Strafbarkeit eines Rechtsanwalts: Untreue durch unterlassene Weiterleitung von Mandantengeldern; Steuerhinterziehung wegen Steuerpflicht für nicht ausgekehrte Mandantengelder
Gesetze: § 13 StGB, § 53 StGB, § 266 Abs 1 StGB, § 370 AO, § 1 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG, § 4 Abs 3 S 2 EStG, § 4 Abs 4 EStG, § 8 Abs 1 EStG, § 43a Abs 5 S 2 BRAO
Instanzenzug: Az: 2 (11) KLs 5610 Js 16444/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen und wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen unter Einbeziehung von fünf Einzelstrafen aus einer anderen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt; daneben hat es gegen den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung und wegen versuchter Steuerhinterziehung eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Schließlich hat das Landgericht unter Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidung des anderen Urteils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 40.175 € angeordnet. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils vereinnahmte der angeklagte Rechtsanwalt im Namen und auf Rechnung seines Mandanten L. aus einem Erbschaftsstreit im Zeitraum vom bis zum insgesamt 41.000 € auf einem seiner Geschäftskonten. Die Beklagte W. zahlte diesen Betrag in drei Teilbeträgen, und zwar in Höhe von 500 € am , in Höhe von 25.500 € am und in Höhe von 15.000 € am ; zu den drei Zeitpunkten ergab die Gesamtsumme der Saldenstände aller Konten des Angeklagten, der bereits bei Zahlungseingang entschlossen war, die Gelder nicht an den Zeugen L. auszukehren, jeweils einen deutlichen Negativbetrag (um die 29.000 € bzw. über 4.000 € im letzten Fall). Der Betrag in Höhe von 500 € ging vollständig in einem Negativsaldo auf, die zweite Zahlung zu einem Teilbetrag in Höhe von 4.285,82 €. Entgegen seiner anwaltlichen Pflicht kehrte der Angeklagte aber auch die Guthabenbeträge nicht an seinen Mandanten aus, sondern verwendete diese für sich, indem er mit ihnen die Negativsalden auf seinen anderen Geschäftskonten verminderte, und zwar bezüglich der zweiten Zahlung mit sieben nachfolgenden Überweisungen, davon jeweils zwei am 27. bzw. und bezüglich der dritten mit vier nachfolgenden, davon zwei am . Lediglich 1.000 € überwies der Angeklagte am an den Zeugen L. (Fall II. 1. der Urteilsgründe). In ähnlicher Weise enthielt der Angeklagte das am vereinnahmte Buchgeld in Höhe von 3.475 € aus der Abwicklung eines Verkehrsunfalls seinem Mandanten S. vor; dieser Betrag ging vollständig im Negativsaldo des angesprochenen Geschäftskontos von fast 43.000 € auf. Erst auf Veranlassung des Abwicklers seiner Rechtsanwaltskanzlei zahlte der Angeklagte an den Zeugen S. am 500 € und während der Hauptverhandlung weitere 2.800 € (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
3Für die Jahre 2015, 2016 und 2017 gab der Angeklagte entgegen der ihm bekannten Pflicht jeweils bis zum 31. Mai des Folgejahres keine Umsatzsteuerjahreserklärung ab (Fälle II. 3. a), b) und d) der Urteilsgründe). Für den Besteuerungszeitraum 2015 reichte er verspätet lediglich zwei Umsatzsteuervoranmeldungen und am die Umsatzsteuerjahreserklärung ein; für 2016 erklärte er mit den jeweils zu spät abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen Ausgangsumsätze ohne Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt nur 81.381 € statt 145.528 €, desgleichen für 2017 nur 44.634 € statt 71.578,44 €. Insgesamt verkürzte der Angeklagte nach den Berechnungen des Landgerichts 57.026,86 € an Umsatzsteuern. Für den Veranlagungszeitraum 2016 unterließ der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau die Abgabe der Einkommensteuererklärung; er nahm dabei billigend in Kauf, 15.587 € an Einkommensteuer und 718,35 € an Solidaritätszuschlag zu hinterziehen. Vor dem allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten wurde dem Angeklagten am die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben (Fall II. 3. c) der Urteilsgründe).
42. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
5a) Im Untreuefall (§ 266 Abs. 1 StGB; § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO) unter II. 1. der Urteilsgründe ist eine andere konkurrenzrechtliche Beurteilung geboten.
6aa) Untreue kann durch den Rechtsanwalt durch Tun oder Unterlassen (§ 13 StGB) begangen werden. Verwirklicht er den Tatbestand ausschließlich dadurch, dass er pflichtwidrig dem Mandanten oder einem Dritten zustehende Gelder nicht weiterleitet, sondern auf seinem Geschäftskonto belässt, erschöpft sich die Untreue in einem Unterlassen. Wird der Rechtsanwalt neben dem bloßen Gelderhalt etwa durch Anfordern des Geldes, Verwenden des Geldes zu eigenen Zwecken oder durch Ableugnen des Zahlungseingangs tätig, kann auf diese Einzelhandlungen abzustellen sein. Dabei bleibt die Bewertung der Konkurrenzen von der Begehungsform unberührt; das (bloße) Nichtweiterleiten nach jedem Zahlungseingang führt zur Tatmehrheit, da der Rechtsanwalt verpflichtet ist, für seine Leistungsfähigkeit zu den verschiedenen Zahlungszeitpunkten Sorge zu tragen (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 587/14, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Konkurrenzen 4 Rn. 19 f. und vom – 2 StR 144/15 Rn. 12; vgl. auch Rn. 13).
7bb) An diesen Maßstäben gemessen ist von zehn Einzeltaten auszugehen. Das jeweilige Nichtweiterleiten der Überweisungsbeträge infolge der Kontokorrentverrechnung im Negativsaldo ist bereits eine selbständige Tat; hinzukommen die elf Einzelüberweisungen. Soweit der Angeklagte die Überweisungen an demselben Tag "veranlasste", ist nicht auszuschließen, dass dem nur eine Handlung zugrunde lag, indem er naheliegend eine Kanzleiangestellte jeweils einmal zu jeweils zwei Überweisungen anwies.
8cc) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da auszuschließen ist, dass sich der geständige Angeklagte hiergegen effektiver als geschehen hätte verteidigen können. Für die zehn Fälle sind jeweils Einzelstrafen festzusetzen; der Senat hebt auch die im Untreuefall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe auf, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
9b) Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung begegnet durchgreifenden Bedenken.
10aa) In den Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung ist zu besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft die veruntreuten Gelder in die Bemessungsgrundlage einbezogen hat. Da es insoweit aber an einem Leistungsaustausch fehlt, liegt diesen Geldeingängen kein steuerbarer Umsatz zugrunde (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Zudem lässt sich nicht nachvollziehen, ob das Landgericht bei der Strafzumessung sämtliche dem Angeklagten aus Eingangsrechnungen zustehende Vorsteuerbeträge in Ansatz gebracht hat. Denn das Landgericht hat die der Buchhaltung zu entnehmenden Werbe- und Reise-, Fahrzeug- sowie Mietkosten unbeanstandet gelassen (UA S. 57, 61). Die sich daraus ergebenden Vorsteuern übersteigen die vom Angeklagten nachträglich erklärten. Bezüglich des Jahres 2016 hat das Landgericht rechtsfehlerhaft das Gehalt des Angeklagten aus seiner Tätigkeit als Fraktionsgeschäftsführer einer Partei als steuerbaren Umsatz gewertet (UA S. 61); tatsächlich war der Angeklagte insoweit unselbständig beschäftigt (UA S. 5). Sollte sich im neuen Rechtsgang der Hinterziehungsumfang deutlich verringern, werden auch die Nacherklärungen daraufhin neu zu beurteilen sein, ob der Angeklagte mit ihnen wirksame Selbstanzeigen abgab (§ 371 AO).
11bb) Der Fall II. 3. c) der Urteilsgründe birgt ebenfalls Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten.
12(a) Insoweit ist wiederum nicht auszuschließen, auch nicht nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass das Landgericht die veruntreuten Gelder (§ 266 Abs. 1 StGB) als steuerpflichtige Einkünfte gewertet hat; dies wäre indes rechtsfehlerhaft (§ 4 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 8 Abs. 1 EStG; vgl. , BFHE 279, 74 Rn. 27 f. und vom – VIII R 14/17, BFHE 270, 442 Rn. 35-38). Die veruntreuten Gelder erlangte der Angeklagte weder als Gegenleistung für eine Leistung im Rahmen der freiberuflichen Tätigkeit noch innerhalb seiner gewerblichen Betätigung.
13(b) Zudem hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
"Die Strafkammer übersieht […], dass sich die Erklärungspflicht des Angeklagten gemäß § 25 Abs. 3 EStG nur auf seine eigenen Einkünfte und die Besteuerungsmerkmale bezieht, die ihn und seine Ehefrau gemeinsam betreffen wie Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen. Zusammenveranlagte Eheleute müssen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgeben. Beide haben den Vordruck eigenhändig zu unterschreiben und versichern damit, die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass alle Angaben von beiden Ehegatten mitgetragen werden. Vielmehr beschränkt sich der Erklärungsgehalt der Unterschrift auf die Tatsachen, die den jeweiligen Ehegatten betreffen. Betrifft die Erklärung Einkünfte, die nur von einem Ehegatten erzielt werden, so macht nur derjenige Ehegatte ‚Angaben‘, der den Tatbestand dieser Einkunftsart verwirklicht ( -, NJW 2002, 2495; ebenso -, Rn. 29; siehe auch Senat, Beschluss vom - 1 StR 242/18 -, Rn. 7).
Bei den im Steuererklärungsvordruck einzutragenden Daten zu den Einkünften der Ehefrau aus ihrer nichtselbständigen Tätigkeit als Lehrerin hätte es sich daher nicht um Angaben des Angeklagten, sondern der Ehefrau gehandelt. Da offensichtlich überhaupt keine Steuererklärung eingereicht wurde, hat die Ehefrau es ebenfalls unterlassen, die gebotenen Angaben zu machen. Die dadurch [gegebenenfalls] bewirkte Verkürzung der Einkommensteuer wäre dem Angeklagten nicht zuzurechnen gewesen."
14c) Letztendlich unterliegt auch der Einziehungsausspruch der Aufhebung; der Generalbundesanwalt hat wiederum zutreffend auch insoweit die Aufhebung mit folgender Begründung beantragt:
"Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art grundsätzlich durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen, so dass über sie durch das Gericht zu entscheiden ist, das auch über die nachträgliche Gesamtstrafe befindet. Dieses ist dabei an die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung gebunden. Sofern die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die (weitere) Vollstreckung vorliegen, ist die frühere Einziehungsentscheidung in das neue Urteil einzubeziehen. Dies geschieht - trotz des auf die Aufrechterhaltung der früheren Entscheidung gerichteten Wortlauts des § 55 Abs. 2 StGB - durch das Zusammenzählen der Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung. Damit wird die Einziehungsanordnung in dem früheren Urteil gegenstandslos im Sinne des § 55 Abs. 2 StGB und bedarf keiner Aufrechterhaltung; die entsprechende Anordnung entfällt (vgl. -, Rn. 6 m. w. N.).
Eine eigene Sachentscheidung des Senats entsprechend § 354 Abs. 1 StPO kommt nicht in Betracht. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, ob die Anordnung aus dem früheren Urteil bereits vollständig vollstreckt ist. Da der Angeklagte eine Eigentumswohnung verkauft hat, um seine Verbindlichkeiten zu tilgen (vgl. UA S. 14), erscheint dies nicht von vorneherein ausgeschlossen."
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030522B1STR10.22.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 288 Nr. 9
DStR 2022 S. 12 Nr. 46
NJW 2022 S. 2286 Nr. 31
UStB 2023 S. 13 Nr. 1
UStB 2023 S. 13 Nr. 1
wistra 2022 S. 382 Nr. 9
KAAAJ-18291