Beihilfe zur Steuerhinterziehung: Beginn der Verfolgungsverjährung
Gesetze: § 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO, § 376 AO, § 27 StGB, § 29 StGB, § 78 Abs 3 Nr 4 StGB, § 78a StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 9 KLs 22/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 13 Fällen und wegen Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon drei Monate aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Daneben hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.773.861,52 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Das Verfahren ist in dem Fall II. 5. der Urteilsgründe gemäß § 206a Abs. 1 StPO wegen Verfolgungsverjährung einzustellen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB), soweit der Angeklagte wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung für das Besteuerungsjahr 2010 durch den gesondert Verfolgten B. verurteilt worden ist.
3Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift hierzu zutreffend ausgeführt:
„Die Verfolgungsverjährung hinsichtlich des Teilnehmers beginnt erst mit der Beendigung der Haupttat (Klein/Jäger, 15. Auflage 2020, AO § 376 Rn. 55). Die Tat des B. war am mit Ablauf der Abgabefrist beendet (vgl. Klein/Jäger, 15. Auflage 2020, AO § 376 Rn. 38). Da insoweit ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nicht vorliegt, verjährt die Tat gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB nach Ablauf von fünf Jahren (…).
Vor Ablauf der Verjährungsfrist kam es zu keiner die Verjährung unterbrechenden Handlung im Sinne des § 78c StGB.“
42. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten in Fall II. 3. e. (2) der Urteilsgründe (Hinterziehung von Gewerbesteuer bezüglich des Besteuerungszeitraumes 2014) wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht, weil das Landgericht nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen hat.
5a) Bei der Hinterziehung von Veranlagungsteuern durch Unterlassen tritt – sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist – der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre; dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat. Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 236/21 Rn. 13; vom – 1 StR 60/21 Rn. 4 und vom – 1 StR 544/09 Rn. 77; einschränkend Rn. 8 f.).
6b) Das angefochtene Urteil genügt in Fall II. 3. e. (2) der Urteilsgründe den sich hieraus ergebenden Darstellungsanforderungen nicht. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte für den Besteuerungszeitraum 2014 weder eine Gewerbe- noch eine Einkommen- oder Umsatzsteuererklärung abgegeben hat (UA S. 13 f.). Lediglich im Hinblick auf die Einkommensteuer stellt das Landgericht darüber hinaus fest, dass „bei Abgabe der Erklärung innerhalb der Frist des § 149 Abs. 2 AO“ das zuständige Finanzamt „den Bescheid spätestens bis zum [gemeint ist der ] erteilt“ hätte (UA S. 13). Entsprechende Feststellungen hinsichtlich der Gewerbesteuer trifft das Landgericht hingegen nicht. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Tat – wie von dem Landgericht angenommen – vollendet ist. Die beweiswürdigungsrechtlichen Erwägungen zu der Vergleichbarkeit der Arbeitsbelastung des zuständigen Finanzamts mit den vorherigen Veranlagungsjahren (UA S. 39) reichen hierzu nicht aus.
73. Die Urteilsgründe tragen in den Fällen II. 3. a. (1) und (2) (Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuer 2010) und II. 3. c. (1) und (2) (Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuer 2012) zwar jeweils den Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung sowie im Fall II. 4. a. (Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer 2013 durch Ö. ) den Schuldspruch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Der Strafausspruch hat jedoch in diesen Fällen wegen unzutreffender Berechnung des Verkürzungsbetrags keinen Bestand.
8a) Das Landgericht hat – wie es offenlegt – die Berechnung der Verkürzungsbeträge für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2013 fehlerhaft vorgenommen. Anstelle des Gesamtbetriebsergebnisses legt das Landgericht seiner Berechnung lediglich die Ergebnisse „der nicht gebuchten Geschäfte“ zugrunde (UA S. 8). Angesichts der Verluste, die der Angeklagte in den Jahren 2010 und 2012 mit seinem „offiziellen Geschäft“ erwirtschaftete (UA. S. 8), hat das Landgericht die hinterzogene Einkommen- und Gewerbesteuer für die Zeiträume 2010 und 2012 (Fälle II. 3. a. (1) und (2) sowie II. 3. c. (1) und (2) der Urteilsgründe) zu hoch angesetzt und damit zulasten des Angeklagten den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt.
9Soweit dem Landgericht der gleiche Fehler bei der Berechnung der Einkommen- und Gewerbesteuer für die Besteuerungszeiträume 2011 und 2013, in denen der Angeklagte mit seinem „offiziellen Geschäft“ einen Gewinn erzielte (Fälle II. 3. b. (1) und (2) sowie II. 3. d. (1) und (2) der Urteilsgründe), sowie der Umsatzsteuer für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2014 (Fälle II. 3. a. (3), b. (3), c. (3) und d. (3) der Urteilsgründe) unterläuft, wirkt sich dies im konkreten Fall ausweislich der alternativen Berechnung nicht zum Nachteil des Angeklagten aus.
10b) Dem Landgericht ist darüber hinaus bei der Berechnung der durch den Zeugen Ö. verkürzten Umsatzsteuer für den Besteuerungszeitraum 2013 (Fall II. 4. a. der Urteilsgründe) ein Berechnungsfehler unterlaufen. Die Summe der aus den Scheinrechnungen des Angeklagten in Höhe von insgesamt 76.704,42 Euro (brutto) durch den Zeugen für den Besteuerungszeitraum 2013 zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuer gibt das Landgericht unzutreffend mit 13.965,59 Euro anstatt mit 12.246,92 Euro an (UA S. 15).
11c) Der Senat hebt den Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht die zutreffende Feststellung der ineinander durch eine Schätzung verknüpften Besteuerungsgrundlagen und der Höhe der Hinterziehungsbeträge – auch mit Blick auf die Höhe des Einziehungsumfangs – und im Anschluss daran eine stimmige Strafzumessung zu ermöglichen. Davon abweichend bleiben die Feststellungen zu den Fällen II. 4. b. bis h. (Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch den Zeugen Ö. betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen Januar bis März 2014 und Mai bis August 2014), II. 5. (Beihilfe zur Steuerhinterziehung des B. betreffend die Hinterziehung der Umsatzsteuer hinsichtlich der Besteuerungszeiträume 2011 bis 2014) und II. 6. (Computerbetrug) der Urteilsgründe jedoch aufrechterhalten, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind.
124. Die Anordnung der Einziehung des Wertes der Taterträge hält rechtlicher Überprüfung bereits aufgrund der aufgezeigten Berechnungsfehler nicht stand.
13a) Darüber hinaus hat das Landgericht – im Ansatz rechtsfehlerfrei – die Einziehung der Summe der von dem Angeklagten verkürzten Steuern in den Fällen II. 3. der Urteilgründe (Hinterziehung von Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2014) gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1, § 73d Abs. 2 StGB angeordnet. Ferner hat es die Einziehung der im Jahr 2013 erzielten Einnahmen des Angeklagten aus dem Verkauf sog. Lines eines Cardsharing-Servers in Höhe von 33.100 Euro angeordnet (UA S. 46 f.; Computerbetrug).
14Dabei hat das Landgericht den Zusammenhang zwischen der Einziehung der aufgrund des Computerbetruges erzielten Erträge und der hierauf anfallenden Gewerbe-, Umsatz- und Einkommensteuer für den Besteuerungszeitraum 2013 nicht bedacht. Würde nebeneinander sowohl das aus der Begehung des Computerbetruges Erlangte als auch der Wert der ersparten Aufwendungen für die wegen des Zuflusses entstandenen Steuern eingezogen, unterläge ein höherer als der insgesamt zugeflossene Betrag der Einziehung. Dies wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren, wonach es durch Besteuerung und Vermögensabschöpfung nicht zu einer doppelten Belastung des Täters kommen darf (vgl. u.a., BVerfGE 81, 228, 239 f.). Dies gilt auch dann, wenn Zahlungen auf eine Einziehungsanordnung in anderen Veranlagungszeiträumen steuerlich wieder in Ansatz gebracht werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 399/20 Rn. 41 und vom – 1 StR 99/19 Rn. 10; je mwN).
15b) Soweit das Landgericht schließlich die Einziehung der ersparten Aufwendungen für die Gewerbesteuer 2014 (Fall II. 3. e. (2) der Urteilsgründe) angeordnet hat, ist – wie unter Ziffer 2. ausgeführt – dem Revisionsgericht die Prüfung nicht möglich, ob die Tat vollendet oder lediglich versucht ist. Im letzten Fall käme eine Einziehung nicht in Betracht (vgl. Rn. 22 ff.; vom – 1 StR 272/20 Rn. 26 und vom – 1 StR 620/18, BGHSt 64, 146 Rn. 19 f.; je mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:100322B1STR515.21.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 181 Nr. 6
BFH/NV 2022 S. 799 Nr. 7
PStR 2023 S. 221 Nr. 10
PStR 2023 S. 222 Nr. 10
MAAAJ-16478