Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 94a Satz 1 FGO ohne vorherige Mitteilung
Leitsatz
NV: Das FG verletzt den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör, wenn es gemäß § 94a Satz 1 FGO im vereinfachten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, ohne dem Beteiligten zuvor seine dahingehende Absicht und den Zeitpunkt mitzuteilen, bis zu dem er sein Vorbringen in den Prozess einführen kann (Anschluss an , BFHE 253, 315, BStBl II 2016, 844).
Gesetze: FGO § 94a Satz 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3;
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
2 1. Das FG hat das grundrechtsgleiche Recht der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es gemäß § 94a FGO durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ohne dies der Klägerin zuvor in hinreichender Deutlichkeit mitzuteilen. Hierin liegt ein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).
3 a) Unter Berufung auf den (Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 562) hat der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in Abkehr von der früheren BFH-Rechtsprechung entschieden, dass das FG den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt, wenn es gemäß § 94a Satz 1 FGO im vereinfachten Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, ohne dem Beteiligten zuvor seine dahingehende Absicht und den Zeitpunkt mitzuteilen, bis zu dem er sein Vorbringen in den Prozess einführen kann (ausführlich , BFHE 253, 315, BStBl II 2016, 844). Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an.
4 b) Diesem Maßstab wird die angefochtene Entscheidung auch unter Berücksichtigung der anwaltlichen Vertretung der Klägerin vor dem FG nicht gerecht. Denn der FG-Akte ist keinerlei Hinweis des FG auf die Absicht des Gerichts zu entnehmen, im schriftlichen Verfahren entscheiden zu wollen. Dem Vertreter der Klägerin sind vor der Entscheidung des FG lediglich der Beschluss des FG über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vom und aufgrund richterlicher Verfügung vom die Klageerwiderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt) mitgeteilt worden.
5 2. Da das angefochtene Urteil bereits aufgrund dieses Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, bedarf es keines Eingehens auf das weitere Vorbringen der Klägerin.
6 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
7 4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO, der auch für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO gilt (z.B. , Rz 12, m.w.N.), ab.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:B.130422.IVB61.21.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 224 Nr. 7
BFH/NV 2022 S. 815 Nr. 8
JAAAI-63096