Zur grundsätzlichen Bedeutung bei rückwirkender Änderung der Rechtslage
Leitsatz
NV: Wird nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils eine für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche Rechtsnorm rückwirkend geändert, rechtfertigt dies für sich genommen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Eltern des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) waren Treuhandkommanditisten der X-KG (Beigeladene zu 1.), die 2001 zur Tonnagebesteuerung optierte. Mit Bescheid vom stellte der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) einen Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum in Höhe von (umgerechnet) 4.463.553,58 € fest. Hiervon entfiel ein Anteil in Höhe von 173.040,97 € auf die Eltern des Klägers. Diese übertrugen ihre Kommanditbeteiligung an der Beigeladenen zu 1. mit Wirkung zum ohne Gegenleistung je zur Hälfte auf den Kläger und dessen Schwester (RG). Der für die Eltern festgestellte Unterschiedsbetrag wurde in diesem Zusammenhang weder aufgelöst noch für den Kläger oder RG festgestellt, sondern lediglich bei der Beigeladenen zu 1. in ein gesondertes Verzeichnis aufgenommen und fortgeschrieben. Die Nichtauflösung des Unterschiedsbetrags anlässlich der Übertragung der Kommanditanteile auf den Kläger gemäß § 6 Abs. 3 EStG entsprach der Verwaltungsauffassung (vgl. , BStBl I 2008, 956, Rz 28).
2 Im Februar 2013 gründeten der Kläger, RG sowie deren Eltern die Y-GmbH & Co. KG (Beigeladene zu 2.). Der Kläger brachte seine Beteiligung an der Beigeladenen zu 1. mit Wirkung zum in diese Gesellschaft zu Buchwerten nach § 24 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) ein. In dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Beigeladene zu 1. für das Streitjahr 2013 (Gewinnfeststellungsbescheid) vom stellte das FA für den Kläger anteilige laufende Gewinne für den Zeitraum bis zum in Höhe von 28,97 € und einen Gewinn aus der Auflösung des Unterschiedsbetrags in Höhe von 86.520,48 € fest. Das nachfolgende, von der Beigeladenen zu 1. geführte Einspruchsverfahren, zu dem der Kläger hinzugezogen wurde, blieb weitgehend ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom ). Der Unterschiedsbetrag sei —so das FA— lediglich in Höhe von 0,1 % nicht aufzulösen, da der Kläger insoweit noch als Kommanditist an der Beigeladenen zu 2. beteiligt sei. In Höhe von 86.433,96 € sei der Unterschiedsbetrag hingegen aufzulösen und dem Gewinn des Klägers hinzuzurechnen.
3 Der hiergegen gerichteten Klage gab das statt. Das FA habe im streitgegenständlichen Gewinnfeststellungsbescheid zu Unrecht einen auf den Kläger entfallenden Unterschiedsbetrag gewinnerhöhend aufgelöst und dem Gewinnanteil des Klägers hinzugerechnet. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger durch Einbringung seiner Beteiligung in die Beigeladene zu 2. als Mitunternehmer aus der Beigeladenen zu 1. ausgeschieden sei, sei im Gewinnfeststellungsbescheid des Hinzurechnungsjahres die Bindungswirkung nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG zu beachten. Danach könnten im Gewinnfeststellungsbescheid nur solchen Mitunternehmern aufgelöste Unterschiedsbeträge hinzugerechnet werden, für die im Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG auch entsprechende Unterschiedsbeträge festgestellt worden seien. Für den Kläger sei im Feststellungsbescheid nach § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG auf den jedoch kein Unterschiedsbetrag festgestellt worden. Das FG hat seiner Entscheidung § 5a Abs. 4 EStG in der bis zum gültigen Fassung (EStG a.F.) zugrunde gelegt. Die Neuregelung des § 5a Abs. 4 EStG durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom (BGBl I 2021, 1259) —EStG n.F.— konnte es noch nicht berücksichtigen.
4 Das FA begehrt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Es sieht die Frage als grundsätzlich bedeutsam an, ob der Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG in Fällen, die vor dem Inkrafttreten des § 5a Abs. 4 EStG n.F. veranlagt wurden, ungeachtet der Regelung des § 176 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) anteilig aufzulösen ist, wenn sich durch die Übertragung eines Anteils nach § 24 UmwStG zu Buchwerten an einer Personengesellschaft, die den Gewinn nach § 5a EStG ermittelt, die (jetzt mittelbare) Beteiligung vor der Einbringung verringert. Auch wenn § 5a Abs. 4 EStG a.F. in Bezug auf Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG auslaufendes Recht sei und der Bundesfinanzhof (BFH) bereits entschieden habe, dass § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. jegliches Ausscheiden umfasse, sei die Rechtsfrage für eine Vielzahl von Altfällen von Bedeutung. Betroffen seien insbesondere Fälle einer Übertragung gemäß § 24 UmwStG. Die Frage sei auch klärungsbedürftig, da das angefochtene Urteil der neuen Gesetzeslage und der Verwaltungsauffassung widerspreche. Das FG habe entgegen § 5a Abs. 4 EStG n.F. angenommen, der für die Eltern des Klägers zum festgestellte Unterschiedsbetrag sei bereits bei der ersten Übertragung nach § 6 Abs. 3 EStG aufzudecken gewesen. Anders als das FG meine, sei der streitgegenständliche Unterschiedsbetrag jedoch im Zusammenhang mit der Einbringung der Kommanditbeteiligung des Klägers in die Beigeladene zu 2. im Streitjahr aufzulösen. Die einer Auflösung entgegenstehende Regelung in Rz 28 des /02 (BStBl I 2002, 614) i.d.F. des BMF-Schreibens in BStBl I 2008, 956 erfasse nicht jene Einbringungsfälle, in denen sich durch die Einbringung der —dann mittelbare— Anteil an der Untergesellschaft verringere (vgl. ). Daher könne die geänderte Rechtsprechung des BFH, die in § 5a Abs. 4 EStG n.F. übernommen worden sei, trotz der Regelung des § 176 Abs. 2 AO auf Altfälle des § 24 UmwStG Anwendung finden, wenn sich durch die Einbringung die —dann mittelbare— Beteiligung vermindere. Auch ohne ein vollständiges Ausscheiden des Klägers aus der Obergesellschaft sei der Tatbestand des § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. erfüllt.
Gründe
II.
5 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt, denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
6 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
7 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht (z.B. , m.w.N.). Die Rechtsfrage ist nicht klärungsfähig, wenn die Entscheidung des FG nicht von ihrer Beantwortung abhängig ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom - VI B 43/09, BFH/NV 2010, 852; vom - II B 164/09, m.w.N.). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, richtet sich grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (z.B. BFH-Beschlüsse vom - III B 35/12; vom - XI B 11/14, m.w.N.).
8 Wird nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils eine für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche Rechtsnorm rückwirkend geändert, rechtfertigt dies für sich genommen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. IV C 6.71, BVerwGE 41, 227 [Rz 15]; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 133). Dass das Revisionsgericht im Fall der Zulassung der Revision auf die Rechtslage abzustellen hätte, die für das FG maßgeblich wäre, wenn es zu diesem Zeitpunkt entscheiden würde (vgl. , BFHE 147, 125, BStBl II 1986, 880, unter B.II.), steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG-Urteil in BVerwGE 41, 227 [Rz 15]). Der BFH ist nicht verpflichtet, die Revision zuzulassen, nur damit die Gesetzesänderung im Revisionsverfahren —zur Wahrung von Individualinteressen— noch berücksichtigt werden kann (ebenso Gräber/Ratschow, a.a.O., § 115 Rz 133).
9 b) Danach kommt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht in Betracht.
10 aa) Das angefochtene FG-Urteil entspricht § 5a Abs. 4 EStG a.F. und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BFH. Das FG hat zu Recht nicht geprüft, ob die Einbringung der Kommanditbeteiligung des Klägers in die Beigeladene zu 2. die Voraussetzungen des § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. erfüllt, sondern der Klage unter Heranziehung der Grundsätze der BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteile vom - IV R 28/19, BFHE 266, 305; vom - IV R 17/19) stattgegeben, weil für den Kläger im Feststellungsbescheid auf den kein Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. festgestellt war.
11 bb) Hiervon ausgehend ist die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage bereits nicht klärungsfähig, da das angefochtene Urteil nicht von deren Beantwortung abhängig ist. Auf die Auslegung des § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. kam es für das FG nicht an.
12 Erheblich könnte die Rechtsfrage zum Begriff des Ausscheidens i.S. des § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. nur werden, wenn § 5a Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG n.F. im Streitfall anwendbar wären. § 5a Abs. 4 Satz 5 EStG n.F. ordnet für die Fälle, in denen ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil auf einen Rechtsnachfolger zum Buchwert nach § 6 Abs. 3 EStG übertragen wird, an, dass der Unterschiedsbetrag insoweit auf den Rechtsnachfolger übergeht. Verfahrensrechtlich wird dies durch eine sinngemäße Anwendung des § 182 Abs. 2 AO flankiert (§ 5a Abs. 4 Satz 6 EStG n.F.). Beide Regelungen sollen für Wirtschaftsjahre gelten, die nach dem beginnen (§ 52 Abs. 10 Satz 4 EStG n.F.). Wären § 5a Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG n.F. wirksam und vorliegend anwendbar, wäre es mit der schenkweisen Übertragung der Kommanditbeteiligung zum auf den Kläger zu einem Übergang des für die Eltern des Klägers zum festgestellten Unterschiedsbetrags auf den Kläger gekommen. Nur dann bedürfte es wegen der gesetzlich angeordneten sinngemäßen Anwendung des § 182 Abs. 2 AO keiner Feststellung des Unterschiedsbetrags für den Kläger (§ 5a Abs. 4 Sätze 5 und 6, § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG n.F.) und nur dann käme es auf die Auslegung des Begriffs des Ausscheidens in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG a.F. an.
13 cc) Wie dargelegt, ist der BFH jedoch nicht verpflichtet, die Revision zuzulassen, damit eine nach der Entscheidung des FG erfolgte rückwirkende Gesetzesänderung zur Wahrung der Individualinteressen eines Beteiligten (hier des FA) im Revisionsverfahren noch berücksichtigt werden kann. Daher kann auch der Umstand, dass das angefochtene FG-Urteil (möglicherweise) der durch § 5a Abs. 4 EStG n.F. geschaffenen neuen Rechtslage widerspricht, keine Revisionszulassung begründen.
14 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2, § 139 Abs. 4 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:B.140422.IVB21.21.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 225 Nr. 7
BB 2022 S. 1301 Nr. 23
BFH/NV 2022 S. 816 Nr. 8
DStR-Aktuell 2022 S. 10 Nr. 23
FAAAI-62727