähren ist, lässt zulassungsrelevante Rechtsfehler nicht erkennen.

81. Die Annahme, die Berufungsbegründungsfrist sei gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur bis zum und nicht bis zum verlängert worden, hält sich im Rahmen der vertretbaren tatrichterlichen Würdigung. Weil eine Partei im Zweifel einen zulässigen Antrag stellen will, durfte das Berufungsgericht den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO zu verlängern, so auslegen, dass die ohne Einwilligung des Gegners längstmögliche Fristverlängerung erstrebt war. Nach diesem Verständnis war nicht das angegebene, sondern das zutreffende und zudem in der Anlage zu dem Schriftsatz genannte Zustelldatum des als für den Beginn der Berufungsbegründungsfrist maßgebliches Datum gemeint, so dass die Fristverlängerung nur bis zum beantragt war. Indem das Berufungsgericht die Frist „antragsgemäß“ verlängert hat, hat es den so verstandenen Antrag des Berufungsklägers zum Inhalt der Fristverlängerung gemacht (vgl. , NJW-RR 2008, 1162 Rn. 2; Beschluss vom - III ZB 13/16, NJOZ 2017, 261 Rn. 7). Die danach am endende Frist ist mit dem am eingegangenen Schriftsatz der Beklagten nicht gewahrt worden.

93. Die Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines der Beklagten zurechenbaren Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) steht ebenfalls im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

10a) Es begründet einen Verschuldensvorwurf, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten von einer Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils am ausgegangen ist und den Ablauf der gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO um einen Monat verlängerten Frist auf den berechnet hat. Der mit der Einlegung der Berufung beauftragte Rechtsanwalt muss in eigener Verantwortung die für die Berechnung der Berufungsfrist maßgebenden Daten überprüfen und das Zustellungsdatum zuverlässig feststellen (vgl. , NJW-RR 1991, 91; Beschluss vom - VI ZB 32/92, VersR 1994, 199). Daran fehlt es. Zur Ermittlung des Zustelldatums war die Verfügung der Geschäftsstelle vom schon deshalb nicht geeignet, weil das darin notierte Datum ersichtlich auf der Angabe des Prozessbevollmächtigen in der Berufungsschrift beruhte.

11b) Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht die Kausalität zwischen dem Verschulden und der Fristversäumung. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war es nach Eingang der Gerichtsakten nicht aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht gehalten, die Beklagten darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Urteil am zugestellt worden ist.

12aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 12/21, MDR 2022, 261 Rn. 6). Ein Gericht ist vielmehr nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 71/20, NJW-RR 2021, 1317 Rn. 7; , NJW-RR 2012, 1269 Rn. 13; Beschluss vom - VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 mwN).

13bb) Solche Umstände sind nicht gegeben. Auf das unzutreffende Zustelldatum hätte das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten nur dann hinweisen müssen, wenn der Fehler und die damit drohende Fristversäumnis offensichtlich gewesen wäre. Daran fehlt es. Für das Berufungsgericht war ohne nähere Prüfung, zu der es für die Entscheidung über die Fristverlängerung nicht verpflichtet war, nicht ersichtlich, ob die Angabe des als Zustellungsdatum in der Berufungsschrift schlicht auf einem Schreibfehler beruhte, oder ob der Prozessbevollmächtigte den Fristbeginn falsch in den Fristenkalender eingetragen hatte und die Gefahr einer falschen Fristberechnung und damit der Fristversäumnis bestand (vgl. auch BSG, NJW 2005, 1303, 1305). Ein bloßer Schreibfehler lag sogar besonders nahe, weil auf der der Berufungsschrift beigefügten Abschrift des angefochtenen Urteils als Zustelldatum der vermerkt war.

IV.

14Den Streitwert hat der Senat gemäß § 3 ZPO (vgl. dazu Senat, Beschluss vom - V ZR 112/21, MDR 2022, 227 Rn. 4 u. 5) mangels anderer Anhaltspunkt in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts festgesetzt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:120522BVZB58.21.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-18936