Freiwillige Zahlungen vor Festsetzung der Steuer für die Zinsberechnung nach § 233 a AO auch dann unbeachtlich, wenn ein Umsatz rechtsirrtümlich erst im Folgejahr erklärt und versteuert wird
Leitsatz
1. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233 a AO 1977 in der ab 1997 geltenden Fassung setzt voraus, dass sich zwischen der festgesetzten Steuer und einer vorangegangenen Festsetzung ein Unterschiedsbetrag ergibt. Freiwillige Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung sind für die Zinsberechnung nach dem Soll-Prinzip grundsätzlich unbeachtlich.
2. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Steuerpflichtige einen Umsatz rechtsirrtümlich erst in dem auf die Entstehung der Steuerschuld folgenden Jahr - also vor Beginn des Zinslaufs nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 - erklärt und versteuert.
Gesetze: AO 1977 §§ 227, 233 aUStG 1993 § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. aUStG 1993 § 16 Abs. 1UStG 1993 § 18 Abs. 1 und 3Richtlinie 77/388/EWG Art. 33 Abs. 1
Instanzenzug: (EFG 2001, 1477) (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GbR, betrieb die Erschließung und Bebauung eines Grundstücks mit Eigentumswohnungen sowie deren anschließende Veräußerung. Sie versteuerte ihre Umsätze gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) nach vereinbarten Entgelten.
Im Streitjahr 1997 veräußerte die Klägerin u. a. vier fertig gestellte Eigentumswohnungen steuerpflichtig an die Erwerber A, B, C und D. Von den vereinbarten Kaufpreisen waren zum Zahlungen in Höhe von 251 439 DM zuzüglich 37 715,85 DM Umsatzsteuer noch nicht beglichen. Diese Beträge gingen erst im Folgejahr 1998 bei der Klägerin ein.
Die Klägerin erfasste die im Streitjahr 1997 (noch) nicht eingegangenen Restkaufpreiszahlungen erst in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1998 und in ihrer (am eingereichten) Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1998.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung die erst 1998 vereinnahmten Entgelte für bereits 1997 ausgeführte Umsätze dagegen im Streitjahr 1997 der Umsatzsteuer und änderte mit Bescheid vom die Umsatzsteuer-Festsetzung für 1997 entsprechend. Zugleich setzte das FA Nachzahlungszinsen gemäß § 233 a der Abgabenordnung (AO 1977) ausgehend von einem Unterschiedsbetrag von (abgerundet) 37 700 DM für einen Zeitraum von 9 Monaten ( bis ) in Höhe von 1 696 DM fest.
Hiergegen legte die Klägerin am Einspruch ein und beantragte, die Zinsen auf 0 DM festzusetzen. Hierzu legte sie eine berichtigte Umsatzsteuer-Erklärung für 1998 vor, aus der sich aufgrund des Wegfalls der nunmehr 1997 berücksichtigten Umsätze ein Erstattungsanspruch zu ihren Gunsten in Höhe von 37 715,80 DM ergab. Daneben beantragte die Klägerin mit Schreiben vom den Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen.
Durch Bescheid vom erließ das FA die festgesetzten Nachzahlungszinsen teilweise, und zwar in Höhe von 647 DM. Zur Begründung heißt es u. a.:
,,Ihre Mandantin hat jedoch einen Zinsvorteil aus dem Vorgang erzielt, weil die in das Jahr 1997 vorgeholten Umsätze bereits in der Umsatzsteuervoranmeldung für das 4. Quartal 1997 hätten erfasst werden müssen. Die entsprechende Umsatzsteuer wäre demnach bereits zum fällig gewesen. Tatsächlich hat Ihre Mandantin die Umsätze jedoch erst mit der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 3. Quartal 1998 bzw. mit der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1998 versteuert. Hieraus resultieren unter Berücksichtigung der mit Ihrem Schreiben vom vorgelegten Berechnungen folgende Zinsvorteile:
Durch Einspruchsbescheid vom selben Tag wies das FA den Einspruch der Klägerin gegen die Zinsfestsetzung vom zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage gegen die Zinsfestsetzung als unbegründet zurück (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 1477).
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
1. Die Zinsberechnung verstoße gegen § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Danach beginne der Zinslauf (erst) 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei (sog. Karenzfrist). Das FA habe lediglich die von der Klägerin 1998 angemeldete und bezahlte Umsatzsteuer in das Steuerjahr 1997 ,,vorgeholt''. Innerhalb der Karenzfrist sei die Umsatzsteuer bezahlt worden, so dass ein Abstellen auf einen Unterschiedsbetrag zwischen Festsetzungssoll und Vorsoll gegen den Sinn und Zweck der Karenzfrist verstoße. Der gleiche Lebenssachverhalt und die gleiche Steuer würden in einen Nachzahlungsfall (1997) und einen Erstattungsfall (1998) künstlich zerteilt, so dass dem FA die Möglichkeit gegeben werde, durch Verzögerung der Änderungsveranlagung des Erstattungsjahres den Nachzahlungsfall in die Zeit nach Ablauf der Karenzfrist hineinlaufen zu lassen, obwohl die Steuer längst bezahlt sei.
2. Die Umstellung von Ist-Verzinsung auf Soll-Verzinsung durch § 233 a AO 1977 verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und führe zu einer nicht mehr beherrschbaren Komplizierung.
3. Die Verzinsung einer getilgten Steuer verstoße gegen das Verbot einer Übermaßbesteuerung und ,,elementare Rechtsprinzipien'', weil bei einer Besteuerungsgrundlage von 0 DM die Belastung unendlich hoch sei. Im vorliegenden Fall solle sie - die Klägerin - Nachzahlungszinsen bezahlen, obwohl sie einen erheblichen Liquiditätsnachteil gehabt habe.
4. Die Verzinsung der Umsatzsteuer sei mit europäischem Recht unvereinbar, weil sie gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität innerhalb der Unternehmerkette verstoße und wegen ihrer erheblichen materiel-
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Betrag Steuer Zinszeitraum Zinsvorteil DM DM Beginn Ende Zinsmonate DM Umsätze I/98 180 476,51 27 071,48 3 406,07 Umsätze II/98 17 353,91 2 603,09 10. 1. 1998 6 78,09 Umsätze III/98 8 395,66 1 259,35 9 56,67 Umsätze 1998 45 213,04 6 781,96 15 505,65 ------- Summe Zinsvorteil 1 049,48 Summe Zinsvorteil (abgerundet) 1 049,00 Festgesetzte Nachzahlungs- zinsen lt. Bescheid vom 1 696,00 -------- Differenz = zu erlassende Nachzahlungs- zinsen 647,00'' -------- -------- |
len Belastung den Charakter einer nach Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) unzulässigen Steuer habe.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA vom die Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1997 unter Abänderung des Bescheids vom auf 0 DM herabzusetzen.
Das FA tritt der Revision entgegen.
Gründe
II.
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zutreffend entschieden, dass die angefochtene Festsetzung der Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer gerichtlich nicht zu beanstanden ist.
1. Führt die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i. S. des § 233 a Abs. 3 AO 1977, ist dieser zu verzinsen (§ 233 a Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird (§ 233 a Abs. 2 Satz 3 AO 1977).
2. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt. Das ist zwischen den Beteiligten ebenso wenig streitig wie die Höhe und Berechnung der festgesetzten Zinsen (§ 238 AO 1977).
3. Die Zinsfestsetzung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deswegen rechtswidrig, weil sie (die Klägerin) vor Beginn des Zinslaufs nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 (hier: ), also innerhalb der sog. Karenzfrist, die streitigen Umsätze in voller Höhe (so die Klägerin) oder jedenfalls nahezu vollständig (so das FA) in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das I. bis III. Quartal 1998 der Umsatzbesteuerung unterwarf und entsprechende Zahlungen geleistet hat.
a) Freiwillige Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung sind für die Zinsberechnung nach dem Soll-Prinzip des § 233 a AO 1977 grundsätzlich unbeachtlich. Auch wenn das FA vor der Steuerfestsetzung Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld entgegengenommen hat und hierdurch die festgesetzte Steuerschuld getilgt ist, sind nach der im Streitfall anzuwendenden Fassung des § 233 a Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich Zinsen auf den ,,Unterschiedsbetrag'' zu erheben (vgl. , BFH/NV 2001, 1375; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233 a AO 1977 Rz. 18; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 233 a Rz. 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233 a AO 1977 Rz. 33).
Denn § 233 a AO 1977 in der durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1997 vom (BGBl. I 1996, 2049) geänderten Fassung setzt im Gegensatz zu der bis 1996 geltenden Gesetzesfassung nicht mehr eine ,,Steuernachforderung'', sondern (lediglich) einen ,,Unterschiedsbetrag'' voraus. Dadurch wollte der Gesetzgeber der Rechtsprechung (vgl. grundlegend , BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490) die Grundlage entziehen, wonach eine Steuerfestsetzung nicht zu einer Steuernachforderung i. S. des § 233 a AO 1977 a. F. führen könne, wenn das FA freiwillige Leistungen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung annehme und hierdurch die festgesetzte Steuer insgesamt erfüllt worden sei (vgl. BTDrucks 13/5952, S. 56).
b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Steuerpflichtige einen Umsatz rechtsirrtümlich erst in dem auf die Entstehung der Steuerschuld folgenden Jahr - also vor Beginn des Zinslaufs nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 - erklärt und versteuert, wie dies im Streitfall geschehen ist.
4. Der Auffassung der Klägerin, das FA habe den gleichen Lebenssachverhalt und die gleiche Steuer künstlich in einen Nachzahlungsfall (1997) und einen Erstattungsfall (1998) zerteilt, so dass dem FA die Möglichkeit gegeben werde, durch Verzögerung der Änderungsveranlagung des Erstattungsjahres den Nachzahlungsfall in die Zeit nach Ablauf der Karenzfrist hineinlaufen zu lassen, vermag der Senat nicht zu folgen.
Das FA hat vielmehr die Umsatzsteuer entsprechend den gesetzlichen Vorschriften (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 16 Abs. 1, § 18 Abs. 1 und 3 UStG) festgesetzt. Für eine Verzögerung der Änderungsveranlagungen für die Jahre 1997 und 1998 gibt es keinen Anhaltspunkt.
5. Die Soll-Verzinsung nach § 233 a AO 1977 verstößt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Sie beruht vielmehr auf einer zulässigen gesetzlichen Typisierung und ist nicht verfassungswidrig (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 233 a AO 1977 Rz. 17, m. w. N.).
6. Soweit die Klägerin ferner geltend macht, die Verzinsung einer getilgten Steuer verstoße gegen das Verbot einer Übermaßbesteuerung und elementare Rechtsprinzipien, hat der Senat bereits entschieden, dass dieser Gesichtspunkt allenfalls im Rahmen von Billigkeitserwägungen nach § 227 AO 1977 berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteil vom V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; , BFH/NV 2002, 505, m. w. N.).
So ist hier verfahren worden. Das FA hat in dem (im vorliegenden Verfahren nicht angefochtenen) Bescheid vom die festgesetzten Nachzahlungszinsen um 647 DM gemindert und dabei berücksichtigt, dass und wann die Klägerin die von ihr verspätet erklärten Umsätze vorangemeldet und gezahlt hat.
Für die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung der Klägerin, sie habe einen erheblichen Liquiditätsnachteil gehabt, sieht der Senat keine Grundlage.
7. Schließlich verstößt die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer entgegen der Ansicht der Klägerin weder gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität innerhalb der Unternehmerkette noch gegen Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. Senatsurteil vom V R 81/01, zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen; ein neutralisierter Abdruck der Entscheidung ist beigefügt).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 115
BB 2003 S. 142 Nr. 3
BFH/NV 2003 S. 230
BFH/NV 2003 S. 230 Nr. 2
BFHE S. 26 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 115 Nr. 3
DB 2003 S. 753 Nr. 14
DStRE 2003 S. 252 Nr. 4
INF 2003 S. 121 Nr. 4
KÖSDI 2003 S. 13604 Nr. 2
UR 2003 S. 201 Nr. 4
GAAAA-89424