Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist für Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde; lückenlose und schlüssige Darstellung des Absendevorgangs bei begehrter Wiedereinsetzung wegen Schriftstückverlust auf dem Postweg
Leitsatz
1. Ist die Frist zur Begründung einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision abgelaufen, weil die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht abgegeben worden ist und ein Antrag auf Verlängerung der Frist innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht gestellt oder ihm nicht entsprochen worden ist, so kann die Fristversäumnis nur geheilt werden, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Beschwerdebegründung nachgeholt wird.
2. Wird Wiedereinsetzung begehrt, weil ein zur Post gegebenes Schriftstück den Adressaten nicht erreicht habe, so ist eine lückenlose und schlüssige Darstellung des Absendevorgangs dahin erforderlich, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, aufgegeben hat. Die bloße Vorlage des Postausgangsbuches genügt nicht.
Gesetze: FGO § 56 Abs. 1 und 2FGO § 116 Abs. 1 und 3
Instanzenzug: (EFG 2002, 734)
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Die dagegen erhobene Klage ist vom Finanzgericht (FG) durch am zugestelltes Urteil abgewiesen worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde erhoben, die sie jedoch erst am begründet hat. Sie behauptet, am an den Bundesfinanzhof (BFH) einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum gerichtet zu haben. Der Antrag ist beim BFH nicht eingegangen. Hierüber ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf seine Nachfrage am unterrichtet worden. Er hat daraufhin noch am selben Tag dem BFH seinen Fristverlängerungsantrag per Telefax übermittelt und mit am beim BFH eingegangenem Schreiben Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Stellung des Antrags auf Fristverlängerung bezüglich der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gestellt. Zur Glaubhaftmachung seiner Behauptung, der Fristverlängerungsantrag vom sei ,,ordnungsgemäß erfasst und zur Post gegeben worden'', hat er die beglaubigte Kopie einer von ihm als Postausgangsbuch bezeichneten Aufzeichnung vorgelegt, in der sich unter dem Datum des u. a. folgende Eintragung findet.
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[Name bzw. Firma] [Ort] [Porto] ,,Bundesfinanzhof Münch München 0,56'' |
Gründe
Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist unzulässig, weil sie zwar fristgerecht erhoben, aber nicht innerhalb der hier am abgelaufenen Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO begründet worden ist. Ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist, wie er nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO innerhalb der vorgenannten Frist beim BFH hätte angebracht werden müssen, ist nicht gestellt worden. Allerdings ist die Frist vom BFH, obwohl es an einem solchen Antrag fehlt, entsprechend dem erst nach Ablauf der vorgenannten Frist übermittelten Antrag verlängert und die Beschwerdebegründung innerhalb der so verlängerten Frist abgegeben worden. Der beschließende Senat kann unentschieden lassen, ob durch eine solche Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist eine bereits abgelaufene Begründungsfrist wieder in Lauf gesetzt werden kann. Denn im Streitfall ist die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt der Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Beschwerdebegründungsfrist erfolgt. Dieser Vorbehalt wirkt sich im Ergebnis dahin aus, dass die Beschwerde, weil verspätet begründet, zu verwerfen ist. Denn der Klägerin kann auf ihren Antrag keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis einer gesetzlichen Frist setzt nach § 56 Abs. 1 und 2 FGO u. a. voraus, dass der Betreffende ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, dass er die Tatsachen, aus denen sich dies ergibt, innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichneten Frist vorträgt und spätestens im Verfahren über den Antrag glaubhaft macht, und dass er innerhalb der eben erwähnten Frist die versäumte Rechtshandlung nachholt (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Ist die Frist zur Begründung einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision abgelaufen, weil die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht abgegeben worden ist und ein Antrag auf Verlängerung der Frist innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nicht gestellt oder ihm nicht entsprochen worden ist, so kann nach diesen Vorschriften die Fristversäumnis nur geheilt werden, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) die Beschwerdebegründung nachgeholt wird. Es reicht also - anders als die Klägerin offenbar annimmt - nicht aus, innerhalb dieser Frist den zunächst beim BFH nicht angebrachten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist zu stellen, einerlei, aus welchen Gründen dieser nicht fristgerecht an den BFH gelangt ist. Denn nach § 116 Abs. 3 FGO besteht nicht etwa neben der Beschwerdebegründungsfrist eine (weitere) gesetzliche Frist für die Anbringung eines Antrages auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist, bei deren Versäumnis § 56 FGO angewendet werden könnte. § 116 Abs. 3 FGO sieht vielmehr lediglich eine einzige Frist, nämlich diejenige für die Begründung der Beschwerde vor, räumt allerdings dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, während des Laufes dieser einen Frist ihre Verlängerung zu beantragen. Da jedoch nicht dieser Antrag die von dem Beschwerdeführer innerhalb der Frist verlangte Prozesshandlung ist, scheidet eine Anwendung des § 56 FGO unmittelbar auf den versäumten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist ebenso aus, wie dies nach dem Beschluss des Großen Senats des (BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264) der Fall ist, wenn die Frist für einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist versäumt worden ist.
Die vom BFH bei der Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist vorbehaltene Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags der Klägerin führt also zunächst zu dem Ergebnis, dass dieser Antrag ins Leere geht, weil wegen des versäumten Antrags eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nicht gewährt werden kann und die vom BFH vorsorglich gewährte Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist folglich wirkungslos bleibt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat allerdings innerhalb der nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO am in Lauf gesetzten Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der versäumten Beschwerdebegründungsfrist, in welchen der von ihm tatsächlich gestellte Antrag zumindest umgedeutet werden kann, (auch) die insofern versäumte Rechtshandlung, nämlich die Abgabe der Beschwerdebegründung, nachgeholt (und zwar am ). Die eingangs zuletzt genannte Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist mithin im Ergebnis erfüllt.
Gleichwohl kann der Klägerin nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Beschwerdebegründungsfrist (infolge eines von der Klägerin nicht zu verantwortenden Verlustes eines rechtzeitig zur Post gegebenen Fristverlängerungsantrages, auf dessen positive Bescheidung die Klägerin sich hat verlassen dürfen) ohne Verschulden versäumt worden ist, nicht in der erforderlichen Weise vorgetragen worden sind. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nämlich, wenn geltend gemacht wird, der Schriftsatz sei rechtzeitig abgesandt worden, erforderlich, den Absendevorgang näher darzustellen; erforderlich ist nach den Beschlüssen des Senats vom VII B 132/99 (unveröffentlicht, juris) und vom VII B 112/00 (BFH/NV 2002, 798) eine lückenlose und schlüssige Darstellung des Absendevorgangs dahin, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, aufgegeben hat. Jegliche Angaben hierzu fehlen im Streitfall.
Überdies ist die rechtzeitige Absendung des Fristverlängerungsantrags auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Nach dem Beschluss des Senats in BFH/NV 2002, 798 genügt dafür nämlich für sich alleine nicht die Vorlage eines Postausgangsbuches, welches allerdings ein Bevollmächtigter, der Rechtsberatung berufsmäßig ausübt, regelmäßig zu führen und zur Glaubhaftmachung des Absendevorgangs vorzulegen hat. Vor allem aber genügt das vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegte, von diesem als Postausgangsbuch bezeichnete, in Wahrheit eher als Portonachweisbuch zu bezeichnende Schriftstück zur Glaubhaftmachung nicht. Aus ihm ergibt sich lediglich, dass am ein Schriftstück an den BFH gesandt worden ist und dass es sich dabei offenbar um einen Standardbrief gehandelt hat. Die vorgenannte Aufzeichnung ist jedoch nicht geeignet, glaubhaft zu machen, dass es sich dabei um einen Fristverlängerungsantrag gehandelt hat, und vor allem nicht, dass es sich dabei überhaupt um einen das Verfahren der Klägerin betreffenden Schriftsatz handelte. Nur wenn diesbezügliche Angaben enthalten wären, würde jedoch die Aufzeichnung den an ein Postausgangsbuch nach der Rechtsprechung des BFH zu stellenden Anforderungen genügen (vgl. etwa , BFH/NV 1990, 248).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 316
BB 2003 S. 514 Nr. 10
BFH/NV 2003 S. 567
BFH/NV 2003 S. 567 Nr. 4
BFHE S. 491 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 316 Nr. 6
DB 2003 S. 538 Nr. 10
DStRE 2003 S. 442 Nr. 7
INF 2003 S. 211 Nr. 6
EAAAA-89481