Strafverurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten einer Bande: Strafzumessung und Einziehung sichergestellter Gegenstände und Bargeld; Behandlung gezahlter Beträge für die "Betreuung" einer Cannabis-Plantage
Gesetze: § 29a Abs 1 Nr 1 BtMG, § 29a Abs 2 Nr 2 BtMG, § 46 Abs 1 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 73 Abs 1 S 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 74 Abs 1 StGB, § 74c Abs 1 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO
Instanzenzug: Az: 2 StR 444/21 Beschlussvorgehend LG Aachen Az: 65 KLs 1/21nachgehend Az: 2 StR 444/21 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten M. und den nichtrevidierenden Mitangeklagten L. unter Freispruch im Übrigen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren (Angeklagter M. ) bzw. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung (Angeklagter L. ) verurteilt. Ferner hat es näher bezeichnetes Plantagenequipment eingezogen, gegen den Angeklagten M. die „Wertersatz-Einziehung eines Betrags von 52.000 €“ angeordnet und auch gegen den Mitangeklagten L. eine Einziehungsentscheidung getroffen. Das auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel hat, teilweise unter Erstreckung auf den Mitangeklagten L. , den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Überprüfung des Schuldspruchs sowie der Einziehungsentscheidung zu dem Plantagenequipment haben keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
32. Hingegen haben der gesamte Strafausspruch sowie die Anordnung der „Wertersatz-Einziehung“ in Höhe von 52.000 € keinen Bestand.
4a) Die Strafzumessung des Landgerichts weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
5aa) Die Strafkammer hat bei der Zumessung der Einzelstrafen in den Fällen II. 1 bis II. 3 der Urteilsgründe dem Angeklagten strafschärfend zur Last gelegt, dass die „erheblichen Mengen an erwirtschafteten Betäubungsmittel[n] in den Verkehr gelangt sind“. Dass gehandelte Drogen zum großen Teil oder vollständig in den Verkehr geraten, gehört jedoch zu den regelmäßigen Umständen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 133/19, juris Rn. 6; vom – 1 StR 8/21, juris Rn. 7). Die Tatsache, dass verkauftes Rauschgift in den Verkehr gelangt, ist deshalb kein Strafschärfungsgrund (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 47/93, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 5; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 395/17, juris Rn. 8; vom – 4 StR 100/18, StV 2019, 325, 326). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Zumessung der drei Einzelstrafen auf diesem Rechtsfehler beruht.
6bb) Das Rechtsmittel führt auch zur Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 4 der Urteilsgründe.
7(1) Das Landgericht war allerdings, entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts, angesichts des zur Aburteilung stehenden bandenmäßigen Handeltreibens mit 40 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 4,1 kg THC) sachlich-rechtlich nicht verpflichtet, die mit einer zulässigen Verfahrensrüge geltend gemachte Tatsache des freiwilligen Verzichts des Angeklagten auf 650 € Bargeld sowie ein Mobiltelefon als strafmildernden Umstand zu erörtern (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).
8(a) Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden zulässigen Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr.; vgl. etwa , juris Rn. 5 mwN). Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen. Es bestimmt in erster Linie die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen, wobei ihm ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 416/16, NJW 2018, 2210, 2211 f.; , juris Rn. 7 mwN).
9(b) Daran gemessen hätte das Tatgericht die in dem Verzicht liegende freiwillige Leistung des Angeklagten als Ausdruck seiner Reue zwar strafmildernd berücksichtigen können (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 42/18, juris Rn. 5; , juris Rn. 13); verpflichtet war es dazu angesichts des verwirklichten Tatunrechts und des eher unerheblichen, ohnehin der Einziehung unterfallenden Geldbetrages sowie des Mobiltelefons jedoch nicht.
10(2) Angesichts der zwingenden Aufhebung der Einsatzstrafe im Fall II.3 der Urteilsgründe hat der Senat gleichwohl auch die Einzelstrafe im Fall II.4 der Urteilsgründe aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und ausgewogene neue Strafzumessung zu ermöglichen. Die Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
11cc) Der Wegfall aller Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
12b) Die Einziehungsentscheidung unterfällt mit den Feststellungen der Aufhebung. Das Landgericht hat die Anordnung der Wertersatzeinziehung in Höhe von 16.000 € auf § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB und in Höhe von weiteren 36.000 € auf § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB gestützt. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken.
13aa) Nach den Feststellungen erhielt der Angeklagte von einem weiteren Bandenmitglied für die Vermittlung eines Gewerbeobjekts zum Betrieb der verfahrensgegenständlichen Marihuana-Plantage einmalig 1.000 €, jeweils 5.000 € für die Aufzucht und Pflege der Pflanzen als pauschale Entlohnung nach jeder der drei erfolgreichen Ernten auf dieser Plantage, im Voraus für jede der vier Pflanzperioden 3.000 € für „Spesen“ sowie mindestens 6.000 € „als Kostenersatz für zu verauslagende Gelder für Düngemittel, Equipment oder auch die Bezahlung von Helfern“. Über die erhaltenen Vorschüsse hatte er mit dem weiteren Bandenmitglied nach einer Pflanzperiode abzurechnen, wobei er „auch seine eigenen Arbeitsstunden für besonders schwere Arbeiten zusätzlich in Rechnung“ stellte.
14In der Beweiswürdigung ist hierzu ausgeführt, der Angeklagte habe die 5.000 € und die 3.000 € immer nach jeder Ernte erhalten. Er habe zusätzlich vorab 6.000 € bis 7.000 € für Einkäufe während der nächsten Pflanzperiode und den „laufenden Betrieb“ erhalten, über die er später gegenüber dem Hintermann habe abrechnen müssen.
15bb) Diese Feststellungen tragen die angeordnete Einziehung des Wertes von Tatmitteln beziehungsweise Taterträgen in Höhe von insgesamt 52.000 € nicht.
16(1) Das Landgericht hat zunächst übersehen, dass die Einziehung des Wertes von Tatmitteln nach § 74c Abs. 1 StGB nur möglich ist, wenn der Angeklagte die Einziehung der ihm zustehenden Tatmittel vereitelt hat. Die im Sinne der Bandenabrede bestimmungsgemäße Verwendung der Tatmittel, die das Landgericht nach seiner Wertung der Beurteilung zu Grunde legt, kann jedoch nicht zugleich als Vereitelungshandlung im Sinne des § 74c Abs. 1 StGB angesehen werden. Erst die funktionale Verwendung macht das Geld zum Einziehungsgegenstand (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 387/91, BGHR StGB § 74c Abs. 1 Vereitelung 1; BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 277/10, BGHR § 73a Anwendungsbereich 4; vom – 4 StR 648/17, juris Rn. 5; , juris Rn. 17).
17(2) Auch die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.000 € ist rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat bei seiner Einziehungsentscheidung übersehen, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung auf einen bei ihm sichergestellten Barbetrag verzichtet und die Staatsanwaltschaft diesen Verzicht angenommen hat. Damit ist – worauf die Revision und der Generalbundesanwalt zu Recht hinweisen – ein Zahlungsanspruch des Staates wegen der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB in dieser Höhe erloschen (vgl. , BGHSt 63, 305, 311 f.).
18(3) Der Senat hebt – dem umfassenden Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts folgend – die Einziehungsentscheidung mit den Feststellungen insgesamt auf.
19(4) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass die mehrdeutigen Feststellungen bisher unzureichend belegen, welcher Anteil der überlassenen Gelder dem Angeklagten als Tatmittel und welcher ihm möglicherweise als weiterer Tatertrag zugeflossen ist (vgl. zur Mehrdeutigkeit von Feststellungen , StraFo 2012, 419).
20(a) Dies betrifft zunächst die dem Angeklagten für jede Pflanzperiode überlassenen 3.000 € als „Spesen“.
21(aa) Spesengelder sind nur dann Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB, wenn der Täter oder Teilnehmer diese im Vorfeld der beabsichtigten Tatbegehung von einer anderen Person – namentlich dem Hintermann – mit der konkreten Maßgabe erhalten hat, davon notwendige Ausgaben zu bestreiten (vgl. , juris Rn. 16 mwN). Erhält der Täter oder Teilnehmer sein Geld hingegen pauschal, ohne dass zwischen Spesengeld und Tatlohn differenziert wird, handelt es sich bei dem erlangten Geldbetrag in Gänze um Tatlohn (vgl. BGH, aaO Rn. 18).
22(bb) Daran gemessen lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob es sich bei den vom Angeklagten viermal erhaltenen 3.000 € um Tatlohn oder Tatmittel handelt. Die Feststellungen belegen bereits nicht, dass der Angeklagte die „Spesen“ als Tatmittel im Vorfeld der Tat erhielt, um damit nach Maßgabe des Hintermannes notwendige Ausgaben zur Durchführung der Tat zu bestreiten. Es bleibt unklar, ob der Angeklagte die „Spesen“ vor der Pflanzperiode (UA S. 34) oder hinterher erhielt (UA S. 48), ob er über diese abrechnen musste (UA S. 34) oder sich diese Abrechnungspflicht nur auf die weiteren mindestens 6.000 € bezog (UA S. 48). Zudem legt der Umstand, dass unter anderem die Miete für das Fahrzeug des Angeklagten in Höhe von 600 € monatlich aus den „Spesen“ gezahlt wurde, die Annahme nahe, dass es sich – entgegen der Ansicht des Landgerichts − um weiteren Tatlohn des Angeklagten handelte.
23(b) Auch hinsichtlich der weiteren 6.000 €, die der Angeklagte vorab erhielt und über die er gegenüber dem Hintermann abrechnen musste, lassen die Urteilsgründe offen, ob allein eine Einziehung nach § 74 Abs. 1, § 74c StGB oder auch eine solche nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB in Betracht kommt. Denn nach den Feststellungen stellte der Angeklagte auch seine eigenen Arbeitsstunden bei besonders schweren Arbeiten zusätzlich in Rechnung. In diesem Fall hätte er von den ihm überlassenen Tatmitteln nach § 74 Abs. 1 StGB jedenfalls einen Teil als Tatertrag für die Tat (vgl. , juris Rn. 5) erlangt, so dass dessen Wert nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB einzuziehen gewesen wäre.
24(c) Der Senat weist darauf hin, dass § 358 Abs. 2 StPO einer Einziehungsentscheidung nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB anstelle der bisher ausgesprochenen Einziehungsanordnung nach § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB in einem neuen tatrichterlichen Urteil nicht entgegen steht (vgl. , NStZ-RR 2016, 41, 42).
253. Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafzumessung betrifft den Mitangeklagten L. bei den Einzelstrafen II. 1 und II. 3 der Urteilsgründe in gleicher Weise (vgl. zur Identität von Rechtsfehlern auf der Rechtsfolgenseite Senat, Beschluss vom – 2 StR 264/21, juris Rn. 20 mwN), da das Landgericht auch in diesen beiden Fällen strafschärfend berücksichtigt hat, dass „die in der Plantage erwirtschaftete erhebliche Menge an Marihuana auch in den Verkehr gelangt ist“. Die Urteilsaufhebung war daher insoweit auf ihn zu erstrecken. Der Wegfall der beiden Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die Feststellungen haben insoweit Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Sache bedarf auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:230222B2STR444.21.2
Fundstelle(n):
LAAAJ-15411