Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs: Beschwerdebefugnis eines Untersuchungsausschusses des Bundestages nach Beendigung des Untersuchungsverfahrens
Gesetze: § 17 PUAG, § 30 PUAG, § 36 Abs 3 PUAG, Art 44 GG
Instanzenzug: Az: 1 BGs 340/21 Beschluss
Gründe
1Die Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des ), mit dem dieser den Antrag auf Aufhebung des Geheimhaltungsgrades in Bezug auf die einem Untersuchungsausschuss übergebenen Beweismittel verworfen hat, hat keinen Erfolg.
I.
2Der ursprüngliche Antragsteller und Beschwerdeführer zu 1. wurde durch den Deutschen Bundestag, den Beschwerdeführer zu 2., am als Untersuchungsausschuss mit dem Auftrag eingesetzt, das Verhalten der Bundesregierung und ihrer Geschäftsbereichsbehörden im Zusammenhang mit Vorkommnissen um den Wirecard-Konzern auch im Zusammenwirken mit anderen öffentlichen sowie privaten Stellen umfassend zu untersuchen (BT-Drucks. 19/22996 S. 2; BT-PlPr. 19/180 S. 22669). Der Antragsteller beschloss am , Beweis durch das Ersuchen um Herausgabe im Gewahrsam der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft - der weiteren Beteiligten - befindlicher, näher bezeichneter Akten, Dokumente und Daten zu erheben. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft übergab Dokumente am unter Hinweis auf Verschwiegenheitspflichten in versiegelten Kisten. Die Unterlagen wurden bei dem Antragsteller als GEHEIM eingestuft. Nachdem der Bundesgerichtshof in anderem Zusammenhang mit Beschlüssen vom über Einzelfragen der Verschwiegenheitspflicht entschieden hatte (StB 43/20, StB 44/20, StB 48/20), gestattete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Öffnung der Kisten und übermittelte weitere Dokumente, die ebenso als GEHEIM eingestuft wurden.
3Der Antragsteller beschloss am , zur Unterstützung Ermittlungsbeauftragte einzusetzen. Diese erstatteten am (vom Antragsteller als "Wambach I" bezeichnet) und durch zwei Nachträge vom 19. April ("Wambach II") sowie ("Wambach III") Bericht. Die Berichte, die Inhalte aus den als GEHEIM eingestuften Unterlagen zitierten, wurden gleichfalls - "gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 PUAG" - als GEHEIM eingestuft. Der Antragsteller bat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erfolglos, der Aufhebung der Einstufung der in den Berichten wiedergegebenen Dokumentinhalte zuzustimmen. Darauf schwärzte er die betreffenden Passagen und hob die GEHEIM-Einstufung für diese Fassungen auf. Er entschied am , seinem eigenen Ausschussbericht die Berichte der Ermittlungsbeauftragten zunächst in ihrer ausgestuften, umfänglich geschwärzten Fassung als Anlage beizufügen, und des Weiteren: "Sobald und soweit die Ermittlungsrichterin oder der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf Antrag des Ausschusses gemäß § 30 Abs. 4 Satz 2 PUAG die Aufhebung des Geheimhaltungsgrades GEHEIM für die darin verwerteten Beweismittel für zulässig erklärt hat, werden die Berichte ungeschwärzt als Anlage bzw. Ergänzung des Ausschussberichts veröffentlicht. Der Ausschuss beschließt für diesen Fall vorsorglich die Ausstufung der Berichte in dem gerichtlich für zulässig erklärtem Umfang." Ebenfalls am beschloss der Antragsteller, dem Bundestag zu empfehlen, seinen Bericht nach Art. 44 GG zur Kenntnis zu nehmen (BT-Drucks. 19/30900).
4Am hat der Antragsteller beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragt,
die Aufhebung des Geheimhaltungsgrades GEHEIM für zulässig zu erklären in Bezug auf die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dem Ausschuss übergebenen Beweismittel, soweit sie in den Berichten der Ermittlungsbeauftragten verwertet worden sind, mit Ausnahme von Namen darin genannter natürlicher Personen, die im Abschlussbericht des Ausschusses nicht namentlich genannt sind.
5Nachdem der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am der Beschlussempfehlung des Antragstellers einstimmig zugestimmt hatte (s. BT-PlPr. 19/237 S. 30960 f.), hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof den Antrag durch Beschluss vom verworfen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Antrag sei bereits unzulässig. Der Antragsteller sei nicht (mehr) antragsberechtigt, da er mit dem Beschluss des Plenums, den Abschlussbericht zur Kenntnis zu nehmen, aufgehört habe zu existieren. Zwar habe er bei Eingang der Antragsschrift noch bestanden. Allerdings müssten die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Das Parlament sei auch nicht als Rechtsnachfolger in die Antragsberechtigung des Untersuchungsausschusses eingetreten.
6Hiergegen wenden sich der Antragsteller und hilfsweise "der Deutsche Bundestag als Träger des Untersuchungsrechts als Rechtsnachfolger des Untersuchungsausschusses" mit ihrer Beschwerde. Dieser hat der Ermittlungsrichter durch ausführlich begründeten Beschluss vom (1 BGs 485/21) nicht abgeholfen.
II.
7Die Beschwerde ist unzulässig. Der Antragsteller und Beschwerdeführer zu 1. ist nicht mehr beteiligungsfähig. Der Beschwerdeführer zu 2. ist nicht dessen Rechtsnachfolger; eigene originäre Rechte macht er nicht geltend.
81. Die nach § 36 Abs. 3 PUAG gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs statthafte Beschwerde ist nicht wirksam vom Antragsteller erhoben worden, weil dieser bei Einlegung der Beschwerde - wie bereits im Zeitpunkt des angegriffenen Beschlusses - nicht mehr bestanden hat.
9Der Untersuchungsausschuss selbst existiert nicht mehr. Unabhängig von dem zwischenzeitlich eingetretenen Ende der Wahlperiode (vgl. dazu , BVerfGE 49, 70, 86; 2 VR 1.99, BVerwGE 109, 258, 263) war das Untersuchungsverfahren bereits mit dem - einstimmig angenommenen - Beschluss des Bundestages beendet, den Bericht des Untersuchungsausschusses zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Klein, GG, Stand: 954. EL, Art. 44 Rn. 98; Kahl/Waldhoff/Walter/Glauben, Bonner Kommentar zum GG, Stand: 213. EL, Art. 44 Rn. 138; Dreier/Morlok, GG, 3. Aufl., Art. 44 Rn. 55; Waldhoff/Gärditz/Heyer, PUAG, § 33 Rn. 13; Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 3. Aufl., Teil 5 Rn. 16; Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl., Rn. 961). Folglich ist er nicht mehr in der Lage, ein Beschwerdeverfahren nach § 36 Abs. 3 PUAG zu führen.
10Da der Ausschuss bereits bei Einlegung der Beschwerde geendet hatte, bedarf es keiner näheren Erörterung, ob auf diesen Zeitpunkt oder den der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (vgl. einerseits etwa zu Verfassungsstreitverfahren , BVerfGE 140, 115 Rn. 55 mwN; vom - 2 BvF 1/82, BVerfGE 79, 311, 327; Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Beschluss vom - P.St. 2431, LVerfGE 27, 311 Rn. 60 ff. mwN; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom - Vf. 67-IVa-13, VerfGHE BY 67, 216 Rn. 30; andererseits OVG NRW, Beschluss vom - 8 B 640/03, NWVBl. 2004, 23). Insofern ist gleichfalls unerheblich, dass der Ausschuss quasi im Vorgriff eine Ausstufung im gerichtlich für zulässig erklärten Umfang angeordnet hatte. Weil er hierbei ausdrücklich auf die Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs abstellte, sind damit ersichtlich keine Erwägungen in Bezug auf ein anschließendes Rechtsmittelverfahren verbunden. Davon unabhängig kann ein Rechtsmittel grundsätzlich erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung eingelegt werden (s. allgemein etwa , BGHSt 25, 187, 189; 2 WDB 3.03, Buchholz 235.01 § 115 WDO 2002 Nr. 1).
112. Der Deutsche Bundestag oder dessen Präsident ist nicht allgemeiner Rechtsnachfolger des Untersuchungsausschusses und auch sonst nicht befugt, dessen Rechte als Beschwerdeführer im Verfahren nach § 36 Abs. 3 PUAG wahrzunehmen. Eine solche generelle oder auf die Beschwerdeeinlegung bezogene Aufgabenübernahme ist weder im Grundgesetz noch im Untersuchungsausschussgesetz geregelt. Dass sie sich aus allgemeinen Grundsätzen ergäbe, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr spricht das spezifische Regelungsgefüge dagegen.
12a) Der Untersuchungsausschuss ist ein gemäß Art. 44 GG mit besonderen Rechten ausgestattetes Hilfsorgan des Bundestages, der von Verfassungs wegen als Plenum diese besonderen Befugnisse nicht selbst wahrnehmen kann (s. , BVerfGE 67, 100, 124; vom - 2 BvE 2/01, BVerfGE 105, 197, 220). Der Ausschuss erhält zwar nicht die Stellung eines selbständigen, unabhängig von der vorhandenen demokratischen Legitimation des Bundestages und seiner Mitglieder erst eigens demokratisch zu legitimierenden Organs, hat aber hoheitliche Befugnisse inne, die dem Plenum nicht zukommen (s. u.a., BVerfGE 77, 1, 40 f.). Dementsprechend kann er insbesondere Beweise erheben (s. § 17 Abs. 1 PUAG). Geht es um die Aufhebung der Einstufung von Beweismitteln in den Geheimhaltungsgrad GEHEIM, sind gemäß § 30 Abs. 4 Satz 2 PUAG der Ausschuss oder ein Viertel seiner Mitglieder in der Lage, eine Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zu beantragen.
13b) Hiervon ausgehend kommt nicht in Betracht, dass nach der Beendigung der Ausschusstätigkeit der Präsident des Bundestages oder das Plenum Rechte wahrnimmt, die zuvor dem Ausschuss gerade aufgrund seiner besonderen Rolle und Befugnisse zugestanden haben. Ansonsten träte das Plenum oder der Präsident letztlich entgegen der vorgegebenen Aufgabenverteilung an Stelle des Ausschusses (vgl. grundsätzlich zur Rechtsnachfolge im Verfassungsbeschwerdeverfahren , FamRZ 2016, 114 Rn. 4 f.; zu höchstpersönlichen Rechten im Verwaltungsverfahren Gärditz/Krausnick, VwGO, 2. Aufl., § 61 Rn. 28; Schoch/Schneider/Bier/Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, Stand: 41. EL, § 61 Rn. 10 f.).
14Gegen eine solche Möglichkeit spricht zudem, dass die verfahrensrechtlichen Regelungen, wie sie sich etwa aus §§ 8 ff. PUAG ergeben, für den Untersuchungsausschuss, nicht aber für den Bundestag insgesamt gelten. Danach bleibt offen, nach welchen Maßstäben der Bundestag als Plenum bei der Fortführung der Geschäfte des Untersuchungsausschusses seinen Willen bilden und im Einzelnen tätig werden oder der Bundestagspräsident über die Wahrnehmung etwaiger Rechte befinden soll.
15Außerdem besteht für eine Weiterführung von Ausschussaufgaben durch den Bundestag regelmäßig kein Anlass. Ist die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses nach Ansicht des Plenums trotz Vorlage eines Berichts noch nicht abgeschlossen, kommt in Betracht, den Ausschuss mit weiteren Untersuchungen zu betrauen (vgl. dazu BT-PlPr. IV/37 S. 1581, 1584; Kahl/Waldhoff/Walter/Glauben, Bonner Kommentar zum GG, Stand: 213. EL, Art. 44 Rn. 138) oder gegebenenfalls, insbesondere nach Zusammentreten eines neuen Bundestages, einen weiteren Ausschuss einzusetzen.
16c) Bei der Zuständigkeit des Präsidenten des Bundestages gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 PUAG für Aussagegenehmigungen "auch nach Auflösung des Ausschusses" handelt es sich um eine Einzelfallregelung, die für die Beschwerdemöglichkeit in der hier gegebenen Konstellation nicht maßgeblich ist. Ihr ist keine Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen, der Präsident führe die Geschäfte des Ausschusses allgemein fort. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass es nach § 16 Abs. 2 Satz 2 PUAG stets - also bereits bei Bestehen des Untersuchungsausschusses - Sache des Präsidenten ist, über die Aussagegenehmigung zu entscheiden (vgl. Waldhoff/Gärditz/Sacksofsky, PUAG, § 16 Rn. 6). Dagegen obliegt der Geheimnisschutz im Übrigen dem Ausschuss (s. §§ 15, 30 PUAG).
17d) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass sonstigen Betroffenen nach Beendigung der Ausschusstätigkeit unter Umständen noch eine Rechtsmittelmöglichkeit zustehen kann oder Verpflichtungen aus dem Untersuchungsverfahren zu erfüllen sind (vgl. allgemein u.a., BVerfGE 77, 1, 38; OVG NRW, Urteil vom - 5 A 216/95, NJW 1999, 80; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 5/28 Qs 16/86, NVwZ 1989, 997; Waldhoff/Gärditz, PUAG, § 36 Rn. 52; weitergehend für den Parlamentspräsidenten als "Nachlassverwalter eines jeden Untersuchungsausschusses" Peters, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl., Rn. 967). Hierbei handelt es sich gegebenenfalls um nachwirkende Pflichten, denen nachzukommen ist. Eine Aktivlegitimation, um zuvor dem Ausschuss zustehende Rechte geltend zu machen, folgt daraus nicht.
18e) Soweit nach landesrechtlichen Vorschriften für die Zeit nach abschließender Behandlung des Ausschussberichtes unterschiedliche Regelungen zu einer Rechtsnachfolge oder zu Beteiligungsmöglichkeiten in gerichtlichen Verfahren getroffen sind (vgl. etwa § 34 HmbUAG; § 30 Abs. 2 Satz 1 BbgUAG; § 42 Abs. 2 Satz 1 UAG M-V; § 26 Abs. 2 UAG NRW; § 30 Abs. 1 UAG RP; § 30 Abs. 1 Satz 1 ThürUAG; LT-Drucks. M-V 3/1990 S. 40), ist dies in Bezug auf Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages mangels entsprechender Regelung angesichts der dargelegten Befugnisverteilung ohne Belang. Die landesrechtlichen Normen zeigen vielmehr, dass die Rechtsfrage bekannt ist, der Bundesgesetzgeber indes - wie auch verschiedene Landesgesetzgeber - von entsprechenden Regelungen abgesehen hat.
193. Schließlich hat die Beschwerde mit Blick auf etwaige eigene Rechte des Bundestages unter den gegebenen Umständen ebenfalls keinen Erfolg. Ungeachtet der Frage, ob dem Bundestag selbst unabhängig vom Untersuchungsausschuss ein eigenes Beschwerderecht zustehen könnte, soweit er durch die angegriffene Entscheidung betroffen wäre (vgl. § 304 Abs. 2 StPO, Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG), ist die Beschwerde ausdrücklich "namens, jedenfalls in Rechtsnachfolge des 3. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses", nicht für den Bundestag insgesamt eingelegt. Eine anderslautende Beschlussfassung des Plenums, das im Übrigen den Ausschussbericht mit den teilgeschwärzten Anlagen einstimmig ohne Vorbehalte zur Kenntnis genommen hat, ist nicht vorgebracht.
204. Da die Beschwerde bereits aus den dargelegten Gründen unzulässig ist, bedarf der zwischenzeitliche Zusammentritt eines neuen Bundestages keiner weiteren Erörterung. Ebenso wenig ist zu entscheiden, ob für die Ausstufung das Verfahren nach § 30 Abs. 3 und 4 PUAG auch dann einschlägig ist, wenn gegebenenfalls lediglich eine vorläufige Einstufung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 PUAG vorgenommen wurde und nicht der Ausschuss den Geheimhaltungsgrad beschloss.
III.
21Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. , juris Rn. 36 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:161221BSTB34.21.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-15451