Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht zur Vereinbarkeit der
Abgeltungsteuer mit Art. 3 Abs. 1 GG
Leitsatz
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber eingeholt, ob § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG (Abgeltungsteuer) in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen insoweit
mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sind, als dass sie für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen einen Sondersteuersatz
in Höhe von 25 % mit abgeltender Wirkung vorsehen.
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Abgeltungsteuer gegen die in Art 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich verankerte Vorgabe
der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstößt.
Die Abgeltungsteuer führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen Beziehern privater Kapitaleinkünfte gemäß § 20 EStG und den
übrigen Steuerpflichtigen. Während die Bezieher von Kapitaleinkünften gemäß § 32d Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 43 Abs.
5 EStG mit einem Sondersteuersatz von 25 % abgeltend belastet werden, unterliegen die übrigen Steuerpflichtigen gemäß § 32a
EStG einem Steuersatz von bis zu 45 %.
Die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Weitere
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
Die Abgeltungsteuer ist nicht zur Verwirklichung eines effektiven Steuervollzugs oder zur Beseitigung eines etwaigen strukturellen
Vollzugsdefizits geeignet. Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen Geeignetheit der Regelung ist die Erforderlichkeit
zwischenzeitlich entfallen, da sich seit dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, im
Ausland befindliches Vermögen zu ermitteln, stark verbessert haben.
Die Abgeltungsteuer ist auch nicht zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet und führt auch nicht zu einer
wesentlichen Vereinfachung im Besteuerungsverfahren; insoweit ergeben sich keine Rechtfertigungsgründe für die gleichheitswidrige
Besteuerung.
Fundstelle(n): BB 2022 S. 1043 Nr. 19 DB 2022 S. 16 Nr. 15 DStR 2022 S. 921 Nr. 19 DStRE 2022 S. 632 Nr. 10 EStB 2023 S. 64 Nr. 2 GStB 2022 S. 294 Nr. 9 GmbH-StB 2022 S. 220 Nr. 7 KÖSDI 2022 S. 22756 Nr. 6 StBp 2022 S. 304 Nr. 9 LAAAJ-16688
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Online-Dokument
Niedersächsisches Finanzgericht
, Beschluss v. 18.03.2022 - 7 K 120/21
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