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Online-Nachricht - Donnerstag, 21.07.2022

Einkommensteuer | Betriebsstättenbegriff nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nach altem und dem ab 2014 geltenden Reisekostenrecht (BFH)

Wird der Gewerbetreibende an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers fortdauernd tätig, so liegt eine Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in der bis zum Jahr 2013 geltenden Fassung auch dann vor, wenn der Gewerbetreibende zugleich über eine eigene Betriebsstätte verfügt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Zur Abgeltung der Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG in der für die Streitjahre 2012 und 2013 gültig gewesenen Fassung (EStG a.F.) u.a. die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. (Entfernungspauschale) entsprechend anzuwenden.

Sachverhalt: Der Kläger war zunächst als Angestellter beim Abbruchunternehmen seines Vaters tätig. Seit Juni 2010 betrieb er selbst unter derselben Adresse wie sein Vater (E Straße 1 in R) ein solches Unternehmen als Ein-Mann-Betrieb. In dessen Rahmen führte er Abbruch- und Reinigungsarbeiten an Aluminiumöfen sowie Mäh- und Schneidearbeiten auf dem Gelände seines einzigen Auftraggebers, der A in E, aus. Diesen Kunden hatte er von seinem Vater "übernommen". Neben eigenen Gerätschaften setzte der Kläger Maschinen und Fahrzeuge seines Vaters ein.

Die Fahrten nach E unternahm der Kläger von seinem Wohnsitz in R aus (Anschrift Am M 2). Für diese Fahrten nutzte er während der Streitjahre 2012 bis 2014 zum Teil seinen im Betriebsvermögen befindlichen PKW; im Übrigen erfolgten die Fahrten zur A mit einem LKW seines Vaters von dem Firmensitz E Straße 1 aus.

Die Klage, mit der der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten mit seinem betrieblichen PKW von seinem Wohnsitz in R aus zu seinem Auftraggeber in E nach Reisekostengrundsätzen begehrt, da er nicht übe reine Betriebsstätte in E verfügt habe, hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Der Kläger kann die Fahrten mit seinem betrieblichen PKW zwischen seiner Wohnung in R und dem Betrieb der A in E in den Streitjahren 2012 und 2013 (nach altem Reisekostenrecht) sowie im Streitjahr 2014 (nach neuem Reisekostenrecht) nur beschränkt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG als Betriebsausgaben abziehen.

  • Wird ein Gewerbetreibender an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers fortdauernd tätig, so liegt eine Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in der bis zum Jahr 2013 geltenden Fassung auch dann vor, wenn der Gewerbetreibende zugleich über eine eigene Betriebsstätte verfügt.

  • Das – ungeschriebene - Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte zur Ausübung der betrieblichen Tätigkeit durch den Unternehmer (Merkmal der Dauerhaftigkeit) setzte nach der bis 2013 geltenden Rechtslage keine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit voraus.

  • Nach der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts ab 2014 prägenden Grundentscheidung wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits-(vertrag-) oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt (vgl. , BStBl II 2019, 539, Rz 19).

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Die als zu großzügig angesehene BFH-Rechtsprechung zum sog. steuerlichen Reisekostenrecht bei Arbeitnehmern führte bekanntlich zu Gesetzesänderungen. In § 9 Abs. 4 EStG gilt seitdem mit Wirkung ab dem VZ 2014 der Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“. Ist der Arbeitnehmer dieser dauerhaft zugeordnet, kann er die für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte anfallenden Aufwendungen nicht nach Reisekostengrundsätzen ansetzen. Es gilt die sog. Entfernungspauschale.

Für Fahrten zu Betriebsstätten eines Gewinnermittlers hat das (BStBl I 2015, 26, Rz 5) ebenfalls die Existenz einer solchen "ersten Betriebsstätte" angenommen. Ob es eine solche aber überhaupt gibt, hat der BFH in der vorliegenden Entscheidung bewusst offengelassen, dennoch im Rahmen einer Alternativprüfung ihre Voraussetzungen erstmals diskutiert.

Denn für die Rechtslage vor dem VZ 2014 hat er weiterhin darauf abgestellt, dass ein Gewerbetreibender auch dann zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers lediglich unter Ansatz der Entfernungspauschale fahren kann, wenn er daneben über eine eigene Betriebsstätte verfügt. Auch dort beim Auftraggeber habe ein Gewerbetreibender, anders als ein Arbeitnehmer, eine Betriebsstätte i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. Aufgrund der normspezifischen Gesetzesauslegung dürfe bei fortlaufender Tätigkeit eine Abrechnung zu Dienstreisegrundsätzen nicht möglich sein.

Ob diese normspezifische Auslegung auch nach der Gesetzesänderung seit VZ 2014 entscheidend geblieben ist, oder doch der Begriff einer „erste Betriebsstätte“, wie auch vielfach in der Literatur angenommen, relevant geworden ist, musste der BFH im vorliegenden Fall (noch) nicht entscheiden.

Denn der Betrieb des Auftraggebers war vorliegend bei entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 4 EStG eine „erste Betriebsstätte“. Hierfür spreche schon die seit 2010 bestehende Zusammenarbeit, die als „dauerhafte“ Zuordnung anzusehen sei. Daneben führe die Tätigkeit an dieser Betriebsstätte selbst unter quantitativen wie qualitativen Aspekten dazu, dort die „erste Betriebsstätte“ anzunehmen. Weder habe der Kläger einen höheren Umfang von Tätigkeiten an seiner anderen Betriebsstätte noch die behauptete Gleichwertigkeit der Tätigkeiten an beiden Betriebsstätten dargelegt.

Allein die Existenz einer weiteren Betriebsstätte führt jedenfalls nicht dazu, dass Fahrten zum Auftraggeber stets zu Dienstreisegrundsätzen zu berücksichtigen sind.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
OAAAJ-17967