BGH Beschluss v. - 6 StR 528/21

Verständigung im Strafverfahren: Belehrungserfordernis vor Zustandekommen

Gesetze: § 257c Abs 5 StPO, § 337 Abs 1 StPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 1 KLs (626 Js 12495/19)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten rügt erfolgreich eine Verletzung von § 257c Abs. 5 StPO, so dass es eines Eingehens auf die weitere Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge nicht bedarf.

21. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3Am ersten Hauptverhandlungstag gab die Vorsitzende bekannt, dass „nach Ansicht der Kammer bei Anwendung von Jugendrecht im Falle einer geständigen Einlassung eine Einheitsjugendstrafe in Höhe von einem Jahr und vier Monaten bis einem Jahr und zehn Monaten im Raum stehen könnte“. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger stimmten dem Verständigungsvorschlag zu. Danach wurde der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 4 StPO belehrt. Anschließend räumte er die Tatvorwürfe durch eine von ihm autorisierte Erklärung seines Verteidigers ein.

42. Der Beschwerdeführer sieht in dieser Verfahrensweise zu Recht einen Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO. Denn die Vorsitzende der Jugendkammer hätte den Angeklagten bereits bei Unterbreitung des Verständigungsvorschlags über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. BVerfGE 133, 168, 237; BVerfG [Kammer], NStZ 2014, 721; mwN).

5Das Geständnis des Angeklagten und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Neben anderen Beweismitteln hat die Strafkammer vor allem hierauf die Verurteilung gestützt. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 295/19; vom – 2 StR 383/20).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:151221B6STR528.21.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-16844