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Online-Nachricht - Donnerstag, 09.06.2022

Einkommensteuer | Vertrauensschutz im Steuerrecht bei unecht rückwirkenden Gesetzen (BFH)

Bei bilanzierenden Steuerpflichtigen ist Vertrauensschutz gegenüber unecht rückwirkenden Gesetzen nicht über mindestens zwei Veranlagungszeitraumwechsel hinweg zu gewähren. Der ist nicht nur auf Arbeitnehmerabfindungen zugeschnitten. Die und v. sind wegen des Dualismus der Einkunftsarten auf Vermögenszuwächse im Gewerbebetrieb nicht übertragbar (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Streitig ist, ob die auf einen gewerblichen Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG entfallende Einkommensteuer im Jahr 2000 aus verfassungsrechtlichen Gründen (zumindest teilweise) nur mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz gem. § 34 Abs. 1 EStG in der bis 1998 geltenden Fassung vom (EStG 1998) zu bemessen ist oder mit dem allgemeinen Steuersatz unter Berücksichtigung der sog. Fünftel-Regelung gem. § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 vom .

Einspruch und Klage blieben erfolglos ().

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:

  • Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn nicht mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz gem. § 34 Abs. 1 EStG 1998 zu bemessen ist, sondern unter Berücksichtigung der Fünftel-Regelung gem. § 34 Abs. 1 i. V. mit § 52 Abs. 47 EStG 1999 /2000 (hier und im Folgenden in der Fassung, welche die Vorschriften durch den erhalten haben) mit dem allgemeinen Steuersatz gem. § 32a EStG 2000.

  • Die Regelung in § 34 Abs. 1 EStG 1998, wonach die Einkommensteuer unter bestimmten Voraussetzungen mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz zu bemessen war, ist gem. § 52 Abs. 47 Satz 1 EStG 1999/2000 nur bis zum anwendbar. § 34 (Abs. 3) EStG n.F., wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zur Bemessung der Einkommensteuer auf Veräußerungsgewinne mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz wieder eingeführt wurde, ist erst ab dem Veranlagungszeitraum 2001 anwendbar.

  • § 34 Abs. 1 und § 52 Abs. 47 EStG 1999 /2000 sind nicht verfassungswidrig; sie entfalten in Bezug auf die Fallkonstellation des Streitfalls keine unzulässige Rückwirkung und sind insoweit mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar.

  • Die Vorschriften sind auch unter keinem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt i. S. des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG materiell-rechtlich verfassungswidrig.

  • Das Verfahren ist nicht auszusetzen, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Auch eine verfassungskonforme Auslegung oder eine teleologische Reduktion des Gesetzes sind im Streitfall nicht geboten.

Anmerkung von Dr. Jens Reddig, Richter im X. Senat des BFH:

Der Rechtsvorgänger der Kläger war ein „steuerlicher Lückenbüßer“, der wirtschaftlich negativ vom StEntlG 1999/2000/2002 vom betroffen wurde. Konnten gewerbliche Veräußerungsgewinne noch bis Ende 1998 zum halben durchschnittlichen Steuersatz versteuert werden, schuf das vorgenannte Gesetz rückwirkend zum dieses Privileg ab und ersetzte es durch die bis heute gültige sog. Fünftel-Regelung (§ 34 Abs. 1 EStG). Bei besonders hohen Gewinnen (wie wohl im Streitfall) führte dies zu einer steuerlichen Mehrbelastung.

Mit Wirkung zum VZ 2001 wurde für Veräußerungsgewinne alternativ zur Fünftel-Regelung eine von einem Antrag und besonderen persönlichen Voraussetzungen abhängige besondere Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG eingeführt, die in etwa der bis 1998 geltenden Begünstigung entsprach. Für Veräußerungsgewinne, die – wie im Streitfall – im VZ 2000 realisiert wurden, bestand dieses Wahlrecht (noch) nicht.

Mit ausführlicher Begründung hat nunmehr der III. Senat des BFH entschieden, dass dem Rechtsvorgänger der Kläger von Verfassungs wegen keine Veräußerungsgewinnbesteuerung nach Maßgabe der bis zum gültigen Rechtslage zustand, selbst wenn der Grund für den Anfall eines Veräußerungsgewinns – hier die Kündigung eines Gesellschaftsverhältnisses – bereits im Mai 1998 und damit noch vor Einführung der steuerverschärfenden Gesetzeslage geschaffen worden war. Es handelte sich um eine verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige sog. unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Dominierende Vertrauensschutzaspekte waren für den BFH zu Recht nicht erkennbar. Denn das Grundgesetz schützt nicht vor jedweder Enttäuschung einer Erwartung in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage; es schützt insbesondere nicht die Erwartung, Gewinne aus einer steuerverstrickten Beteiligung später zu einem ermäßigten Steuersatz versteuern zu können. Bei Gewinneinkunftsarten unterliegen Wertzuwächse bis zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Veräußerungstatbestands – im Streitfall bis zum Wirksamwerden der 1998er Kündigung im Jahr 2000 – dem Steuerzugriff.

Quelle: (RD)

Fundstelle(n):
PAAAI-63110