BGH Urteil v. - V ZR 67/21

Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage: Bezifferbarwerden des Schadens nach zulässiger Klageerhebung

Gesetze: § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 85 S 60/19 WEGvorgehend Az: 72 C 32/19

Tatbestand

1Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Sondereigentümer von ursprünglich nicht ausgebautem Dachraum, der von ihm aufgrund einer Ermächtigung in der Teilungserklärung zu Wohnraum umgebaut wurde. Nach dem Umbau kam es zu Wassereintritten in die unterhalb des Sondereigentums des Beklagten gelegene Wohnung. Am 24. Februar/ schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, die in einem Gutachten aufgeführten Mängel auf eigene Kosten beseitigen zu lassen.

2Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Beklagten unter anderem auf Zahlung eines Vorschusses für die nach dem Vergleich von ihm zu leistenden Arbeiten in Anspruch genommen. Widerklagend begehrt der Beklagte die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet sei, ihm Aufwendungen für im Einzelnen aufgezählte, von September bis Oktober 2019 vorgenommene Arbeiten an der Dachterrasse seiner Einheit abzüglich eigener ersparter Aufwendungen zu erstatten; er stützt sich dabei auf die Begründung, insoweit beträfen die Maßnahmen Gemeinschaftseigentum. Das Amtsgericht hat - soweit hier von Interesse - die Widerklage als unbegründet abgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten mit Versäumnisurteil zurückgewiesen und dieses Urteil auf dessen Einspruch hin aufrechterhalten. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt der Beklagte seine Widerklage weiter.

Gründe

I.

3Das Berufungsgericht meint, die Widerklage sei unzulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehle, da eine Leistungsklage möglich und zumutbar sei. Der Beklagte sei nämlich spätestens im Januar 2020 in der Lage gewesen, eine Zahlungsklage zu erheben. Das Feststellungsinteresse ergebe sich auch nicht aus einer möglicherweise noch ausstehenden Schlussrechnung über Arbeiten am Terrassenbelag. Zwar sei anerkannt, dass eine Feststellungsklage insgesamt zulässig sei, wenn nur ein Teil beziffert werden könne und sich der andere Teil noch in der Fortentwicklung befinde. Eine derartige Konstellation liege aber nicht vor, weil die Terrassenbelagsarbeiten nicht Gegenstand des Feststellungsantrags seien.

II.

4Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Widerklage zulässig.

5Die Annahme des Berufungsgerichts, für die Widerklage fehle das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weil der Beklagte seinen Anspruch nunmehr beziffern könne, ist rechtsfehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein (Wider-)Kläger, der eine Feststellungsklage in zulässiger Weise erhoben hat, nicht gehalten, zu einer Leistungsklage überzugehen, wenn der Schaden bezifferbar wird (vgl. nur Senat, Urteil vom - V ZR 84/02, NJW-RR 2004, 79, 81; , NJW 2021, 2023 Rn. 15; Urteil vom - VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 Rn. 16 - jeweils mwN).

6So liegt es hier. Die Widerklage ist bereits im Jahr 2019 erhoben worden. Bezifferbar sind die Aufwendungen des Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst später, und zwar im Januar 2020, geworden.

III.

71. Das angefochtene Urteil kann mithin keinen Bestand haben; es ist im Umfang der Anfechtung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).

82. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsurteil kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass die Widerklage als unbegründet abzuweisen ist. Zwar ist das Revisionsgericht befugt, über die sachliche Berechtigung einer (Wider-)Klage auch nach deren Abweisung als unzulässig zu entscheiden, wenn das Berufungsurteil einen Sachverhalt ergibt, der für die rechtliche Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und bei Zurückverweisung der Sache ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint (st. Rspr. vgl. nur Senat, Urteil vom - V ZR 19/16, NJW-RR 2018, 719 Rn. 43 mwN, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 216, 83, und jüngst auch Senat, Urteil vom - V ZR 146/20, NZM 2021, 722 Rn. 20). Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen lässt sich nicht beurteilen, ob der geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch ausgeschlossen ist.

9a) Anders als die Revisionserwiderung meint, ergibt sich nach den vom Senat zugrunde zu legenden Feststellungen insbesondere nicht, dass ein Anspruch bereits aufgrund der Regelung im Vergleich vom 24. Februar/ nicht bestehen kann. Der revisionsgerichtlichen Beurteilung unterliegt gemäß § 559 Abs. 1 ZPO nämlich nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist; ersichtlich ist dabei nur der konkret in Bezug genommene Parteivortrag und nicht der gesamte Akteninhalt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom - V ZR 65/21, juris Rn. 38). Daraus lassen sich hier keine Feststellungen dazu entnehmen, dass die Arbeiten, für die der Beklagte Aufwendungsersatz verlangt, mit denjenigen identisch sind, die er nach der Regelung des Vergleichs auf eigene Kosten vornehmen sollte.

10b) Es ist auch nicht vollständig ausgeschlossen, dass dem Beklagten gegen die klagende GdWE ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Notgeschäftsführung im Sinne des § 21 Abs. 2 WEG in der bis zum geltenden Fassung bzw. nunmehr des § 18 Abs. 3 WEG zustehen könnte (vgl. zu dem Anspruch bei Vorliegen von Notgeschäftsführung Senat, Urteil vom - V ZR 246/14, BGHZ 207, 40 Rn. 7). Zu den konkreten Umständen, die den streitgegenständlichen Arbeiten zugrunde lagen, hat das Berufungsgericht nämlich bisher keine Feststellungen getroffen.

113. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:250322UVZR67.21.0

Fundstelle(n):
XAAAI-63155