Rechtsbeschwerdeverfahren: Zulässigkeit von Einwendungen nach versäumten Vortrag im Berufungsverfahren
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 522 Abs 1 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO
Instanzenzug: OLG Zweibrücken Az: 1 U 167/19vorgehend LG Frankenthal Az: 4 O 306/16
Gründe
I.
1Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
2Die Klägerin kam am mit dem von ihr gefahrenen Pkw Audi A 8 vor einem Kreisverkehr zum Stehen. Der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Lkw fuhr auf das Heck des Audi A 8 auf.
3Auf die von der Klägerin geforderten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche von insgesamt 59.484,77 € bezahlte die Beklagte 22.710,95 €, den Rest zuzüglich Feststellung macht die Klägerin mit der Klage geltend. Die Beklagte verlangt von der Klägerin mit der Widerklage Rückzahlung der gezahlten 22.710,95 €. Sie behauptet, es handele sich um einen gestellten Verkehrsunfall, außerdem sei die Klägerin nicht Eigentümerin des Audi A 8 gewesen.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage die Klägerin zur Rückzahlung von 22.410,95 € verurteilt. Das Oberlandesgericht hat nach einem Hinweisbeschluss die Berufung der Klägerin durch Beschluss als unzulässig verworfen, soweit sie sich dagegen richtet, dass über gezahlte 300 € hinaus kein weitergehendes Schmerzensgeld von mindestens 2.500 € zuerkannt worden ist (Klageantrag zu 2) und das Landgericht die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle materiellen und immateriellen Schäden abgelehnt hat (Klageantrag zu 3). Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
5Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen den Beschluss des Berufungsgerichts, soweit mit diesem die Berufung als unzulässig verworfen worden ist.
II.
6Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
7Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss weder den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfG, NJW 2003, 281, juris Rn. 9 mwN).
81. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es die Berufung als unzulässig verworfen hat, im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbegründung setze sich mit der Begründung des Landgerichts zum Schmerzensgeldantrag (Klageantrag zu 2), wonach für die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin über einen längeren Zeitraum ein Nachweis der unfallbedingten Gesundheitsverletzung fehle, nicht auseinander. Entsprechendes gelte für den abgewiesenen Feststellungsantrag (Klageantrag zu 3). Hier fehle jegliche Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts, dass der Klägervortrag keinerlei Anhaltspunkt dafür biete, dass nicht erkennbare oder bezifferbare Schäden entstehen könnten.
92. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Berufungsgericht habe bei seiner Wertung, die Berufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, übersehen, dass die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch auch allein auf einen Geldentschädigungsanspruch wegen haltloser Verdächtigungen und ehrverletzenden Verhaltens der Beklagten und damit auf eine schwere Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts stützen könne, liegt keine Gehörsverletzung vor.
10Die Rechtsbeschwerde macht weder geltend noch zeigt sie auf, dass die Klägerin den Klageantrag zu 2 bisher auf eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützt hat. Bei der Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich nicht um ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, sondern um ein Rechtsinstitut, das auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 40). Eine solche Geldentschädigung hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie hat mit dem Klageantrag zu 2 die Zahlung eines "angemessenen Schmerzensgeldes" beantragt und in der Berufungsbegründung das Regulierungsverhalten der Beklagten lediglich als Umstand angeführt, der bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erhöhend zu berücksichtigen sei (GA 641, 4. Abs.). Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht seinem Hinweisbeschluss (HB 3, 1. Abs.) und dem Zurückweisungsbeschluss (ZB 8, 2. Abs.) zugrunde gelegt.
113. Hinsichtlich des Feststellungsantrags (Klageantrag zu 3) geht das Berufungsgericht im Zurückweisungsbeschluss (ZB 8, 1. Abs. aE) zwar zu Unrecht davon aus, dass das Landgericht diesen, auch soweit er Schäden am Fahrzeug betrifft, mit der Erwägung abgewiesen habe, der Klägervortrag biete keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass noch nicht erkennbare oder zwar vorhandene, aber nicht bezifferbare Schäden materieller oder immaterieller Art entstehen könnten. Tatsächlich hat das Landgericht diese Begründung nur für den Feststellungsantrag angeführt, soweit er immaterielle und materielle Schäden, die auf eine körperliche Beeinträchtigung der Klägerin durch den Verkehrsunfall zurückgehen, umfasst (LGU 9 unter c.). Soweit der Feststellungsantrag Schäden des Fahrzeugs betrifft, hat das Landgericht den Antrag nur mit der Begründung der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin abgewiesen (LGU 9 unter c.). Hierauf kann sich die Klägerin jedoch im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berufen. Dem steht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen.
12a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZB 30/19, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12 mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 30/19, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12; BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 10/15, VersR 2016, 137 Rn. 7; vom - VII ZB 37/21, juris Rn. 7).
13b) Gemessen daran hat es die Klägerin versäumt, zu den Ausführungen des Berufungsgerichts im Hinweisbeschluss vom , es fehle jegliche Auseinandersetzung mit der im angefochtenen Urteil erfolgten Ablehnung des Feststellungsantrags (Klageantrag zu 3; HB 3, 2. Abs. aE), Stellung zu nehmen. In der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss finden sich keine Ausführungen dazu, weshalb die Berufung gegen die Abweisung des Feststellungsantrags entgegen der im Hinweisbeschluss geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts dennoch zulässig sei. Solche zeigt die Rechtsbeschwerde auch nicht auf. Indem die Klägerin zu der angedrohten Verwerfung der Berufung gegen die Abweisung des Feststellungsantrags nicht Stellung genommen hat, hat sie die ihr eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:080322BVIZB14.21.0
Fundstelle(n):
CAAAI-62313