BGH Urteil v. - VI ZR 395/19

Äußerungsrechtlicher Rechtsstreit: Anspruch auf Unterlassung einer sich aus der Äußerung ergebenden Aussage; Hinweispflicht des Gerichts vor Klageabweisung

Leitsatz

1. Begehrt der Kläger in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten, sondern die Unterlassung einer Aussage, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint, so kommt ein auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützter Unterlassungsanspruch (sogenannter "Verletzungsunterlassungsanspruch") nur in Betracht, wenn sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der betreffenden Äußerung des Beklagten tatsächlich ergibt.

2. Ergibt sich in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit, dass der Kläger die von ihm begehrte Unterlassung einer bestimmten Aussage nicht verlangen kann und die Klage deshalb unbegründet ist, so bedarf es vor Abweisung der Klage keines richterlichen Hinweises dahingehend, dass sich aus dem maßgeblichen Sachverhalt (möglicherweise) ein auf eine andere Aussage gerichteter Unterlassungsanspruch ergibt.

Gesetze: § 823 BGB, § 1004 BGB, § 185 StGB, §§ 185ff StGB, § 139 ZPO

Instanzenzug: Az: 9 U 49/19vorgehend LG Lübeck Az: 12 O 100/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt den Beklagten - soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz - auf Unterlassung einer Äußerung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Anspruch.

2Der Kläger ist Fachanwalt für Medizinrecht und für Handels- und Gesellschaftsrecht, der Beklagte Facharzt für Innere Medizin und Onkologie. Anfang des Jahres 2014 war der Beklagte Mehrheitsgesellschafter der M. GmbH und befand sich im Streit mit der damaligen Minderheitsgesellschafterin. Dabei wurde er außergerichtlich und gerichtlich vom Kläger, damals Partner der C. mbB Rechtsanwälte, vertreten. Die Auseinandersetzung endete im Januar 2014 mit einem gerichtlichen Vergleich, im Zuge dessen die Minderheitsgesellschafterin ihre Anteile gegen eine Zahlung in Höhe von 2,55 Mio. € an den Beklagten abtrat. Zur Finanzierung dieses Betrags nahm der Beklagte ein Darlehen bei der C.C.C. GmbH auf; Darlehensvertrag sowie eine in diesem Zusammenhang abgeschlossene notarielle Vereinbarung wurden von der C. mbB Rechtsanwälte entworfen. In der Folge überwarf sich der Beklagte mit dem Geschäftsführer der C.C.C. GmbH, Günter Z., was zu Auseinandersetzungen zwischen der mittlerweile mittelbar von Z. beherrschten M. GmbH und der C.C.C. GmbH einerseits und dem Beklagten andererseits führte. Hierbei vertrat der Kläger die Gesellschaften. Das auf eine Anzeige der Rechtsvertreterin des Beklagten gegenüber der zuständigen Rechtsanwaltskammer, der Kläger vertrete widerstreitende Interessen, und nach im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht erfolgter Weiterleitung der Anzeige an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Kläger geführte anwaltsrechtliche Ermittlungsverfahren wurde im Januar 2017 gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO in Verbindung mit § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

3Im August 2017 kam der Beklagte in veränderter beruflicher Stellung in geschäftlichen Kontakt mit einer Mandantin des Klägers. Am hinterließ der Beklagte auf der Mailbox des Mobiltelefons von deren Geschäftsführer folgende Nachricht:

4Unter Bezugnahme auf diese Nachricht begehrt der Kläger vom Beklagten, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten und/oder zu verbreiten beziehungsweise behaupten und/oder verbreiten zu lassen, der Kläger habe Parteiverrat begangen, sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und der Klage - soweit im Revisionsverfahren von Relevanz - stattgegeben. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

A.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne vom Beklagten Unterlassung der Äußerung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, sowie Erstattung der Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen für die dem einstweiligen Verfügungsverfahren vorausgegangene Abmahnung verlangen. Mit der Nachricht auf der Mailbox des Geschäftsführers der Mandantin des Klägers habe der Beklagte in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingegriffen. Aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Mitteilungsempfängers sei aus ihr zumindest auf den Vorwurf eines sittlich vorwerfbaren, in irgendeiner Weise rechtswidrigen, wenn nicht gar strafbaren Verhaltens zu schließen, das der Kläger gegenüber Mandanten an den Tag gelegt habe. Mit der Formulierung "mit den ganzen anhänglichen Sachen wie" und "da hinter sich hat" erwecke der Beklagte den Eindruck eines objektiv begründeten und amtlich verfolgten Vorwurfs; aus der Sicht des Mitteilungsempfängers weise die Äußerung demnach Elemente einer Tatsachenbehauptung auf. Ein Unterlassungsanspruch sei allerdings auch dann gegeben, wenn man sie als bloße Meinungsäußerung begreife, denn als solche betreffe sie den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in seinen Ausprägungen der Berufsehre und der sozialen Anerkennung. Die Äußerung sei zudem rechtswidrig, weil die in solchen Fällen vorzunehmende umfassende Interessenabwägung zulasten des Beklagten ausfalle. Unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (§ 823 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB) könne der Kläger die Erstattung der geltend gemachten Abmahnkosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangen.

B.

7Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

8I. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 (analog) BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 185 ff. StGB darauf, es zu unterlassen, die Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, aufzustellen oder zu verbreiten beziehungsweise aufstellen oder verbreiten zu lassen.

91. Für den vom Kläger geltend gemachten, auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützten Unterlassungsanspruch (sogenannter "Verletzungsunterlassungsanspruch") fehlt es bereits an der insoweit erforderlichen Erstbegehung. Der Beklagte hat die Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, in der Mailbox-Nachricht vom bei zutreffender Sinndeutung der Nachricht nicht aufgestellt.

10a) Anders als in vielen anderen äußerungsrechtlichen Fällen begehrt der Kläger im Streitfall nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten. Es geht dem Kläger vielmehr darum, dem Beklagten mit dessen angeblicher Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, eine Aussage zu verbieten, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint. Ein Verletzungsunterlassungsanspruch setzt in einem solchen Fall voraus, dass sich die vom Kläger bekämpfte Aussage den betreffenden Äußerungen des Beklagten tatsächlich entnehmen lässt.

11b) Ob die Mailbox-Nachricht des Beklagten vom die vom Kläger allein bekämpfte Aussage enthält, der Kläger habe einen Parteiverrat begangen, ist eine Frage der Sinndeutung, die in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 403/19, NJW-RR 2022, 419 Rn. 10 mwN). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist - was das Berufungsgericht nicht verkannt hat - die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 498/16, VersR 2018, 492 Rn. 20 mwN), im Falle der - wie hier - nur an eine bestimmte Person gerichteten Nachricht also aus dem Horizont eines unvoreingenommenen und verständigen Empfängers der Mitteilung. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittsempfängers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist (vgl. nur , VersR 2018, 492 Rn. 20; vom - VI ZR 153/13, NJW 2014, 3154 Rn. 13, jeweils mwN).

12c) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, der Mailbox-Nachricht des Beklagten lasse sich die Behauptung entnehmen, der Kläger habe Parteiverrat begangen.

13Kern der Mailbox-Nachricht des Beklagten an den Geschäftsführer der Mandantin des Klägers ist aus der maßgeblichen Sicht des unvoreingenommenen und verständigen Empfängers die Botschaft, es bestehe grundsätzlich großes Interesse an einer Zusammenarbeit, der allerdings entgegenstehe, dass sich die Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Empfänger ist, vom Kläger anwaltlich vertreten lasse. Denn - so die Begründung - der Kläger "protrahiere" Konflikte und sei an der Unterhaltung von den geschäftlichen Interessen entgegenstehenden "Bruderkriegen" ganz wesentlich beteiligt. In diesem Zusammenhang wird - neben der Möglichkeit, sich anderweitig anwaltlich vertreten zu lassen - auf die Möglichkeit eines Ausgleichs hinsichtlich eines bereits bestehenden Konflikts verwiesen, den der Kläger "mit den ganzen anhänglichen Sachen, wie Parteiverrat etc. pp. da hinter sich" habe. Der Hinweis auf den Vorwurf des Parteiverrats dient mithin der näheren Umschreibung eines bereits bestehenden Konflikts. Aufgrund seiner Substanzlosigkeit ist er nicht geeignet, bei einem unvoreingenommenen und verständigen Empfänger die Vorstellung von einem bestimmten, den Vorwurf des Parteiverrats stützenden tatsächlichen Geschehen hervorzurufen. Die Nachricht enthält - worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat - keinerlei konkrete Angaben zum Sachverhalt; sie erlaubt es dem Adressaten nicht, sich eine auch nur grobe Vorstellung von dem Geschehen zu machen, auf das sich der Vorwurf des Parteiverrats stützen soll. Aus der Formulierung, es handle sich um eine "anhängliche Sache", die der Kläger "hinter sich habe", ergibt sich aus seiner Sicht zudem - wenn überhaupt - allein, dass ein gegen den Kläger gerichteter Vorwurf unter anderem des Parteiverrats zu einem offiziellen Verfahren geführt hat; welches Ergebnis dieses Verfahren hatte und ob der Kläger den ihm vorgeworfenen Parteiverrat tatsächlich begangen hat, lässt sich der Mailbox-Nachricht des Beklagten hingegen nicht entnehmen. Dass der Beklagte den Kläger in der Mailbox-Nachricht für den bestehenden Konflikt verantwortlich macht, ändert nichts daran, dass die Nachricht den vom Kläger bekämpften Vorwurf, er habe einen Parteiverrat begangen, nicht enthält.

14d) Ob die Mailbox-Nachricht des Beklagten den Kläger unabhängig davon, dass sie die vom Beklagten allein bekämpfte Behauptung nicht enthält, in Rechten verletzt, kann offenbleiben. Denn der Klageantrag ist allein darauf gerichtet, dem Beklagten die Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, zu untersagen (§ 308 Abs. 1 ZPO).

152. Auch steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht als sogenannter vorbeugender Unterlassungsanspruch zu. Die hierfür erforderliche (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 279/99, NJW 2001, 157, 159, juris Rn. 17 mwN) Erstbegehungsgefahr macht der Kläger schon nicht geltend. Auch lassen sich diesbezügliche Anhaltspunkte dem revisionsrechtlich relevanten Sachverhalt nicht entnehmen.

16II. Besteht der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht, so steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz der für die vorprozessuale Geltendmachung dieses Anspruchs aufgewendeten Rechtsverfolgungskosten zu.

C.

17Da die Aufhebung des angefochtenen Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, konnte der erkennende Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18Entgegen der von der Revisionserwiderung im Rahmen der mündlichen Revisionsverhandlung vertretenen Rechtsauffassung sieht sich der erkennende Senat nicht deshalb an einer Entscheidung in der Sache gehindert, weil es an einem vorinstanzlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO fehlte, wonach der gestellte Klageantrag unbegründet sei, weil der Mailbox-Nachricht die Aussage, der Kläger habe Parteiverrat begangen, nicht zu entnehmen sei, stattdessen aber ein auf eine andere Äußerung gerichteter Unterlassungsantrag möglicherweise Erfolg habe. Mit einer entsprechenden Umstellung seines Klageantrags änderte der Kläger sein Prozessziel; auf die Änderung des Prozessziels einer Partei abzielende Hinweise fordert § 139 ZPO aber nicht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, § 139 Rn. 15; Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage, § 139 Rn. 50; ferner , BGHZ 7, 208, 211 f., juris Rn. 10). Schließlich waren die Frage, ob sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der Mailbox-Nachricht ergibt, und die sich aus der Antwort ergebenden rechtlichen Folgerungen schon ausweislich des landgerichtlichen Urteils Gegenstand der Erörterungen in den Vorinstanzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:210622UVIZR395.19.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 1205 Nr. 17
CAAAJ-17624