Zur Abziehbarkeit von Nachzahlungszinsen gem. § 233 a AO 1977, die später vorläufig erstattet werden, als Sonderausgaben
Leitsatz
1. Nachzahlungszinsen gemäß § 233 a AO 1977, die bis zum beim Steuerpflichtigen abgeflossen waren, waren nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a. F. auch dann als Sonderausgaben abzugsfähig, wenn sie später aufgrund eines erfolgreichen Antrags auf Aufhebung der Vollziehung des Zinsbescheides vorläufig erstattet wurden.
2. Wird der Zinsbescheid später aufgehoben oder werden die Zinsen niedriger festgesetzt, so ist der Sonderausgabenabzug im Umfang der Änderung zu mindern.
Gesetze: AO 1977 § 233 aEStG a. F. § 10 Abs. 1 Nr. 5
Instanzenzug: FG Nürnberg (EFG 2002, 80) (Verfahrensverlauf), ,
Tatbestand
I.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am gegenüber dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) Einkommensteueränderungsbescheide für 1990 bis 1995, in denen er jeweils Nachzahlungszinsen in Höhe von insgesamt . . . DM festsetzte.
Der Kläger zahlte die Zinsen am . Mit Schreiben vom legte er gegen die Einkommensteueränderungsbescheide Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung, die er mit Schreiben vom im Einzelnen bezifferte. Ferner begehrte er unter teilweiser Anerkennung von Nachzahlungszinsen die Verrechnung der darüber hinaus bezahlten Zinsen auf unstreitige Steuern in Höhe von insgesamt . . . DM, Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von . . . DM sowie die Erstattung des Restbetrages in Höhe von . . . DM.
Das FA hob mit Bescheid vom die Vollziehung der Zinsbescheide zur Einkommensteuer 1990 bis 1995 in Höhe von . . . DM auf und entsprach dem Antrag auf Verrechnung.
Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1998 Nachforderungszinsen in Höhe von . . . DM als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung (EStG a. F.) geltend. Das FA erkannte jedoch nur in Höhe des unstreitigen Zinsbetrages Sonderausgaben an.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Bei Ergehen des Urteils stand noch nicht fest, in welcher Höhe der Kläger endgültig Nachzahlungszinsen zu zahlen haben wird. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) könnten als Sonderausgaben nur Ausgaben abgezogen werden, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet sei. Wegen der Aufhebung der Vollziehung der Zinsfestsetzungen Anfang 1999 sei der Kläger nicht wirtschaftlich belastet geblieben. Alle Folgen rechtlicher oder tatsächlicher Art, die zur Verwirklichung des Regelungsinhalts des Zinsbescheides gezogen worden seien, seien damit vorläufig rückgängig gemacht worden.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a. F. und des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG. Solange die Einkommensteuer- und Zinsfestsetzungen nicht geändert seien, bestehe die Steuer- bzw. Zinsschuld fort. Auch materiell-rechtlich habe der Zinslauf 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres, in dem die jeweilige Steuer entstanden sei, begonnen. § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a. F. setze seinem Wortlaut nach keine endgültige Belastung voraus. Maßgeblich sei nach Gesetz und Rechtsprechung der Zeitpunkt der Zahlung.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1998 dahin gehend zu ändern, dass zusätzlich . . . DM als Sonderausgaben angesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Der Klage ist stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Unrecht die Umbuchung der Zinszahlungen wie eine endgültige Erstattung behandelt.
1. Die Voraussetzungen für den Abzug der auf Einkommensteuer 1990 bis 1995 festgesetzten und vom Kläger im Laufe des Veranlagungszeitraums 1998 geleisteten Nachzahlungszinsen liegen vor.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a. F. können bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1998 Zinsen nach §§ 233 a, 234 und 237 der Abgabenordnung (AO 1977) als Sonderausgaben abgezogen werden. Sie sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind, hier also bei der Einkommensteuerveranlagung 1998 (,,Abflussprinzip''; vgl. zu Sonderausgaben z. B. , BFHE 76, 384, BStBl III 1963, 141; vom IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; vom I R 55/90, BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550; vom IV R 28/98, BFH/NV 2000, 1455).
2. Die (teilweise) Erstattung der Zinsen durch Umbuchung im Jahr 1999 steht dem nicht entgegen, da nach den Feststellungen des FG noch nicht feststeht in welcher Höhe die Festsetzung der nachzuzahlenden Steuern und die Zinsfestsetzungen Bestand haben werden.
a) Aus der Verwendung des Begriffs ,,Aufwendungen'' in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. , BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646; vom X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m. w. N.). Aufwendungen können im Veranlagungszeitraum der Zahlung mangels wirtschaftlicher Belastung nicht als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn bzw. soweit sich bereits im Zeitpunkt der Zahlung absehen lässt, dass die Aufwendungen endgültig zurückzuerstatten sind. Unerheblich ist, ob die Erstattung in den Veranlagungszeitraum des Abflusses (§ 11 Abs. 2 EStG) oder in einen späteren Zeitraum fällt (BFH in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95).
Steht im Zeitpunkt der Zahlung, ggf. auch im Zeitpunkt der Erstattung noch nicht fest, ob der Steuerpflichtige durch die Zinsfestsetzung endgültig wirtschaftlich belastet bleibt, sind die Sonderausgaben im Jahr des Abflusses abziehbar. Sollte der geleistete Betrag jedoch in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet werden, ist die Veranlagung des Zeitraums der Zahlung durch eine entsprechende Kürzung des Sonderausgabenabzugs zu ändern. Sollte diese Veranlagung bestandskräftig sein, kann der Bescheid im Grundsatz gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden (vgl. aber auch z. B. BFH in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95; vgl. auch Urteil in BFH/NV 2000, 1455).
b) Nach diesen Grundsätzen können die vom Kläger im Streitjahr gezahlten Nachzahlungszinsen (noch) nicht um die im folgenden Veranlagungszeitraum erstatteten Nachzahlungszinsen gekürzt werden.
aa) Im Zeitpunkt der Zahlung der Nachzahlungszinsen war deren Rückzahlung noch nicht absehbar. Die Zinsen waren mit Bescheiden vom - aufgrund entsprechender Einkommensteueränderungsbescheide - festgesetzt worden. Da die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen und zu erheben haben (§ 85 AO 1977), ist grundsätzlich von der Gesetzmäßigkeit der festgesetzten Steuern auszugehen. Im Zeitpunkt der Zahlung der Nachzahlungszinsen bestand daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die Steuerfestsetzungen wegen ernstlicher Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit von der Vollziehung auszusetzen sein sollten (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
bb) Die aufgrund der Aufhebung der Vollziehung ermöglichte Umbuchung der Nachzahlungszinsen steht zwar einer Erstattung gleich (vgl. BFH in BFH/NV 2000, 1455) und führt dazu, dass der Kläger tatsächlich durch die Zahlung der Nachzahlungszinsen zunächst wirtschaftlich nicht belastet blieb. Nach der Rechtsprechung des BFH liegen jedoch nur dann keine ,,Aufwendungen'' vor, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig nicht wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646). Die ,,Erstattung'' aufgrund einer Aufhebung der Vollziehung und damit ggf. verbundene Umbuchungsmaßnahmen sind jedoch nur vorläufiger Natur (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730). Nach den Feststellungen des FG stand im Zeitpunkt des Ergehens des Urteils noch nicht fest, ob, ggf. in welcher Höhe der Kläger endgültig durch die festgesetzten Nachzahlungszinsen belastet bleibt. Erst wenn das der Fall ist, ist über den Sonderausgabenabzug gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 endgültig zu entscheiden.
Dem steht die Entscheidung des erkennenden Senats vom XI R 24/01 (BFH/NV 2002, 416) nicht entgegen. Danach können Nachzahlungszinsen im Jahr ihrer Zahlung als Sonderausgaben auch dann abgezogen werden, wenn noch kein Bescheid über die Festsetzung der Zinsen ergangen ist. Diese Aussage berührt nicht die Tatsache, dass der Kläger durch die Zinsfestsetzung bis zu deren endgültiger Aufhebung belastet bleibt.
3. Der Senat hat die Berechnung der Steuer gemäß § 121 Satz 1 i. V. m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 569
BB 2002 S. 1527 Nr. 30
BFH/NV 2002 S. 1096 Nr. 8
BFHE S. 167 Nr. 199
BStBl II 2002 S. 569 Nr. 15
DB 2002 S. 1532 Nr. 30
DStRE 2002 S. 996 Nr. 16
FR 2002 S. 895 Nr. 16
KÖSDI 2002 S. 13377 Nr. 8
HAAAA-89292