BMF - IV A 3 - S 1910/22/10040: 010 BStBl 2022 I S. 1217

Änderungen der §§ 233 bis 239 AO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom (BGBl 2022 I S. 1142)

Bezug:

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Bezug: BStBl 1991 II S. 496

Durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom (BGBl 2022 I S. 1142 [1]) wurden unter anderem die §§ 233, 233a, 238 und 239 AO geändert. Im Vordergrund steht dabei die vom und 1 BvR 2422/17, BGBl 2021 I S. 4303, geforderte rückwirkende Anpassung des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem .

Nach Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu ergänzend zum AEAO zu § 233a ab sofort Folgendes:

1. Änderung des § 233 AO

1In § 233 Satz 1 AO wurde klargestellt, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. § 37 AO) nur verzinst werden, soweit dies durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union vorgeschrieben ist.

2§ 233 Satz 1 AO in der Fassung des Gesetzes vom , a.a.O., (fortan: n.F.) gilt in allen Fällen, in denen Zinsen nach dem festgesetzt werden (Artikel 97 § 15 Absatz 13 EGAO).

2. Änderung des § 233a AO

2.1 Bestimmung der maßgebenden Karenzzeit (§ 233a Absatz 2 Satz 2 AO)

3In § 233a Absatz 2 Satz 2 AO wurde klargestellt, dass bei der Entscheidung, ob die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen, Kapitalerträge nach § 32d Absatz 1 und § 43 Absatz 5 EStG nicht zu berücksichtigen sind.

4§ 233a Absatz 2 Satz 2 AO n.F. gilt in allen Fällen, in denen Zinsen nach dem festgesetzt werden (Artikel 97 § 15 Absatz 13 EGAO).

2.2 Reihenfolge der bei Berechnung von Erstattungszinsen maßgeblichen Zahlungen (§ 233a Absatz 3 Satz 4 und Absatz 5 Satz 4 AO)

5Bei der Reihenfolge zu verzinsender Steuerzahlungen ist nach Nummer 23, 35, 53 und 56 des AEAO zu § 233a das „last in - first out“-Prinzip (LiFo-Prinzip) zugrunde zu legen. Diese langjährige Verwaltungspraxis wurde nun in § 233a Absatz 3 Satz 4 AO und für Änderungsfälle in § 233a Absatz 5 Satz 4 AO gesetzlich verankert.

6§ 233a Absatz 3 Satz 4 und Absatz 5 Satz 4 AO n.F. gilt in allen Fällen, in denen Zinsen nach dem festgesetzt werden (Artikel 97 § 15 Absatz 13 EGAO).

2.3 Erlass von Nachzahlungszinsen bei freiwilligen Zahlungen (§ 233a Absatz 8 AO)

7Die bislang in Nummer 70.1 des AEAO zu § 233a getroffene Billigkeitsregelung über den Erlass von Nachzahlungszinsen bei „freiwilligen“ Zahlungen wurde in § 233a Absatz 8 Satz 1 AO gesetzlich verankert. Wie Zahlungen sind auch andere „freiwillige“ Leistungen vor Fälligkeit (z. B. bei Tilgung im Weg der Aufrechnung oder Verrechnung) zu berücksichtigen. § 233a Absatz 8 AO begründet wie bisher keinen eigenständigen Anspruch auf Erstattungszinsen.

8Die Annahme freiwilliger Zahlungen und vergleichbarer Leistungen steht wie bisher im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts. Damit soll verhindert werden, dass das Finanzamt ohne sachliche Rechtfertigung der Zahlung oder Leistung als „Sparkasse“ missbraucht werden kann. Anzunehmen sind aber wie bisher alle Zahlungen und Leistungen, die erkennbar zur Tilgung einer in naher Zukunft voraussichtlich fällig werdenden Steuerschuld geleistet werden; dazu gehören auch im Zusammenhang mit einer Außenprüfung aufgrund entsprechender Prüfungsfeststellungen geleistete Vorab-Zahlungen.

9§ 233a Absatz 8 Satz 2 AO enthält eine Parallelregelung zu § 233a Absatz 3 Satz 4 AO für die Berechnung der nicht zu erhebenden Nachzahlungszinsen (Zuordnung von Zahlungen nach dem LiFo-Prinzip).

10Nach § 233a Absatz 8 Satz 3 AO mindert sich der Zinserlass rückwirkend, wenn die dem Erlass zugrundeliegende Festsetzung von Nachzahlungszinsen nach Maßgabe des § 233a Absatz 5 AO zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird.

11§ 233a Absatz 8 Satz 4 AO stellt klar, dass eine abweichende Festsetzung oder ein Erlass von Nachzahlungszinsen aus anderen Gründen nach Maßgabe der §§ 163 und 227 AO zulässig bleibt.

12§ 233a Absatz 8 AO ist in allen am anhängigen Verfahren sowie allen künftigen Verfahren anzuwenden (Artikel 97 § 15 Absatz 14 Satz 1 EGAO).

3. Änderung des § 238 AO

3.1 Zinssatz für die Verzinsung nach § 233a für Verzinsungszeiträume ab dem (§ 238 Absatz 1a AO)

13Zur Umsetzung des oben genannten wurde der Zinssatz für die Verzinsung nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem in einem neuen Absatz 1a des § 238 AO eigenständig geregelt. Dabei wurde am Prinzip des einheitlichen und festen Zinssatzes festgehalten, zugleich aber auch eine regelmäßige Evaluation der Angemessenheit des Zinssatzes angeordnet (siehe unter 3.3).

14Abweichend von dem für alle anderen Zinsen im Sinne des § 233 AO (insbesondere Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen und Aussetzungszinsen) unverändert geltenden Zinssatz nach § 238 Absatz 1 Satz 1 AO beträgt der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 0,15 % je vollem Monat, also 1,8 % für ein volles Jahr.

3.2 Zinsberechnung bei unterschiedlichen Zinssätzen (§ 238 Absatz 1b AO)

15Zinsen sind wie bisher nur für volle Monate festzusetzen (§ 238 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO). Sind allerdings innerhalb einer Zinsberechnung nebeneinander unterschiedliche Zinssätze (vgl. § 238 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 1a AO) maßgeblich, ist der Zinslauf nach dem neuen Absatz 1b des § 238 AO in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen, für die die Zinsen jeweils tageweise zu berechnen sind.

16Die Berechnung dieser Zinstage erfolgt nach der so genannten „deutschen Zinsberechnungsmethode“. Jeder volle Monat wird dabei unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes volle Jahr mit 360 Tagen gerechnet. Monate, die als Ganzes zwischen Anfangsdatum und Enddatum des Zinszahlungszeitraums liegen, werden hierbei unabhängig von ihrer tatsächlichen Tageanzahl mit jeweils 30 Tagen gezählt. Hat ein Monat 31 Tage, ist der 31. Kalendertag kein Zinstag. Sofern der Beginn oder das Ende des Zeitraums auf den 31. eines Monats fällt, wird dieser Tag wie der 30. Kalendertag behandelt. Für den Februar gilt dabei: Endet der Zinsberechnungszeitraum am 28. Februar, bzw. in einem Schaltjahr am 29. Februar, werden die Zinsen auch nur bis zu diesem Tag berechnet. Geht der Zinsberechnungszeitraum hingegen über den Februar hinaus, wird der Februar wie jeder Monat mit 30 Tagen veranschlagt.

17Um den Anteil am Jahreszinssatz (das ist das Zwölffache des Monatszinssatzes nach § 238 Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 1a AO) zu ermitteln, wird die Summe der ermittelten Zinstage dann durch 360 geteilt.

3.3 Evaluierung (§ 238 Absatz 1c AO)

18Um auch zukünftig die verfassungsrechtlich gebotene Angemessenheit des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO zu gewährleisten, enthält der neue Absatz 1c des § 238 AO eine ausdrückliche Evaluierungsklausel, wonach der Zinssatz des § 238 Absatz 1a AO wenigstens alle 2 Jahre (erstmals spätestens zum ) zu überprüfen ist. Diese Evaluierung obliegt dem Gesetzgeber.

3.4 Anwendungsregelung zu § 238 Absatz 1a bis 1c AO

19§ 238 Absatz 1a bis 1c AO gilt für Verzinsungszeiträume ab dem und ist vorbehaltlich des § 176 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO in allen offenen Fällen anzuwenden (Artikel 97 § 15 Absatz 14 EGAO). Offene Fälle sind neben künftigen Zinsfällen auch alle zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits beschiedenen, aber noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren - anhängige Verfahren - (vgl. , BStBl 1991 II S. 496).

20Anhängige Verfahren sind Verwaltungsverfahren, in denen

21Bei der Festsetzung von Zinsen in Erstattungsfällen ist für die Minderung bisher festgesetzter Nachzahlungszinsen (§ 233a Absatz 5 Satz 3 Halbsatz 2 AO) der Zinssatz maßgeblich, der bei der ursprünglichen Festsetzung der Nachzahlungszinsen zugrunde gelegt wurde (Artikel 97 § 15 Absatz 14 Satz 2 EGAO).

22Die Vertrauensschutzregelung in § 176 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO ist nach Artikel 97 § 15 Absatz 14 Satz 3 EGAO bei Umsetzung des § 238 Absatz 1a und 1b AO mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Zinsen, die sich aufgrund der Neuberechnung der bisher festgesetzten, noch offenen Zinsen ergeben, die vor Anwendung dieser Neuberechnung festgesetzten Zinsen nicht übersteigen dürfen. Hierbei ist wie folgt zu differenzieren:

  • Waren bisher nur Erstattungszinsen festgesetzt worden, kann sich aufgrund der rückwirkenden Senkung des Zinssatzes deshalb keine Rückforderung ergeben. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Zinsen bei Inkrafttreten der Neuregelungen vorläufig festgesetzt waren oder nicht.

  • Waren bisher nur Nachzahlungszinsen festgesetzt worden, sind diese Zinsen im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten auf Basis des § 238 Absatz 1a und 1b AO neu zu berechnen und eine entsprechend geänderte Zinsfestsetzung zu erlassen.

  • In einem Mischfall mit Nachzahlungs- und Erstattungszinsen ist § 176 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO auf das Gesamtergebnis der Neuberechnung anzuwenden.

23Bei der Nachholung einer nach § 165 Absatz 1 Satz 4 AO ausgesetzten Zinsfestsetzung findet § 176 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO von vornherein keine Anwendung, da insoweit keine Änderung einer Zinsfestsetzung erfolgt, sondern Zinsen erstmals festgesetzt werden.

3.5 Übergangsregelung (Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO)

24Solange die Neuregelung in § 238 Absatz 1a und 1b AO technisch und organisatorisch noch nicht umgesetzt werden kann, können Zinsfestsetzungen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem nach Artikel 97 § 15 Absatz 16 EGAO ungeachtet der am in Kraft getretenen Neuregelungen in entsprechender Anwendung von § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und Satz 4 sowie Absatz 2 AO weiterhin vorläufig ergehen bzw. ausgesetzt werden. Vgl. hierzu im Einzelnen das (Dok. 2022/0668147), BStBl I S. 1220.

25Zu gegebener Zeit werden die noch offenen Zinsfestsetzungen unter Beachtung der Vertrauensschutzregelung rückwirkend neuberechnet und ggf. angepasst. Alle neuen oder bisher ausgesetzten Zinsfestsetzungen werden dann nach neuem Recht durchgeführt oder nachgeholt.

4. Änderung des § 239 AO

4.1 Dauer der Zinsfestsetzungsfrist (§ 239 Absatz 1 Satz 1 AO)

26Die bislang einjährige Festsetzungsfrist für Zinsen wurde auf zwei Jahre verlängert.

27Die verlängerte Zinsfestsetzungsfrist gilt in allen Fällen, in denen die bisher einjährige Festsetzungsfrist am noch nicht abgelaufen ist (Artikel 97 § 15 Absatz 15 EGAO).

4.2 Beginn der Zinsfestsetzungsfrist (§ 239 Absatz 1 Satz 2 AO)

28In § 239 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 AO wurde eine Auffangregelung zur Bestimmung des Beginns der Festsetzungsfrist in allen in den Nummern 1 bis 5 nicht ausdrücklich geregelten Fällen geschaffen.

29§ 239 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 AO gilt in allen Fällen, in denen die Festsetzungsfrist am noch nicht abgelaufen ist (Artikel 97 § 15 Absatz 15 EGAO).

4.3 Anrechnung von Zinsen nach § 233a AO auf andere Zinsen (§ 239 Absatz 5 AO)

30Nach § 233a AO festgesetzte Zinsen sind unter bestimmten Voraussetzungen auf festzusetzende Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen und Aussetzungszinsen anzurechnen. § 239 Absatz 5 AO bestimmt klarstellend, dass die Zinsfestsetzung nach § 233a AO Grundlagenbescheid für andere Zinsfestsetzungen ist, soweit Zinsen nach § 233a AO auf jene Zinsen anzurechnen sind.

31§ 239 Absatz 5 AO ist in allen am anhängigen Verfahren sowie allen künftigen Verfahren anzuwenden (Artikel 97 § 15 Absatz 14 Satz 1 EGAO).

BMF v. - IV A 3 - S 1910/22/10040: 010


Fundstelle(n):
BStBl 2022 I Seite 1217
AO-StB 2022 S. 251 Nr. 8
DB 2022 S. 1807 Nr. 31
DStR 2022 S. 1555 Nr. 30
FR 2022 S. 914 Nr. 19
MAAAJ-18072

1BStBl I S. 1215