Online-Nachricht - Dienstag, 07.06.2022

Kindergeld | Ermittlung des Lebensbedarfs eines behinderten Kindes (FG)

Bei der Ermittlung der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel ist nur der steuerpflichtige Ertragsanteil einer privaten Rente zu berücksichtigen (, Revision zugelassen).

Hintergrund: Kindergeld wird einem Kind gewährt, welches wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Infolgedessen kommt es darauf an, ob das Kind seinen existenziellen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln decken kann.

Sachverhalt: Die beklagte Familienkasse hatte für den Streitzeitraum Dezember 2019 bis Juli 2021 Kindergeld festgesetzt. Sie hob diese Festsetzung mit Bescheiden vom März 2021 auf. Der Kindsvater machte geltend, es gebe keine Änderungsnorm. Die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Außerdem habe die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge des Kinds fehlerhaft berechnet. Dessen Erbschaft von der Mutter sei zweckgebunden gewesen und zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung verwendet worden. Die abweisende Einspruchsentscheidung datiert vom , der Absendevermerk vom . Die Familienkasse schilderte die interne Organisation der Postaufgabe unter Einschaltung eines privaten Postdienstleisters. Nach den Angaben des Vertreters des Klägers ging ihm die Einspruchsentscheidung am zu. Seine Klage vom sei fristgemäß.

Die Klage hatte Erfolg:

  • Die Klage ist innerhalb der Monatsfrist erhoben worden. Ein Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an die Postausgangsstelle weiterleitet, reicht nicht aus. Erforderlich ist ein Absendevermerk der Poststelle.

  • Die Schilderungen der organisatorischen Abwicklung lässt zwar auf eine Postaufgabe am schließen. Die Zugangsfiktion am dritten Tag ist jedoch erschüttert. Der Verfahrensablauf des Postdienstleisters ist nicht bekannt, ein tatsächlicher Zugang am möglich und die Klage zulässig.

  • Änderungen in den einen Kindergeldanspruch begründenden Verhältnissen hat es nicht gegeben. Die Familienkasse hat bereits bei der Kindergeldfestsetzung Kenntnis von der privaten Rente des Kinds gehabt. Der (rückwirkende) Aufhebungsbescheid ist daher rechtswidrig.

  • Außerdem ist der Kläger kindergeldberechtigt. Sein Kind ist nicht imstande, sich selbst zu unterhalten.

  • Es ist (neben den Einkünften aus Kapitalvermögen) nur der steuerpflichtige Ertragsanteil der privaten Rente zu berücksichtigen. Es kommt auf die Einkünfte und Bezüge im Sinne des EStG an.

  • Laufende oder einmalige Geldzuwendungen von Eltern sind unschädliches Kindesvermögen. Es darf keinen Unterschied machen, wie das Kind das ererbte Vermögen verwendet, ob es die geerbten Mittel abhebt oder mit diesen eine private Lebensversicherung abschließt und die Rente zum Lebensunterhalt einsetzt.

  • Nichts Anderes gilt, wenn das Kind den von der Mutter geerbten Geldbetrag vor Abschluss der privaten Rentenversicherung um (im Verhältnis zum geerbten Vermögen geringe) eigene Mittel aufstockt.

  • Die monatlichen Rentenzahlungen stellen, soweit sie deren steuerpflichtigen Ertragsanteil übersteigen, eine unbeachtliche Vermögensumschichtung dar.

  • Die nach dem Einkommensteuergesetz ermittelten zur Verfügung stehenden Mittel des Kinds decken damit dessen existenziellen Lebensbedarf nicht. Die Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit scheidet aufgrund der Behinderung aus.

  • Wird der Aufhebungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben, lebt die Kindergeldfestsetzung wieder auf.

Hinweis:

Das FG hat die Revision zugelassen.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
MAAAI-62836