BGH Beschluss v. - 1 StR 482/21

Strafzumessung: Berücksichtigungsfähigkeit anstehender Ausweisung bei einem faktischen Inländer

Gesetze: § 46 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO, § 53 Abs 1 S 1 AufenthG, § 54 AufenthG, § 55 AufenthG

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 1 KLs 8 Js 7992/20 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die ausländerrechtliche Konsequenz der Verurteilung für den Angeklagten bei der Strafzumessung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

31. Ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine bestimmenden Strafmilderungsgründe (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Dies war bereits zur früheren ausländerrechtlichen Rechtslage auch für die damals vorgesehene zwingende Ausweisung anerkannt und gilt nunmehr vor dem Hintergrund der seit geltenden Regelung des § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG, nach der bei einer Ausweisungsentscheidung generell eine Abwägung zwischen Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) und Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) vorzunehmen ist, umso mehr. Eine andere strafzumessungsrechtliche Bewertung ist nur gerechtfertigt, wenn im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen (st. Rspr.; vgl. Rn. 8 und vom – 4 StR 259/17 Rn. 11 mwN).

4Von diesen Maßgaben ausgehend stellt die ausländerrechtliche Konsequenz der Verurteilung für den Angeklagten, einen kosovarischen Staatsangehörigen, eine besondere Härte dar. Dies ergibt sich daraus, dass mit der rechtskräftigen Verurteilung des Angeklagten die gegen ihn mit Bescheid des Landratsamts Deggendorf vom ergangene Ausweisungsverfügung in Verbindung mit dem vor dem Verwaltungsgericht Regensburg geschlossenen Vergleich bestandskräftig wird (UA S. 10 f.), die Ausweisung mithin zwingend ist. Der Vollzug der Ausweisung beinhaltet für den in Deutschland geborenen Angeklagten als sogenannten faktischen Inländer einen Grundrechtseingriff von besonderem Gewicht und bedeutet daher für ihn eine besondere Härte (vgl. BVerfG NVwZ 2017, 229, 230 Rn. 19, 23; BVerwG NVwZ 2021, 1842, 1844 Rn. 21 mwN). Diese – ausländerrechtliche – Folge hat das Landgericht rechtsfehlerhaft im Rahmen der Strafzumessung nicht zu Gunsten des Angeklagten eingestellt.

52. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO).

63. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 2 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. , BGHSt 35, 267; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 354 Rn. 37).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:250122B1STR482.21.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-15419